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Literarisches Quintett XVII: Großschreiber: Miguel de Cervantes, Johann Wolfgang von Goethe, Hafis, Alexander von Humboldt, Thomas Mann

Heute wirds mächtig, literarisch großmächtig. In der siebzehnten Ausgabe meines Literarischen Quintetts stelle ich wieder fünf Autoren aus meinem Bücherschrank vor. Dieses Mal aber sind es keine Randfiguren, sondern fünf echte Regalmonster. Dabei fällt natürlich einer komplett aus dem Rahmen: Humboldt ist doch eigentlich gar kein Literat, oder? Er war Botaniker. Und Geologe. Und Physiker. Und Zoologe. Und Klimatologe. Und Astronom. Und Ethnologe. Und Chemiker. Und Minerologe. Und Kosmologe. Und Forschungsreisender. Und er hat so viel geschrieben, dass man ihn mit Fug und Recht auch einen populärwissenschaftlichen Publizisten nennen darf. Einen Heinz Haber seiner Zeit. Einen Vorläufer von Ranga Yogeshwar oder von Harald Lesch. Jedenfalls war er ebenso ein Literat, wie Goethe ein Naturwissenschaftler war. Mindestens. Also kommen wir zu den fünf Titanen aus dem Regal. 5 aus 100:

Miguel de Cervantes: Don Quijote von der Mancha

Von den einhundert Büchern, die ich in der Reihe „100 Tage – 100 Bücher“ auf meinem Facebook-Account vor einiger Zeit vorgestellt habe und die ich hier im Literarischen Quintett zusammenfasse, war dies der letzte Titel. Aus gutem Grund, handelt es sich doch beim Don Quijote um den ersten großen bürgerlichen Roman, dem Werk, das am Anfang einer ganzen Literaturgattung steht.

Ehe ich mich an diesen dicken Wälzer herangewagt habe kannte ich die Serienverfilmung aus den 60iger Jahren mit dem in zweifacher Hinsicht großen Josef Meinrad in der Hauptrolle. Als Kind hat mich so beeindruckt, dass ich mir diese kleine Serie später als DVD wieder besorgt habe. Sie ist es wert. Kauftipp! 

Vor allem aber hatte ich die großartige Arbeit von Leo Löwenthal über Cervantes gelesen. Ich habe ja unter dem Titel „Erziehung Unterhaltung“ vor einigen Jahren die erste Monografie über Löwenthal veröffentlicht, was immerhin die us-amerikanische Wikipedia auch entsprechend gewürdigt hat. Löwenthal beschreibt Don Quijote eben nicht als bloße Humoreske oder gar Rittergeschichte, sondern als „ersten bürgerlichen Roman“. Aspekte der Säkularisierung, der gesellschaftlichen Mobilität, individuelle Schöpferkraft macht er in seinen „Studien zur europäischen Literatur“ (Leo Löwenthal Schriften Band 2) an den Rollen des Romans fest.

Mit der Übersetzung von Susanne Lange gibt es eine in der Fachwelt hoch gelobte aktuelle Fassung des Romans in deutscher Ausgabe.

Eigentlich wollte ich sie immer einmal während eines Urlaubs in Kastilien lesen. Mit einem schweren Wein in brütender Hitze. So hatte ich mir das ausgeträumt. Aber daraus wurde bislang nichts. Und länger wollte ich nicht mehr warten. Und außerdem kam die brütende Hitze Kastiliens inzwischen ja dank des Klimawandels eh direkt zu uns. Auch Windmühlen haben wir inzwischen einige in unserer Landschaft. Ein paar sogar in Bayern. An Narren mangelt es auch nicht, an Eseln ebenso wenig. Nur Dulcinea ist mir abhanden gekommen. So hieß tatsächlich meine Großtante, Franziskanerin im Kloster Amstetten. 

Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften

Natürlich steht in meinem Bücherregal auch eine komplette und einigermaßen historische Goethe-Ausgabe herum. Aber „mein erster Goethe“ – abgesehen von einigen Gedichten – war natürlich wie bei den meisten wohl ein Reclam-Heftchen. Und „Die Wahlverwandtschaften“ hat mich irgendwann in der achten oder neunten Klasse gefesselt. Ich fand das eine wirklich tolle Story, die ich in späteren Jahren mehrmals wieder gelesen habe.

In den Wahlverwandtschaften zeigt sich Goethe ganz als Naturwissenschaftler, der mit den Menschen spielt, als seien sie Atome, die man nach Belieben hin und her rücken kann. Charlotte, Eduard, Ottilie, sie sind manchmal Schachfiguren im Goetheschen Spiel, mehr noch Reagenzien im literarischen Erlenmeyerkolben des Großschriftstellers.

Dann die Rollen der Aufstellung, der aufgeklärte und zugleich dionysisch-sturmdrangige Eduard auf der einen (der meinigen) Seite, der dumpfbackige Hauptmann der alten Ordnung auf der anderen Seite („Aber ich will nicht werden, was mein Alter ist“), die konservative Charlotte auf der einen Seite, die verzagt-romantische Ottilie auf der anderen Seite. Die beiden Frauen und der Hauptmann, sie verkörpern die drei Seiten der bürgerlichen Medaille, mit der wir uns schon als Schüler herumzuschlagen hatten.

Dazu ein bisschen Romantik und reichlich Symbolismus, kurz: ganz große Literatur! Ich mag meinen Goethe.

Auf Veranstaltungen kann es vorkommen, dass ich das Einmessen von Mikrofonen mit der Rezitation des Zauberlehrlings vornehme, manchmal auch mit Heines Wintermärchen. Alles ist besser als „1,2,3, Test Test Test, 1,2,3,…“ Wie profan.

Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe …

Es ist Wochenende. Zieht Euch doch mal wieder einen Goethe rein.

Hafis: Eine Sammlung persischer Gedichte

Zu den schönsten Beschäftigungen am Wochende gehört es einfach still auf dem Sofa zu liegen und ein wenig zu schildkröteln, wie der große deutsche Philosoph Gerhard Polt zu granteln pflegt. Statt „Sofa“ sprach meine sudetendeutsche Oma übrigens immer vom „Diwan“. Sie wusste natürlich nicht, dass Diwan eigentlich ein altes persisches Wort ist, ganz so wie „Paradies“, wobei sie, die ja aus einer alten k.u.k-Region stammte, auch gerne Paradeiser aß, also Tomaten, die wiederum mit Paradiesäpfeln so gar nichts zu tun haben. Der Apfel im biblischen Paradies wiederum war vermutlich ein Granatapfel, dessen Heimat das Gebiet des heutigen Iran darstellt.

Wo führt diese elend lange Einleitung nun wieder hin? Natürlich über Goethes west-östlichen Divan direkt zu des Geheimen Raths persischem Lieblingsdichter Hafis, dem auch ich restlos verfallen bin. Als Einleitung lang, als Überleitung perfekt, oder?

Hafis, geboren im wunderschönen Schiras – richtig, daher stammt die nach diesem Ort benannte Rebsorte – war im 14. Jahrhundert gläubiger Muslim, leidenschaftlicher Weintrinker und alles in allem ein göttlicher Hurensohn. Seine Gedichte finden sich heute in nahezu jedem iranischen Haushalt und er wird von alten wie jungen Iranern gleichermaßen geliebt. Nun ja – nicht von allen! Ich weiß, von was ich spreche. Schließlich habe ich den Iran vor ein paar Jahren ausführlich bereist. Nach 1979 versuchten die Mullahs Hafis zu verbieten, was aber niemals gelang.

Die Übersetzung von Georg Friedrich Daumer ist ihm durchaus adäquat: Daumer war im 19. Jahrhundert ein verkrachter fränkischer Theologe und zeitweise Hauslehrer des Findelkindes Kaspar Hauser: erst Protestant, dann Moslem, dann katholisch, immer alkoholisch. Dass Kaspar Hauser in Ansbach erzogen wurde, meiner Heimatstadt, dürftee allgemein bekannt sein. Und dass ich jetzt knapp dran bin eine weitere Geschichte über über dieses mittelfränkische Kleinod hier auszubreiten ist hoffentlich auch klar. Und über den wunderbaren Werner Herzog, der den ebenso wunderbaren Kaspar-Hauser-Film gedreht hat.  Aber nein:

Lassen wir zuletzt Hafis zu Wort kommen:

„Kloster und Schenke –
Heilige Räume
Sind sie und gänzlich
eins für mich.“

Alexander von Humboldt: Amerikanische Reise

Auch schon tot. Nein, ich meine nicht Humboldt. Der auch. Klar. Ich meine Hanno Beck. Der großartige Herausgeber der Werke Humboldts verstarb vor fünf Jahren, am 20 September 2018. Ihm verdanken wir diese wunderbare Edition der „Amerikanischen Reise“ Alexander von Humboldts. Vor vier Jahren – wir erinnern uns: „Humboldt-Jahr“: 250 Jahre alt wäre er geworden – habe ich so dieses und jenes von und über ihn gelesen, gehört und gesehen. Dieses Buch lag damals auch im Einkaufskörbchen.

Es ist ein klassisches Reisebuch, also eine Art Reisetagebuch. Ein Abenteuerroman. Und das ist bemerkenswert, denn Humboldt hat nur einen kleinen Teil der Reise selbst geschildert. Beck hat den Bericht aus zahlreichen Fundstücken montiert, so dass eine zusammenhängende Geschichte entstanden ist: von der mehrjährigen Vorbereitung über die Anreise über die Kanarischen Inseln bis zu den Expeditionen auf Orinoko und Rio Negro, durch Venezuela, Kuba, Kolumbien, Ecuador, Peru, Mexiko und die U.S.A., alles Staaten, die es damals natürlich noch nicht gab.
Humboldt beschreibt die Gefahren der Reise, aber auch die Pflanzen, das Terrain, das Leben der indigenen Völker und die Schindereien der Eroberer in den Bergwerken und Klosteranlagen. Ein überaus schlaues Buch. Ein Reiseführer in damals reisearmer Zeit. Ich wollte vor vier Jahren schon an den Amazonas. COVID-19 hat die Fahrt damals verhindert. Humboldts Amerika-Reise in der sommerlichen Hängematte war mir ein kleiner Trost. Im vergangenen Jahr war ich dann am Amazonas. Damals war noch Wasser drin. Und viele rosa Flußdelphine. Auch schon tot.

Thomas Mann: Zauberberg

Das fünfzigste Buch der Reihe „100 Tage – 100 Bücher“ war ein Highlight wie der Cervantes als Titel Nummer 100. Es handelte sich um einen meiner „All-time-stars, eine meiner absoluten Lieblingsbücher. 

Ich habe es zweimal gelesen und zweimal als – ich glaube 10teiliges – Hörspiel gehört: Thomas Manns Zauberberg. Ich habe Hans Castorp einmal in einen längeren Klinikaufenthalt mitgenommen, ich habe auf einer „Reise zu den Polen“ allabendlich den „guten Russentisch“ beobachtet, auf einer Studienfahrt durch die Türkei ist mir leibhaftig Frau Stöhr begegnet, die über das geraubte „Elfenbeinzimmer“ räsonnierte,  in Clawdia war ich in meiner Jugend bis über beide Ohren verliebt und dass ich in meinem Leben Mynheer Peeperkorn mehrmals begegnet bin versteht sich von selbst.

Politisch war mir Thomas Mann ja immer ein wenig suspekt. Zu oft hat er seine Nase im Wind gedreht, aber ich liebe seine Sprachkunst und ich verehre seine Beobachtungsgabe. Deshalb sind mir seine Figuren so präsent, dass ich ihnen andauernd leibhaftig begegne.

Eigentlich müsste ich ein Verehrer Heinrich Manns sein und ich habe ehrlich versucht dessen Werke zu lesen, doch konnte ich mich nie mit ihm anfreunden. Ich hab es mit dem Untertan versucht, mit der Kleinen Stadt und mit der Unschuldigen. Ich bin immer reumütig zum Bruder Thomas zurückgekehrt. Nicht nur auf den Zauberberg, sondern auch zum Tod in Venedig, zur Lotte in Weimar, zu den Buddenbrooks und zu Tonio Kröger. Thomas ist mein Mann.

Natürlich kann man in diesem Roman lange herumdeuteln und interpretieren. Das Buch steckt voller Anspielungen. Dagegen ist die Kabbala ein langweiliges Pflanzenlexikon. Man kann sich aber auch ganz einfach von diesem Roman gefangen nehmen lassen. Und diese Doppelgesichtigkeit macht ein gutes Buch aus. Punkt.

Illustrationen © Michael Kausch

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