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Literarisches Quintett XIII: Lieblinge von A bis W: Auster, Hein, Mankell, Schneider, Wondratschek

„Lieblinge von A wie Auser, Paul bis Wondratschek, Wolf“. Eigentlich könnte diese Ausgabe des Literarischen Quintetts auch „Alte Freunde“ heißen. Schließlich möchte ich heute fünf Autoren vorstellen, die ich schon vor vielen Jahren kennengelernt habe und denen ich über die Jahre die Treue gehalten habe. Und so ganz selbstverstädlich ist das ja nicht, denn als Jugendlicher liest man oft anderes, denn als Herr in den besten Jahren … Freilich, gute Autoren gehen fast immer. Goethes Wahlverwandtschaften habe ich in der Schule gelesen und erst vor wenigen Monaten zum vierten Mal. Und Brecht und Böll haben mich auch mein Leben lang begleitet. Aber eben auch Wondratschek. Und Auster, Hein, Mankell und Manzoni begleiten mich nun auch schon seit vielen Jahren durchs Leben. Sie gehören zu meinem ganz persönlichem Kanon der hundert Autoren, die ich Euch in dieser kleinen Serie der Quintette ans Herz und ins Regal legen möchte. 

Paul Auster: "Timbuktu"

Als Kind war ich vernarrt in ein Buch mit dem verheißungsvollen Titel „Ich war in Timbuktu“. Geschrieben hat es der DDR-Schriftsteller Werner Legère 1953 in Anlehnung an den Reisebericht des französischen Afrikaforschers René Caillié, der im Jahr 1828 als zweiter Europäer nach Alexander Gordon Laing die sagenumwobene Wüstenstadt Timbuktu erreichte. Seit diesen Jahren ist Timbuktu für mich ein großer Traum, ein großes Versprechen.

Das verbindet mich mit Mr. Bones, dem Erzähler dieses Romans des von mir sehr verehrten Paul Auster. Das vertrackte ist nur, dass Mr. Bones ein Hund ist. Ihr habt richtig gelesen: Dieses Buch von Paul Auster wird von einem Hund erzählt, und zwar von einer überaus sympathischen Promenadenmischung, einem Multikultihund sozusagen. Dem Hund ist Timbuktu das Paradies der Hunde, der Ort, an den alle Hunde nach ihrem Tod „heimkehren“, „erlöst werden“, „ihre ewige Ruhe finden“ oder was auch immer.

Mr. Bones erlebt aus der Hunderperspektive – also „von ganz unten“, quasi aus der Wallraff-Perspektive, das Leben bei verschiedenen „Herrchen“ und „Frauchen“, das Überleben in verschiedenen sozialen Milieus, mal mehr, mal weniger geliebt, mal mehr, mal weniger getreten. Er erlebt die Doppelmoral der Mittelschicht und die Verzweiflung der Unterschicht. Und stets trägt ihn die Sehnsucht nach – Timbuktu.

Die professionellen Auftragskritiker haben dieses Buch überwiegend in die Tonne getreten. Mir war es ein Labsal. Aber mir kann man alles servieren, was nach Timbuktu klingt. Ich liebe den Blues aus Mali und seine Ansichtskarten. Und natürlich will ich die Chance nicht verstreichen lassen an dieser Stelle auf einen kleinen Artikel über „Schöne Grüße aus Timbuktu“ zu verweisen. Blog-Schokolade für das süße Lesen zwischendurch.

Christoph Hein: "Das Napoleonspiel"

Der Film „Das Leben der Anderen“ basiert angeblich auf seinem Leben, oder doch jedenfalls auf Episoden und Erfahrungen aus seinem Leben. Er, das ist Christoph Hein, gesamtdeutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist, Montagearbeiter, Buchhändler und Kellner aus der DDR, dessen Bücher ich gerne lese, weil er einer der großartigsten deutschsprachigen lebenden Erzähler ist.

Im Napoleonspiel erklärt der Untersuchungshäftling Wörle die Hintergründe eines von ihm begangenen Mordes mit Motiven aus dem Billardspiel und der Biographie Napoleons. Dabei geht es nicht um den Mord, sondern um das eigenartige Leben, das zum Mord führt. Es geht um Wörles Leben, Sohn eines Schokoladenfabrikanten, Schulzeit in Thüringen, DDR-Flüchtling, BRD-Jurist, Westberliner Lokalpolitiker, Billardspieler. Eine verworrene Geschichte, deren vielfach verknoteter Faden so wirr gesponnen wird, dass er letztlich ins Freie führt: Der Mörder wird frei gesprochen.

Apropo Schokoladenfabrikant: Wenn man früher aus Berlin kommend kurz vor der Grenze zur BRD Richtung Bayern aus dem Zug sah, erblickte man in einiger Entfernung von der Bahnstrecke ein recht heruntergekommenes Fabrikgelände. Dort hing lange Jahre ein großes rotes Banner mit der wunderlichen Aufschrift „Die thüringischen Schokoladenwerker arbeiten an der Hauptaufgabe des Sozialismus“. Mich hat das immer schwer beeindruckt. Wie süß die Hauptaufgabe des Sozialismus offenbar war. Oder hatten sie ihn gar schon aufgegeben, die Schokoladenwerker?

Henning Mankell: "Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt"

Henning Mankell kennen viele als Krimiautor. Aber das ist nur der halbe Mankell. Der schwedische Schriftsteller ist nicht nur der Schöpfer von Kurt Wallander, sondern auch von zahlreichen Romanen über und aus Afrika. Zu nennen sind zum Beispiel „Der Chronist der Winde“ und „Die rote Antilope“, zwei Bücher, die ich mit großem Gewinn gelesen habe.

„Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt“ fällt ein wenig aus der Reihe. Es ist dies kein Roman, sondern ein Buch, in dem Mankell die Berichte von Kindern zusammenfasst, die ihre Eltern vorzeitig durch die Aids-Seuche verloren haben.

Er berichtet auch vom Memory Book Project, in dem Entwicklungshelfer in Uganda an Aids erkrankte Eltern darin unterstützen Erinnerungsbücher für ihre Kinder zu schreiben. Sie sollen ihre persönliche Geschichte für ihre Kinder aufschreiben und damit ihren Kindern eine Tradition und Wurzeln hinterlassen. Diese Menschen können häufig weder schreiben noch lesen. Sie erzählen ihre Geschichte in Bildern, sie hinterlassen ihren Kindern eine Tradition in Erzählungen auf ihre ganz eigene Art.
Henning Mankell berichtet davon und so erzählt er von Afrika, von Aids, von Menschen und vom Erzählen. An anrührendes Buch, ein wichtiges Buch.

Bei vibrio haben wir daraus im Jahr 2004 ein „wanderndes Buch“ gemacht und zwanzig Bücher mit Laufzetteln versehen und in die Welt geschickt mit der Aufforderung es zu lesen und danach weiterzuschenken. Auf dem Laufzettel sollte der Name des Lesenden verzeichnet werden. Am Schluss sollten die ausgefüllten Laufzettel an uns zurückgeschickt werden. Leider kamen nur wenige Laufzettel zurück. Aber einige Laufzettel mit bis zu 12 Eintragungen berichten von weiten Reisen, die die Bücher gemacht haben. Es waren schöne Reisen. Bücherreisen.

Alessandro Manzoni: "Die Nonne von Monza"

ManzoniAlessandro Manzoni „Die Nonne von Monza“ wurde mir vor einigen Jahren von meinem leider inzwischen verstorbenem deutsch-italienischem Freund und Kollegen Gianfranco Lanza ans Herz gelegt. Ihm verdanke ist meine späte Entdeckung dieser Keimzelle der klassischen italienischen Literatur.

Ich kenne mich mit Italienern jenseits von Eisdielen und Pizzaläden ja so gar nicht aus und bin eher frankophil ausgebildet. Na gut, einige Filmregisseure kenne ich leidlich und die Taviani-Brüder verehre ich sogar heftig. Aber bis zu meiner Bekanntschaft mit Gianfranco hätte ich Manzoni wohl auch für eine Nudelsorte gehalten. Schande über mich. Googelt man nach Manzoni so erfährt man, dass es sich bei der hier vorliegenden „frühen Sex-and-Crime-Story“ [na ja!] um eine Art „Urfaust der italienischen Literatur“ handelt. Jedenfalls geht es um ein Liebesdrama im 17. Jahrhundert, um eine junge Frau, die von ihrer Familie genötigt wird in ein Kloster einzutreten, aber im Kloster ist die Hölle los.

Ich habe Manzoni jedenfalls mit großen Genuss gelesen. Goethe war übrigens auch ein großer Manzone-Verehrer. Und überhaupt spielte Manzone eine wichtige Rolle als politischer Literat für die nationale Einigung Italiens. Vielleicht werde ich mich mal intensiver mit ihm und seinem Hauptwerk „Die Verlobten“ auseinandersetzen. Die Nonne von Monza ist eigentlich als „Roman im Roman“ ein Teilwerk dieses größeren umfassenderen Werks. Mal sehen. 

Wolf Wondratschek: "Früher begann der Tag mit einer Schusswunde"

Meine erste Begegnung mit Wolf Wondratschek war einigermaßen surreal. Ich leistete meinen Zivildienst in einer Kurklinik ab. Im Rahmen des sonntäglichen Kulturprogramms zwischen Kurkonzert und Peter Alexander-Film kreuzte eines Tages eine junge Frau auf und las aus kurzen Prosa-Werken unbekannter Schriftsteller. Das war in den späten siebziger Jahren und im selben Alter befanden sich die Gäste und unter diesen war der rezitierte Wolf Wondratschek damals ebenso unbekannt wird unerhört. An das kleine Prosastück kann ich mich gut erinnern:

„Der Wertsack ist ein Beutel, der auf Grund seiner besonderen Verwendung im Postbeförderungsdienst nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die zur Bezeichnung des Wertsackes verwendete Wertbeutelfahne auch bei einem Wertsack als Wertbeutelfahne bezeichnet wird und nicht als Wertsackfahne, Wertsackbeutelfahne oder Wertbeutelsackfahne.
Sollte es sich bei der Inhaltsfeststellung eines Wertsackes herausstellen, daß ein in einem Wertsack versackter Wertbeutel statt im Wertsack, in einem der im Wertsack versackten Wertbeutel hätte versackt werden müssen, so ist die in Frage kommende Versackstelle unverzüglich zu benachrichtigen.

Nach seiner Entleerung wird der Wertsack wieder zu einem Beutel und ist auch bei der Beutelzählung nicht als Sack, sondern als Beutel zu zählen. Verwechslungen sind im Übrigen ausgeschlossen, …“

Hätte man den Zuhörern erzählt, dass es sich um einen Text von Heinz Erhard handelte, sie hätten es geglaubt. Tatsächlich war es eine Dienstanweisung der Deutschen Bundespost, veröffentlicht von Wondratschek in „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“. Eigentlich ein literarisches Readymade. MRR war ein Fan von ihm. Ich bin es heute noch.

Illustrationen © Michael Kausch

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