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Literarisches Quintett XII: Gereimtes und Ungereimtes von Bachmann, Fried, Hikmet, Neruda und Villon

Man kennt das ja: „1,2,3, Test, Test, Test …“ So tönt es oft aus Bühnenlautsprechern, wenn die Technik vor Veranstaltungsbeginn gestestet wird. Ich habe es mir angewöhnt bei Mikrofontests Gedichte zu rezitieren. Meistens führt dies zu sehr seltsamen Reaktionen. Ich rezitiere nämlich aus dem Gedächtnis. Ja, ich lerne manchmal Gedichte auswendig. Freiwillig. Ohne Zwang. Nicht um mich vor Altersdemenz zu schützen. Nein, einfach aus Spaß. Im Urlaub. Oder wenn ich arg im Stress bin. Einfach zur Entspannung.

Für langwierige Soundchecks gibt es einige Favoriten, allen voran das Wintermärchen von Heinrich Heine. Das ist lang genug für so ziemlich jeden Technik-Test. Und nein, ich kann nicht alle Kapitel aus dem Gedächtnis rezitieren, aber bis zu

„Ja, Zuckererbsen für jedermann,
sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
den Engeln und den Spatzen.“

komme ich immer. Ich liebe eben Poesie, Gereimtes und Ungereimtes, Gedichte aus allen Epochen. Ich halte es schwer mit unserem Altvorderen Goethe, der da schrieb:

„Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!
Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,
Da ist alles dunkel und düster;
Und so siehts auch der Herr Philister.
Der mag denn wohl verdrießlich sein
Und lebenslang verdrießlich bleiben.

Kommt aber nur einmal herein!
Begrüßt die heilige Kapelle;
Da ists auf einmal farbig helle,
Geschicht und Zierat glänzt in Schnelle,
Bedeutend wirkt ein edler Schein,
Dies wird euch Kindern Gottes taugen,
Erbaut euch und ergetzt die Augen!“

Na, dann ergetzt Euch mal mit fünf meiner Lieblingspoeten …

Ingeborg Bachmann: Anrufung des Großen Bären.

Ingeborg BachmannDie „Anrufung des Großen Bären“ war ihr zweiter Gedichtband, erschienen 1956. Mit diesen Gedichten erhielt sie eine Festanstellung beim Bayerischen Rundfunk und sie wurde für einige Zeit Münchnerin. Insofern ist die Wahl gerade dieses Buchs vielleicht kein Zufall.

Dieser kleine große Band bietet sich aber auch deshalb an, weil er eines ihrer bekanntesten Gedichte enthält, ein Gedicht, in dem sie sich mit etwas auseinandersetzt, das ein Teil meines absonderlichen Berufs ist: mit Reklame.

Ingeborg Bachmann, Reklame (1956):

Wohin aber gehen wir
ohne sorge sei ohne sorge
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
sei ohne sorge
aber
mit musik
was sollen wir tun
heiter und mit musik
und denken
heiter
angesichts eines Endes
mit musik
und wohin tragen wir
am besten
unsre Fragen und den Schauer aller Jahre
in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge
was aber geschieht
am besten
wenn Totenstille
eintritt

Erich Fried: Es ist was es ist

Erich FriedIch bin grad ein wenig arg knapp mit Zeit. Deshalb nun ein Buch, über das ich nicht lange nachdenken und schreiben muss. Schließlich ist es was es ist. Also es heißt schon mal so: „Erich Fried: Es ist was es ist„.

Es ist ein Gedichtband. Den Fried hab ich schon gelesen, da war ich so klein, da gab es noch gar kein Outlook und ich hab meine Termine noch in den „Roten Kalender gegen den grauen Alltag“ aus dem Rotbuch-Verlag eingetragen. Jedes Jahr. Und irgendwo auf dem Dachboden in einem Karton liegen die alle noch. Mit allen Terminen. Und mit allen „Dates“ … ähäm.

Jedenfalls standen da immer auch Gedichte von Erich Fried drin.

Also, nun das Gedicht, das dem Büchlein den Namen gab:

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Nazim Hikmet: Das schönste Meer ist das noch nicht befahrene

Nazim HikmetIch liebe die Gedichte des großen türkischen Poeten Nazim Hikmet. Ihr kennt vielleicht die letzte Strophe aus seinem Gedicht „Davet – Die Einladung“:

„Leben, einzeln und frei wie ein Baum
und brüderlich wie ein Wald,
das ist unsere Sehnsucht!“

Das ist der vermutlich berühmteste Text von ihm. Und es war eines der Lieblingsgedichte meines leider viel zu früh verstorbenen Czyslansky-Bruders Hans Pfitzinger.  Wer mehr von Hikmet lesen möchte, dem empfehle ich seine Liebesgedichte in diesem zweisprachigem Band „das schönste meer ist das noch nicht befahrene„.

Die darin entaltenen Liebesgedichte schrieb er während seiner mehrjährigen Haft für seine Frau.
Seinen Titel hat der Band von diesem kleinen Gedicht übernommen:

Das schönste Meer ist
das noch nicht befahrene.
Das schönste Kind ist
das noch nicht herangewachsene.
Unsere schönsten Tage sind
die noch nicht erlebten.
Und das schönste Wort, das ich dir sagen möchte, ist
das noch nicht gesagte.

Pablo Neruda: Gedichte

Pablo NerudaEs wird höchste Zeit für einen Gedichtband von Pablo Neruda, dem Namenspatron meines Papageis – nein, der hieß nicht Neruda, sondern Pablo. Von Neruda stammen einige der allerschönsten Gedichte.

Leider bin ich des Spanischen nicht mächtig. Das ist schade, den es ist eine wunderschöne Sprache und vermutlich sollte man Neruda im Original lesen. Das Bändchen 99 aus der Bibliothek Suhrkamp enthält einige Gedichte Nerudas in beiden Sprachen. So kann man sich ein wenig die Sprache zurechtfabulieren.

Mein Lieblingsgedicht daraus ist die „Ode an die Zwiebel“, zu lang für den hier anschlagsbegrenzten Raum. Ein Auszug aber ist immerhin möglich:

Zwiebel
leuchtende Phiole,
Blütenblatt um Blütenblatt
formte deine Schönheit sich,
kristallene Schuppen
ließen dich schwellen,
und im Verborgenen der dunklen Erde
füllte dein Leib sich an mit dunklem Tau.

Zwiebel,
hell wie ein Planet
und zu leuchten
bestimmt,
unvergängliches Himmelszeichen,
rundliche Rose von Wasser
auf
dem Tisch
der armen Leute.

Auch gedenke ich, wie dein Zutun
die Freundschaft des Salates fruchtbar macht,
und es will scheinen, der Himmel hilft mit,
da er dir des Hagelkorns zierliche Gestalt verlieh,
deine feingehackte Helle zu rühmen
auf den Hemisphären einer Tomate…

Wenn das kein Liebesgedicht ist.

Francois Villon: Die lasterhaten Balladen und Lieder des Francois Villon

Francois VillonWie liebe ich auch meinen Villon. Das kleine Stück von der Mäusefrau gehört zu den Texten, die ich gerne neben Heine und Hikmet zur Mikrofonprobe nutze. Meistens führt dieses Gedicht zu einem breiten Grinsen bei den Anwesenden. Zurecht. Ich erinnere mich: auswendig gelernt hab ich es an einem verregnetem Tag in Südfrankreich. Es geht so:

Es schwamm der Mond in mein Gemach hinein,
weil er da draußen so allein
bei den entlaubten Bäumen stand.
Ich habe ihm ein Kissen hingerückt,
damit er ruhen konnte, und er tats beglückt
sich untern Kopf. Ich legte ihm die Hand
schnell auf die Augen, und da schlief er auch.
Mich aber plagte schlechte Luft im Bauch.
Sie plagte mich, bis eine Uhr schon zwölfe schlug.
Da hatte ich verdammt genug
und ließ sie ab, die Luft. Davon ist zwar
der Mond nicht aufgewacht, doch in dem Fenstereck
die Mäusefrau. Sie hat im ersten Schreck
geboren, was noch gar nicht gar nicht fällig war.
Die kleinen rosa Schnauzen piepsten da so nett,
dass ich sie zu mir nahm ins warme Bett.
Mein Gott, die lütten Dinger, noch ganz nackt
und blind: Wie hat das Elend mich gepackt!
Ich glaub, dass mir was Nasses in die Augen kam.
Dabei hat manches Mädchen schon von mir
ein Kind gekriegt und starb vor Scham.
Die armen Würmer aber kuschten sich
in meine Hand, als wäre ich ihr Vater Mäuserich.
Zuletzt war auch die Mäusefrau so zahm
geworden, dass sie schwänzelnd zu mir kam.
Die schwarzen Augen glänzten froh und gross
in mein Gesicht hinein.
Und plötzlich war ich auch so mäuseklein
wie dieses Tier und nahm es in den Schoß.
Ich habe wohl die ganze Nacht mit ihr verbracht
und an kein andres Weib dabei gedacht.
Im milden Licht der Winternacht
hab ich mich zu den Mäusen aufgemacht.
Du aber fragst, warum denn nur?
Hör zu, es ist kein Tier so klein,
das nicht von dir ein Bruder könnte sein.

Und nein, dies ist nicht die dumme Kinski-Version, es ist natürlich die von Paul Zech, die beste Übertragung, die ich kenne.

Und allen Villon-Freunden sei noch eine musikalische Version an Herz und Ohr gelegt: Poesie & Musik mit René Bardet. Die Gruppe gibt es schon lange nicht mehr. Die Aufnahme ist rund 40 Jahre alt, aber wunderwunderschön. Ich habe alle Platten von Poesie & Musik. Es gibt auch zwei Neruda-Platten. Mein Tipp: „Tiersammlung“. Unbedingt hören. Wenn man eine gute Flasche Wein mitbringt kann man sie sich auch bei mir anhören… Die Platten findet man aniquarisch. Einzelne Stücke auch auf YouTube, hier ein Gedicht aus der Villon-Platte:

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