Gestern Abend verstarb Herr Pablo. Er wurde ungefähr 40 Jahre alt. So genau wissen wir das nicht. Aber er lebte mehr als 30 Jahre in unserem Haushalt. Für einen Senegalpapagei ist das ein schönes Alter. Er starb einen natürlichen Tod. Er ist ganz einfach friedlich eingeschlafen und in den Papageienhimmel geflogen.

Sein Käfig ist leer und für uns ist das gar nicht so einfach. Immerhin habe ich länger mit ihm zusammengelebt, als mit meinen Eltern oder mit meinen Kindern. Und da gewöhnt man sich aneinander. Wir haben so manche Erdnuß geteilt. Und ich habe mich an seine Marotten gewöhnt. Und er hatte viele Marotten. Er ist in den letzten Jahren ein alter gelbgrüner Mann geworden, so wie ich ein alter weißer Mann geworden bin.

Er hat in dieser Zeit viel erlebt. 30 Jahre war er ein Mohrenkopfpapagei. Dann wurde er ein Senegalpapagei. Aber das ist eine andere Geschichte, die ihm ziemlich an den Schwanzfedern vorbei ging. 

Wir haben ihn nicht mehr fliegen lassen, weil er es auch kaum mehr konnte. Insofern haben wir uns flugtechnisch einander angeglichen. Er konnte nur noch geradeausfliegen. Keine Kurven mehr. Und seine Landungen waren völlig unkontrollierte und ziemlich chaotisch verlaufende Notlandungen. 

Also ging er lieber zu Fuß, aber auch das in einem eher merkwürdigem Stil. Er humpelte nämlich, dass es dem alten John Silver mit seinem Holzbein zur Ehre gereicht hätte. Ein Papagei, der hinkt, wie ein papageienbewehrter Pirat – ein seltsames Bild. Er hatte sich vor Jahren an seiner rechten Kralle verletzt, so dass er diese nicht mehr recht schließen konnte. Deshalb konnte er damit auch keine Nuss mehr packen und sich auch nicht mehr am Gitter festhalten. Er vergaß das aber regelmäßig, was beim Klettern im Käfig immer wieder zu verhängnisvollen Abstürzen führte. Gerne hätte ich ihm einen Helm gekauft, wie einem Bergsteiger. Oder aus einer Walnusschale einen gebastelt. Er hätte ihn wohl aus Stolz verweigert.

Er trug seine altersbedingten Behinderungen überhaupt mit stoischer Ruhe und großem Stolz. Langes Sitzen auf der Stange ermüdete ihn, so dass er zunehmend zum hühnergleichen Bodenhocker wurde. Er baute sich dann aus Kiefernzapfen eine Kopfstütze und verbrachte die halbe Nacht in einer Kuhle, den Kopf auf einem Zapfen ruhend. Es sah dann durchaus vornehm aus. Albern wirkte eigentlich nur, wenn er sich zum Schlafen in seinen Futternapf legte, der natürlich viel zu klein für ihn war.   Das tat er aber erst seit ein paar Monaten. Und wenn man dann lachte drehte er sich unwirsch um und wirkte ziemlich beleidigt.

Gerne hat Herr Pablo telefoniert. Also er hat sich an Telefon- und Videokonferenzen beteiligt, die ich im Home-Office geführt habe. So lernte er viele Menschen und Unternehmen kennen, oder, um korrekt zu sein, viele Menschen lernten Herrn Pablo kennen, wenn er sich plötzlich einmischte. „Verzeihung, haben Sie einen Vogel?“ wagten nur wenige zu fragen, aber viele haben sich so ihren Teil gedacht …

Er war eben ein älterer Herr mit ein paar durchaus seltsamen Eigenheiten.  Die Anrede „Herr Pablo“ hat er sich in seinem Alter verdient. Früher nante ich ihn nur „Pablo“. Anfangs lebte er noch mit seiner Mamagei Lisa zusammen.  Die starb früh, vor rund 20 Jahren. Damals haben wir Experten um Rat gefagt, was zu tun sei. Schließlich soll man Papageien nicht einzeln halten. Andererseits vertragen sie sich nicht mit jedem Partner oder mit jeder Partnerin. In Wien gibt es eine Art Eheanbahnungsinstitut für Papageien. Wir hatten überlegt Pablo dorthin zu bringen. Man hätte ihm dann einige mögliche Partnerinnen zugeführt und er hätte sich entscheiden können, ob ihm eine zusagt. Andererseits hat er die Trennung von Lisa gut überwunden. Vielleicht war sie ja eine rechte Zicke. Wir haben dann entschieden, dass er es erstmal als Single versuchen soll. Und er fühlte sich offenbar recht wohl als alleinstehender Herr. So haben wir ihm die Reise nach Wien erspart. Für einen Papagei ist so eine Reise ja auch beschwerlich. Alleine fliegen kann er nicht und Autofahren war nicht so seins.

Zu uns gekommen ist Herr Pablo als Jugendlicher. Sein Besitzer suchte anfangs nur für einen Urlaub Gasteltern für Pablo und Lisa. Als er dann nach Canada auswanderte zogen die beiden Geier bei uns ein und sind einfach geblieben. Ich hätte nicht gedacht, dass Pablo dann gleich für mehr als 30 Jahre bleiben würde, unterbrochen nur von einem einjährigen Intermezzo bei meiner Tochter in Regensburg. Da wollte er mal WG-Luft schnuppern. 

Aber die WG hat sich aufgelöst, Pablo kam zurück und so sind wir miteinander alt geworden und haben uns langsam einander angeglichen. Er hatte schon damals einen grauen Kopf, ich erst heute. Ich konnte schon damals nicht fliegen, er konnte es am Schluss nicht mehr. Nun flog er mir voran. Ade Pablo.  

4 Antworten

  1. Wunderschoene Hommage, Dottore!

    Werde ich mir mit seinem Bilde speichern. Nach Bazi, dem Sittich, und seiner Dame, waren die zwei Senegalesen mein zweites Flugpaar.

    Es war so schoen also Du und Marie die zwei anno 1993 damals uebernommen habt. Hat es fuer mich viel leichter gemacht.

    Alsdann, lasst uns eine Erdnuss knacken, in guter Erinnerung!

  2. Was für ein wunderbarer Nekrolog auf einen Freund fürs Leben.
    So humorvoll, kein bisschen rührselig und doch voller Zuneigung.
    Danke Dir, das Lesen war ein Genuss, trotz aller Trübnis, die Herr Pablos Ableben sicher verursacht hat, hast Du das federleicht in liebevolle Worte gekleidet.
    Respekt.

  3. Das Requiem auf Herrn Pablo hast Du aber schön geschrieben. Manche der Eigenschaften und Marotten erinnern mich an die eigene Situation im Alter (Jg,1939). Gott sei Dank ist mir das Single-Dasein allerdings bisher erspart geblieben.
    Herr Pablo — Requiescat in pace!

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