Julian Assange ist ein Getriebener. Besessen von dem eigenen Dogma Transparenz um jeden Preis; aber auch besessen vom eigenen Ego, der Kontrollwut und der Angst, irgendjemand könnte ihm den Schneid abkaufen. Mal ist er ein Alphatier, ein charismatischer Führer, dann wieder depressiv und an der Grenze zum Autismus. Auf der einen Seite ist erzutiefst überzeugt von sich, auf der anderen Seite zweifelnd. Gehetzt von Termin zu Termin, von Land zu Land, heute in Kenia, morgen in Island, misstraurisch und überheblich gegenüber der „alten“, weil gedruckten Presse, der vierten Macht. Irgendwie ist er ein Genie, das niemand so wirklich versteht, und leider behaftet mit allerhand charakterlichen Fehlern.
Daniel Domscheit-Berg ist das genaue Gegenteil. Ein überzeugter Jünger, ein Anhänger und Verteidiger, kreuzbrav und bieder hinter seiner Nerd-Brille und seinem Vollbart, infiziert und fasziniert vom großen Meister, den er immer wieder zitiert: „Julian hat gesagt… Julian hat aber gesagt“, gutgläubig, fast schon naiv. Und er ist der gute Mensch mit dem Gewissen. Denn er ist es, der zum ersten Mal die Frage in den Raum stellt, warum Dokumente, die auf Wikileaks veröffentlicht werden, nicht redigiert werden, wenn doch Gefahr für Leib und Leben besteht. Damit wirft er die Frage nach den Folgen des Tuns auf. Ethik aus der Verantwortung statt aus der Gesinnung.
Gegensätzlicher können die beiden nicht sein, glaubt man der Interpretation dieser beiden Charaktäre, wie sie Regisseur Bill Condon in seinem Film INSIDE WIKILEAKS zeichnet. Der Film basiert weitgehend auf Daniel Domscheit-Bergs Buch über Wikileaks. Domscheit-Berg, der 2010 WikiLeaks nach einer Auseinandersetzung mit Assange verließ, hat mittlerweile eine eigene Whistleblowing Website gegründet: OpenLeaks. Die allerdings ist in diesem Jahr offline gegangen.
Nun ist es Fluch und Segen der Biopics in Einem, sich an wahren Begebenheiten zu orientieren, sie aber nicht dokumentarisch nur an den Fakten zu halten, sondern diese zu interpretieren, mit Fiction zu umwegen und dramaturgisch in einen Erzählfluss zu bringen. Das ist auch bei INSIDE WIKILEAKS – DIE FÜNFTE GEWALT nicht anders. Das macht den Film und seine Story angreifbar, denn vieles, was so zu sehen ist, ist so nicht passiert. Entsprechend hat Fassange erst das Buch und jetzt gegen den Film öffentlich polemisiert: In einer E-Mail an Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch, der ihn im Film verkörperte. Diese Mail ist, wie sollte es auch anders sein, auf Wikileaks.org veröffentlicht worden:
Dort heißt es:
I hope that you will take such directness as a mark of respect, and not as an unkindness.
I believe you are a good person, but I do not believe that this film is a good film.
I do not believe it is going to be positive for me or the people I care about.
I believe that it is going to be overwhelmingly negative for me and the people I care about.
It is based on a deceitful book by someone who has a vendetta against me and my organisation.
Mit Kritik an seiner Person, wie sie Daniel Domseit-Berg (im Film gespielt von Daniel Brühl) geäußert hat, kann Fassange ganz offensichtlich nicht richtig umgehen, das zeigt auch der Film, den zu sehen sich allemal lohnt. Aber des hebt Assange natürlich von seinem Sockel, auf dem er sich wohl gerne sähe, herunter: Kein Heiliger, kein Robin Hood, kein Märtyer, der um der Wahrheit zu Unrecht verfolgt wird. Kein Apologet der Werte und kein Held. Eben ein Getriebener.
Angesichts der Bedeutung, die WikiLeaks hatte und noch immer hat, ist der Erfolg des Films eher dürftig. Laut imdb hat er in den USA keine drei Millionen Dollar eingespielt, in Deutschland hat er in den ersten zwei Wochen seit Start keine 80.000 Besucher in die Kinos gelockt.
Das ist, bei aller Kritik, die man an dem Film haben kann, bedauerlich. Denn er zeigt schon sehr deutlich, wie sich die Medienlandschaft in der Welt verändert hat, welche Macht das Netz hat, welche Macht die Leaks besitzen (können) und wie sie auf mittelbar und unmittelbar bestehende Regierungssysteme Einfluss nehmen. Eine fünfte Macht bildet sich in den Staaten, es ist spannend, ihre Entstehungsgeschichte mit anzusehen. Und es ist von großer Bedeutung, wer diese Macht steuert und kontrolliert. Wer diese Macht aber auch bezähmt, falls es notwendig sein sollte…
Und der Film zeigt, wie ransat die Entwicklungen fortschreiten. Vieles ist schon wieder Schnee von vorgestern: Die in INSIDE WIKILEAKS angesprochenen Veröffentlicungen der unbearbeiteten Botschaftsdepeschen 2011 waren letztlich doch nahezu belang- und folgenlos angesichts dessen, was noch folgen sollte. Damals veröffentlichte WikiLeaks Kommentare amerikanischer Botschafter über Regierungschefs zahlreicher Länder. Das ist fast schon vergessen, denn der ganz große diplomtische Knatsch blieb aus. Der kam erst durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch dessen Leben und Geschichte als Biopic auf der Leinwand zu sehen sein wird.
Quelle Filmplakat: Constantin Filmverleih