Buchbesprechung: Robert Antelme: Das Menschengeschlecht
Buchbesprechung: Robert Antelme: Das Menschengeschlecht Niemals hat mich ein Buch mehr verstört, niemals mehr berührt, als dieses: „Das Menschengeschlecht“ von Robert Antelme. Ich habe das
Paul Austers neuer Roman „Baumgartner“ hat ein Lesebändchen. Das ist hübsch. Man braucht es aber eigentlich nicht. Es ist ja kein dickes Buch. Und es ist kein schweres Buch. Nein, es liest sich leicht und man ist schnell durchgerobbt durch die 200 Seiten. Nicht, dass es eine oberflächlich und schnell dahingeschriebene Courths-Mahler-Lektüre für Intellektuelle wäre. Aber Paul Auster ist ein Verführer, der es einem leicht macht in den berühmten „Flow“ zu kommen. Ich war in zwei Abend- plus einer Badenwannensitzung „durch“. Ich benötige ohnehin keine Lesebändchen. Ich mache klassische Eselsohren. Und mein Baumgartner hat viele Eselsohren bekommen – an Stellen, die man sich merken muss für die spätere – also für diese – Besprechung.
Ja, ich richte mir ein gutes Buch zu, wie ein Kannibale sich einen Säugling zurichtet, um es mit Walter Benjamin zu sagen: rücksichtslos und liebevoll. Mein erstes Eselsohr verweist auf Seite 58. Paul Austers Baumgartner wandelt dort das Phantomschmerz-Syndrom zum Phantommensch-Syndrom. Dazu muss man wissen, dass Baumgartner nach dem Tod seiner Frau Anna an einem Essay über den Schmerz arbeitet, den Menschen erleiden, wenn sie ein Körperteil oder einen Menschen verloren haben. Beides seien einander ähnliche Erfahrungen. Zehn Jahre später erinnert sich Baumgartner angesichts eines Sturzes und zunehmender Alterserscheinungen an diesen Aufsatz und überhaupt lässt er in diesem Buch sein Leben ständig Revue passieren. Das ganze Buch handelt von Liebe, Tod und Abschied. „Partir, c’est toujours mourir un peu“. Nein, das ist nun nicht von Baumgartner und auch nicht von Paul Auster. Es ist von Alphonse Allais und geht weiter: „Mais mourir, c’est partir beaucoup“. Und das passt natürlich vorzüglich zu diesem Buch. Denn der 76 Jahre alte Paul Auster leidet seit einiger Zeit an Krebs und dieses Buch ist vielleicht nicht nur sein Alterswerk, sondern so etwas wie sein Vermächtnis.
Tatsächlich weist Baumgartner an manchen Stellen durchaus autobiografische Züge auf, freilich ohne eine Autobiografie zu sein. Anna, die verstorbene Frau Baumgartners ist eine geborene Auster. Letztlich setzt Paul Auster mit dieser Figur seiner Frau Siri Hustvedt ein literarisches Denkmal, die selbst eine bekannte Schriftstellerin ist. Anna schreibt wunderschöne Gedichte, die aber erst durch die editorische Arbeit Baumgartners bekannt werden. Das ist liebevoll, aber doch auch ein wenig altväterlich. Hustvedt ist heute eine anerkannte Schriftstellerin – auch ganz ohne, oder vielleicht sogar eher gegen die dominante Haltung ihres angeheirateten Großschreibers. Bekannt geworden ist Hustvedt, genau, mit Gedichten.
Ich schätze die Bücher Austers wirklich, aber letztlich ist auch dieses Buch ein Roman, der sehr eng klassischen männlichen Rollenritualen verhaftet bleibt…
Eine der schönsten „Stellen“ im Buch ist der gespenstische Anruf seiner verstorbenen Anna auf dem toten Telefon in ihrem alten Arbeitszimmer. Baumgartner telefoniert mit ihr, wobei er sie nur hören kann, er kann nicht mit ihr sprechen. Ihm ist natürlich klar, dass sie nicht real ist, dass sie nur durch ihn, durch seine Liebe und seine Erinnerung zu ihm reden kann. Die Toten sind mit den Lebenden nur über die Lebenden verbunden. Sobald die Lebenden gehen, gehen auch die Toten endgültig. Eine schöne materialistische Auflösung eines Totenkults, eine Versöhnung mit katholischem Totensonntag und indianischem Ahnenkult. Und ein schweres Erbe für Siri Hustvedt. Ziemlich hinterhältig, mein zweites Eselsohr, wenn man es genau bedenkt.
Im weiteren Verlauf geht es Paul Auster wie seinem Protagonisten: er springt ein wenig unkonzentriert und alterssenil hin und her. Baumgartner ist ein Roman mit offener Hose. „Mit offener Hose“ kehren Senioren mit zunehmendem Alter immer häufiger von der Toilette zurück bemerkt Baumgartner an meinem vierten Eselsohr. So wie er selbst nach unten geht um ein Glas Saft aus der Küche und ein Buch aus dem Wohnzimmer zu holen um oben im Arbeitszimmer dann entweder ohne Saft oder ohne Buch anzukommen. Oder ohne beides. Oder er hat oben angelangt komplett vergessen, warum er überhaupt nach unten gegangen war. Nun, das Problem mit der offenen Hose hab ich bei mir noch nicht beobachten müssen, das mit dem Saft und dem Buch kenne ich auch. Vielleicht haben mir die mittleren Kapitel von Baumgartner auch deshalb weniger Spaß bereitet …
Ich will ehrlich sein: Baumgartner ist nett geschrieben. Und Paul Auster überrascht einmal mehr mit einigen vorzüglichen eselsohrigen Ideen und einer verführerischen Sprache. Wirklich gefesselt haben mich seine frühen Romane: Stadt aus Glas, Im Land der letzten Dinge, Timbuktu, Das Buch der Illusionen, Die Brooklyn-Revue und zuletzt noch Unsichtbar.
Trotzdem: Ein Lese-Tipp: Paul Auster: Baumgartner.ISBN 978-3-498-00393-7. 22,- €. Bei der Buchhändlerin Deines Vertrauens oder falls die schon aufgegeben hat bei buch7. Für den Link-Tipp bekomm ich zwar nichts aber der soziale Buchversender buch7 spendet bei jeder Bestellung.
Illustrationen © Michael Kausch
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Czyslansky ist das Blog von Michael Kausch. Hier schreibt er privat über alles, was ihn interessiert: Literatur, Hifi, Musik, Reisen, Fotografie, Politik und Digitalkultur.
Beruflich ist er als Kommunikationsexperte spezialisiert auf strategische und konzeptionelle Unternehmensberatung und Coaching im Bereich integrierter Unternehmens- und Marketingkommunikation, Markenkommunikation, Reputationsmanagement, Krisen-PR, strategisches Social Media Marketing, Inbound Marketing und vertriebsorientierte Öffentlichkeitsarbeit.