Zu Besuch bei Verdi, Don Camillo und Stradivari. Kein Reiseführer nach Verona, Brescello und Cremona.

Vor wenigen Tagen kam ich von einem einwöchigen Kurztrip aus Norditalien zurück, eine Fahrt, die mich nach Verona, Brescello und Cremona führte, an drei Orte, die ich mit drei großartigen Italienern verbinde: mit Verdi, mit Don Camillo und mit Stradivari.  Don Camillo war gar kein Italiener? Er war Franzose? Ein französischer Schauspieler mit Namen Fernandel? Na gut, aber der Schriftsteller, der ihn geschaffen het, der war ein Italiener, wie er italienischer gar nicht sein kann: Giovannino Guareschi. Und gut, er lebte nie in Brescello, aber er wurde in Fontanelle di Roccabianca geboren, und das liegt ebenso in der roten Emilia, wie Le Roncole, in dem er lange lebte und Brescello, in dem alle Don-Camillo-und-Peppone-Filme gedreht wurden. Und überhaupt geht mir das ebenso am Po vorbei, wie der Po dort vorbei fließt. Wenn er fließt und nicht ausgetrocknet ist. Aber dazu kommen wir später. Denn die Reise beginnt in Verona. Und das ist hier auch kein Reiseführer. Denn wer zwischen Verona, Brescello und Cremona alles sehen will, was es zu sehen gibt, und erst recht wer in Venetien, der Emilia und der Lombardei alles erleben will, was es zu erfahren gibt, der benötigt ein ganzes Leben. Ich war aber nur eine Woche unterwegs. Und ich hake keine Sehenswürdigkeiten ab. Ich hatte nur einen 30 Jahre alten Italien-Reiseführer dabei, meine Italienisch-Kenntnisse reichen gerade mal für die Speisekarte und meine Neugier ist viel zu groß, als dass ich mich von Sehenswürdigkeiten aufhalten lassen kann. Also auf zu Verdi …

Bei Verdi in Verona. Zu Besuch in der Arena.

Der unmittelbare Anlass für meine Kurzreise waren die diesjährigen Opernfestspiele in Verona. Zwei Aufführungen in der Arena in Verona standen auf meinem Programm: Rigoletto und La Traviata.

Einige Tipps zum Besuch der Arena

Natürlich stell sich die Frage: Wo sitzen? Unten auf den gepolsterten Sitzen vor der Bühne? Oder oben in den steinernen Rängen? Und wenn in den Rängen: auf nummerierten Plätzen oder weiter hinten auf den preiswerten nicht nummerierten Plätzen?

Ich habe eine klare Empfehlung: Ich rate von den teuren Plätzen unten ab. Warum? Die Arena fasst mehr als 20.000 Zuschauer. Die Bühe ist enorm breit. Ebenso breit ist der Orchestergraben. Sitzt man nahe an der Bühne, hat das zwei entscheidende Nachteile: Der Klang zerreist, das Klangpanorama wird extrem breit. Und man sitzt so tief, dass man in den vorderen Reihen visuell nicht mehr verfolgen kann, was zum Beispiel im „Obergeschoss“ der Bühnenaufbauten geschieht. Was sich bei La Traviata im Schlafzimmer im ersten Stock abspielt wird dem Voyeur auf den vorderen Reihen für immer verschlossen bleiben. Wie schade. 

Wenn es das Reisebudget hergibt sollte man auch die billigen nicht nummerierten Plätze ganz hinten vermeiden. Da wird es erstens arg eng und zweitens sitzt man schon extrem weit von der Bühne entfernt. Sehr empfehlenwert finde ich die Plätze im Segment „Verdi“, am besten möglichst zentral auf Höhe der Plätze der Ehrentribüne. Optimal ist Reihe 10 im Sektor Verdi. Dann ist die Höhe zur Bühne optimal. Man sitzt aber schon recht weit von der Bühne weg. Die Akustik erinnert dann an eine alte Mono-Aufnahme. Es fehlen die Reflexionen von den Seitenwänden und der Decke. Der Vorteil von Reihe 10: Man hat niemanden vor einem Sitzen. Da die Bestuhlung in der Arena sehr eng ist – viel enger als in einem der klassischen Opernhäuser – stört dann höchsten noch ein spitzes Knie, das sich einem von hinten in die Schulter bohrt. Im Zweifel empfiehlt es sich gradzahlige Sitzplätze zu ergattern. Dann zieht man von rechts in die Arena ein, was in der derzeitigen Bauphase erheblich schneller geht, als von links. Das kann aber im nächsten Jahr schon wieder anders sein. Und gebaut wird in der Arena ja eigentlich immer irgendwo.

Im Bereich Verdi sind die Sitze nicht gepolstert. Selbst wer wie ich eine gewisse Polsterung rein physiogomisch stets mit sich führt,sollte trotzdem ein zusätzliches Kissen dabei haben. Notfalls kann man sich ein Kissen direkt vor der Arena bei reizenden Verkäuferinnen besorgen:

Verona Kissenverkäufer

Es genügt eine gute Stunde vor Veranstaltungsbeginn an der Arena zu sein. Auf dem Platz vor der Arena gibt es zahlreiche Restaurants. einige davon sind weniger schlecht, als man das erwartet. Vielleicht hatte ich auch nur Glück. Jedenfalls habae ich am ersten Abend einen ganz hervorragenden Fisch zu sehr fairen Preisen mit ausgezeichnetem Service direkt am Platz genossen. Kleiner Tipp: Direkt hinter der Arena in der Via Leoncino gibt es eine kleine Bar die nur von Italienern und zu meiner Zeit gar nicht von Arena-Besuchern besucht wurde, und in der man sehr gut einen kleinen Imbiss und sehr ordentliche Weine zu sich nehmen kann. Aber nicht weiter erzählen. Sonst sitzen dort irgendwann auch lauter Opernbesucher.

Ach ja, die Kleidungsfrage: Ich finde ja immer noch, dass man die Oper nicht in Alltagskleidung besucht. In die Oper gehe ich noch immer in Anzug und Fliege. Das muss in der Arena nicht sein. Aber lange Hosen sollten sein. Und ein Jacket hatte ich zumindest dabei. Trotz Hitze. Und unten auf den teuren Plätzen sieht man schon auch Anzüge. Und ich finde es schon irritierend, wenn da Leute in Ringel-T-Shirts sitzen … Auch die Arena in Verona ist nicht die Arena des FC Bayern München … Aber vielleicht bin ich da ein wenig altmodisch.

Verona ist mehr als nur die Arena

Ich hatte nicht wirklich viel Zeit in Verona. Mehr oder weniger habe ich mich nur ein wenig treiben lassen in der Altstadt, die zum Bummeln und Sich-treiben-lassen durchaus einlädt. Auch an der Etsch kann man wunderschön spazieren gehen. 

Kurzbesuch in Sabbioneta

Von Verona aus ist es nicht weit nach Brescello. Ein kleiner Umweg nach Sabbioneta lohnt sich aber. Sabbioneta ist ein UNESCO-Weltkulturerbe und trotzdem kennen es nur wenige. Das hat den großen Vorteil, dass es zwar einen großen Parkplatz, aber kaum Touristen gibt. 

Sabbioneta ist ein kleines Renaissance-Städtchen in der Nachbarschaft von Mantua mit gut 4.000 Einwohnern, eingeschlossen von einer Stadtmauer, verträumt, verschlafen und über Mittag weitgehend verschlossen. Hier gibt es nichts zu erleben und man hat den Ort schnell durchschritten, es sei denn, man hat seinen Fotoapparat dabei, es ist nicht allzu heiß und man hat Freude an der etwas maroden und verlassenen Traurigkeit halbtoter Orte.

Mich hat Sabbioneta sehr an Kuldiga, eine kleine Stadt in Lettland erinnert, in der heute gelegentlich Filme gedreht werden, die im Russland des 19. Jahrhunderts spielen. Man muss dort keine Kulissen bauen, da alles noch so aussieht, wie damals. Auch Sabbioneta ist eine Altstadt, die alt ist und alt aussieht. Ein Besuch lohnt sich. Unbedingt.

Es gibt auch einen kulinarischen Grund, warum man unbedingt mal nach Sabbioneta muss. Es gibt fränkische Küchle. Sie sind eine Spezialität in Sabbioneta. Sie heißen hier natürlich anders. Aber sie schmecken genaus so, wie in meiner fränkischen Heimat. Man isst sie in großen Bergen zu Parma-Schinken oder Käse als Vorspeise und trinkt dazu perlenden frischen kühlen Weißwein. Herrlich.  

Bei Don Camillo und Peppone in Brescello

Die Filme mit Don Camillo und Peppone habe ich schon als Kind geliebt. Und ich mag sie noch immer. Der katholische Priester und der kommunistische Bürgermeister, die in der kleinen italienischen Stadt am Po den großen italienischen Antagonismus zwischen PCI und DC in personalisierter Form nachspielen und die die Dialektik zwischen Befreiung der Menscheheit und Befreiung des Menschen mit Humor und Ironie persiflieren, das ist verfilmtes Volkstheater vom Feinsten. Außerdem hab ich diese eigenartige Grundstimmung immer gemocht, diese Slow Motion des Alltags. Der Alltag in Brescello bewegt sich immer ein wenig wie das Wasser im Po: langsam, träge, ruhig, absehbar. Selbst die Katastrophen, das Hochwasser von 1951, das ja auch in einem der Don-Camillo-Filme vorkommt, hatte irgendwie menschliches Format. 

Seit vielen Jahren wollte ich an diesen Fluss. Ich wolle an seinem Ufer stehen und zuschauen, wie seine trägen Fluten an mir vorüberziehen. Ich wollte die flirrende Hitze spüren und selbst so träge werden, wie der Fluss. Ich hatte immer ein ein Bild von diesem Fluss im Kopf, ein Bild, das irgendwie aus Don-Camillo-Filmen stammte, aber irgendwie sich auch ein wenig aus Filmen der Tavioni-Brüder und aus „La Strada“ speiste. Und ich hatte die Sorge, der Po könnte in diesem Jahr ausgetrocknet sein. So wie im vergangenen Jahr. Und ein wenig war er es auch. Ich konnte ein Stück im Bett des Po spazieren gehen: 

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Aber ganz so schlimm war es dann nicht. Zum Teil lag er doch noch relativ frisch im satten Grün gebettet.

Brescello am Po ist ein verlassenes Kaff, dass sich seit Don Camillo und Peponne kaum verändert hat. Fast alle Häuser aus den Filmaufnahmen stehen noch: der Bahnhof, das Haus von Peppone, das Rathaus, die Kirche sowieso. Und in jeder Bar, in jedem Laden hängen verblichene Fotos aus dem Film oder von den Dreharbeiten. Jeder versucht ein wenig Profit zu machen aus der Geschichte. Es gibt ein Don-Camillo-und-Peppone-Museum, ein Museum zu den Filmaufnahmen und noch ein Museum zur Ortsgeschichte. Man hat einen alten amerikanischen Panzer aufgestellt, weil in einem der Filme ein alter amerikanischer Panzer vorkommt, man hat einen russischen Dorfplatz nachgebaut, weil Peponne und Don Camillo in einer Folge nach Russland fahren, auf dem Hauptplatz steht vor der Kirche das Denkmal Don Camillos und vor dem Rathaus das Denkmal Peppones. Angeblich kommen jedes Jahr 50.000 Touristen nach Brescello. Als ich da war, war tote Hose. Das Städtchen war verschlafen und man konnte froh sein, das am Abend wenigstens entweder die Bar am Hauptplatz, oder die Bar in der Hauptstraße geöffnet war. In der Bar in der Hauptstraße konnte man sogar vernüftig speisen.

Brescello ist ein Ort für die Durchreise. Und fürs träumen. Man sollte aber nicht versuchen, den Traum zu verwirklichen. Mehr als einen Tag ist der Ort leider nicht wert.

Ich hab dann wie einst Don Camillo den altern Herrn am Kreuz in der Kirche von Brescello – wenn man rein kommt gleich links im Nebenraum – gefragt:

„Herr, was ist hier los? Bei Don Camillo war es doch hier voller Leben?“

„Mein Sohn, das ist lange her. Die Scheinwerfer sind schon lange aus.“

„Und was soll ich tun, Herr?“

„Mach dich auf den Weg. Fahr nach Cremona. Da hängt der Himmel voller Geigen.“

In Cremona hängt nicht nur der Himmel voller Geigen

Im Vergleich zu Verona und Brescello ist Cremona sicherlich die bezaubernste Stadt: sie ist jung, lebendig, historisch wertvoll und trotzdem modern. Natürlich gibt es viele Touristen in Cremona, aber sie dominieren die Stadt nicht. Etwas ganz anderes dominiert die Stadt: Geigenkästen. Man sieht hier fast ebensoviele junge Menschen mit einem Geigenkasten auf dem Rücken, wie mit einem City-Rucksack. Mir ist nicht ganz klar, ob sich wirklich in allen diesen wunderschönen Behältern Saiteninstrumente befinden. Vielleicht transportieren einige Leute auch ihre Trinkflaschen und Brotzeitdosen in Violinenkoffern. Vielleicht gilt das in Cremona als stylisch. Vielleicht aber gibt es hier wirklich so viele Musikstudenten und Musiker*innen. Überraschend wäre es eigentlich nicht in der Stadt der großen Geigenschulen und Geigenbauer.

Natürlich war ich im „Museo del Violino di Cremona„. Und ich empfehle jedem einen Besuch dieses phantastischen Museum, ganz egal, ob er weiß, was ein Violinschlüssel ist oder nicht. Dieses Museum ist einfach wunderbar. Es beherbergt nicht nur wunderschöne Instrumente von Stradivari, Amati aber auch zeitgenössischen Meistern aus allen Kontinenten, sondern es ist multimedial und didaktisch hervorragend aufgebaut. Man muss auch nicht unbedingt italienisch können. Englisch tut es zur Not auch. Also bitte: wer Cremona besucht und dieses Museum verpasst, der hat nicht alle Saiten aufgespannt.   

Und wie schon gesagt und geschrieben: Die Altstadt ist wunderschön. Lasst Euch treiben. Cremona ist sicherlich einige Tage Aufenthalt wert. Ich denke, ich komme wieder.

Ich bin kein Reiseführer. Und dieser kleine Artikel erhebt nicht den Anspruch ein Reiseführer zu sein. Es ist ein kleiner Reisebericht. Ich lasse mich gerne in fremden Städten treiben. Was ich sehe und was ich verpasse ist oft Zufall. Man muss sich treiben lassen. „Sur l’eau“, wie es bei Adorno heißt. So lange noch Wasser im Po ist. 

Illustrationen © Michael Kausch

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Eine Antwort

  1. Vielleicht ist in einem der Geigenkästen, die die Jungen Leute in Cremona auf dem Rücken spazieren tragen, doch keine Brotzeit, sondern eine Stradivari. Denn: Die Geigen in den Glasvitrinen des Museums müssen ja von Zeit zu Zeit bespielt werden, damit sie nicht herunterkommen. Und zu erfahren ist, dass sie für diesen Zweck an junge, vielversprechende Musik(hoch)schüler ausgeliehen werden.

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