Michael Kausch hat richtig festgestellt, dass Czyslansky die Zehn für eine magische Zahl hielt. Da er alle anderen Zahlen ebenfalls für magisch hielt, heißt das nichts. Dennoch wollen wir künftig in der Rubrik „Czyslanskys Czehn“ das Zahlenspiel fortsetzen. Diesmal: „Die 10 ekelhaftesten Dinge, die ich in meinem Leben gegessen habe“

1.    „lebendes Affenhirn“

Bei einer Rundreise mit dem Motorrad durch Südchina freundete ich mich mit unseren Führer an, der mich anschließend in Kanton in ein Lokal führte, in dem man Affen bei lebendigem Leib in ein Gestell festschraubte und ihnen Schädeldecke mit einer Stichsäge abtrennte. Das Tier winselte noch leise, zeigte aber ansonsten keine Regung. Das Gehirn wird mit einem Eierlöffel ausgelöffelt und schmeckt ziemlich fad – genau wie der Nachgeschmack des ganzen Abends.

2.    Hund

Als ich Anfang der 80er Jahre per Anhalter von Singapur nach Bangkok trampte, nahm mich ein Autofahrer mit in sein Dorf, wo wir um ein Feuer saßen und ein köstliches, scharf gewürztes Fleischgericht aßen. Ich war neugierig und fragte, was da sei. Er deutete daraufhin wortlos auf eines der Hunde, die zwischen den Gästen herumstreunten und meinte: „Lecker!“

3.    „Fangfrische“ Forelle in der Gaststätte St. Bartholomä am Königsee

Die Fahrt mit dem Elektroboot über den malerischen Königsee bei Berchtesgaden gipfelt in einem Landgang  bei St. Bartholomä mit Wallfahrtkirche und spektakulärem Blick auf den Watzmann. Natürlich möchte man sich eine fangfrische Seeforelle gönnen und eilt ins malerische Gasthaus. Der Fisch, der einem dort serviert wird, stammt aber aus der Tiefkühltruhe und schmeckt, als wäre er in altem Motoröl gebraten. Mein Tipp: Nebenan zu Fischermeister Thomas Amort ins „Fischerlstüberl“ gehen. Er ist der einzige, der im Königsee fischen darf, und mit seinem Nachbarn versteht er sich nicht – also kriegt der auch keine Forellen, sondern muss sie sich aus der Fischzucht kommen lassen.

4.    Selbstgesammelte „Steinpilze“

Im Herbst sind die Wälder des Lungau, ein Alpental südlich von Salzburg, stets mit Pilzsuchern überlaufen, weil hier Unmengen von Steinpilze wachsen. Mein Korb war schon fast voll, da sah ich einen wunderschönen Pilzkopf am Wegesrand liegen, den offenbar jemand fallen gelassen hatte. Am Abend dann der erste Bissen des Pilzragouts – und ich musste fast speien! Der vermeintliche Steinpilz war ein Gallenröhrling, und der achtslose Pilzsammler wusste genau, warum er ihn weggeworfen hatte. Nur sehen die beiden fast gleich aus, vor alle, ohne Stiel.

5.    Braunbär

In der finnischen Hauptstadt gibt es ein Restaurant, dass russische Spezialitäten anbietet, darunter auch „Braten vom Braunbären“. Muss man mal probiert haben, dachte ich und bestellte. Auf den Tisch kam ein steinharter Fleischklumpen, der ich nicht einmal mit dem Holzbeil klein gekriegt hätte. Der eine Bissen, den ich schließlich abgetrennt und gegessen habe, schmeckte wie ein jahrelang getragener Wanderstiefel, der ein paar Wochen in Wacholderbeermarinade gelegen hatte.

6.    Stierhoden

Eigentlich finde ich Stierhoden ja ganz gut, jedenfalls geschmacklich, wenn sie mit gedünsteten Zwiebeln in Rotwein in einem kleinen Restaurant neben der winzigen Corrida von Ronda in Andalusien aufgetischt werden. Den Ekel hat mir dagegen mein Kollege Egon Stengl verpasst, als er mir dazu folgenden Witz erzählte: Sitz ein Deutsche im Restaurant und sieht, wie der Kellner eine Tablett zum Nebentisch bringt, auf dem zwei große, braune Kugeln in einem Suppenteller schwimmen. Er fragt, was das sei und bekommt vom Kellner gesagt, es handele sich um eine ganz besondere Spezialität, Stierhoden eben. Nur seien sie jetzt leider aus, aber morgen sei wieder Stierkampf, und wenn der Herr vielleicht vorbestellen wolle, dann ließe sich bestimmt was machen. Der Gast nimmt am nächsten Abend erwartungsvoll Platz, aber in dem Teller, den ihm der kellner bringt, sind leider nur zwei kleine, olivengroße Kügelchen. Auf seine Frage, was los sei, zuckt der Kellner bedauern mit den Achseln und sagt: „Verzeihen Sie, mein Herr, aber heute hat der Stier gewonnen…“

7.    Schafsaugen

Wenn im Ramadan die Sonne über Kairo versinkt, geraten die Ägypter ganz aus dem Häuschen. Sie haben den ganzen Tag gefastet und schieben jetzt so richtig Kohldampf. Unsere Tochter hatte sich im Flieger mit einer kleinen Ägypterin angefreundet, und ihr Vater lud uns zum Abendessen in seinem Lieblingslokal ein, wo schon seit dem Nachmittag ein Schaf am Spieß gebraten wurde, damit es pünktlich zum Sonnenuntergang fertig war. Und da ich der Ehrengast war, brachte mir der Keller das Beste vom Besten, nämlich die beiden Augen, hübsch angerichtet mit ein paar Salatblättern und Zitronenscheiben. Was tun, wenn der ganze Tisch gespannt schaut, wie es mir schmeckt? Man steckt so ein Ding in den Mund. Es fühlte sich an wie eine glitschige Murmel, und als ich drauf biss platze es wie eine etwas zähe Seifenblase, die mit einer leicht ranzig schmeckenden Seifenlauge gefüllt war. Zum Glück war der Geschmack nicht besonders kräftig, sonst weiß ich nicht, was passiert wäre. Ich nehme an, dass Speien bei Tisch auch in Ägypten eher ungern gesehen wird.

8.    Haggis

In der digitalen Gesellschaft ist alles in zwei Lager geteilt: Plus und Minus, an und aus, schwarz und weiß, Haggis-Freunde und Haggis-Hasser. Das schottische Nationalgericht besteht aus einem Schafsmagen, der mit einer Mischung aus kleingehackten Schafsinnereien, Haferflocken und schottischen Gewürzen („schottische“ Gewürze? Ginster, vielleicht, aber sonst?) gefüllt wird, bis er zu platzen droht, was gelegentlich auch vorkommen soll. Es schmeckt auch so, wie es aussieht. Meine Meinung, jedenfalls. Viele Schotten, aber beileibe nicht alle, lieben das Zeugs. Die anderen haben dafür aber auch eine nützliche Verwendung gefunden, nämlich den Haggis-Weitwurf. „Haggis Hurling“ ist eine zumindest in Schottland anerkannte Sportdisziplin, und einmal im Jahr werden sogar Weltmeisterschaften ausgetragen. Den Weltrekord hält ein gewisser Alan Pettigrew, der den rund ein Pfund schweren Haggis immerhin 180 Fuss (ca. 60 Meter) weit warf. Er stand beim Abwurf reglementgemäß auf einem Whiskeyfass, was mich zu dem einzigen Grund führt den es gibt, um Haggis zu essen: Es wird dazu traditionell jede Menge von dem schottischen Lebenswasser getrunken. Und nach drei, vier „wee Drams“ merkt man sowieso nicht mehr, was man isst.

9.    Schlagenschnaps

Hier gibt es für mich gleich zwei heiße Kandidaten. In Korea werden im Herbst frischgefangene Schlangen lebend in Einmachgläsern eingelegt, die mit Reisschnaps gefüllt sind. Die Gläser werden im Garten verbuddelt und im Frühjahr ausgegraben. Bis dahin ist von der Schlange nur noch das Gerippe übrig, der Rest hat sich aufgelöst und verleiht dem Getränk eine im Wortsinn atemberaubend widerlichen Geschmack. Aber für Ekel pur, vermischt mit Todesangst, geht nichts über das Schlangenrestaurant in Kanton, wo man vor unseren Augen einer  lebendigen Kobra am Tisch den Kopf abhackte und die beiden erbsengroßen Giftblasen aus dem Hinterkopf schnitt. Der Keller stellte zwei Gläser mit einem strengriechenden Destilat auf den Tisch, nahm die braunen Kugeln zwischen zwei Finger, stach sie mit einem spitzen Messer auf, ließ die Flüssigkeit ins Glas tropfen und bot sie uns mit einem triumphierenden Blick und einem anerkennenden Kopfnicken an, nach dem Motto: „Das ist was für richtige Kenner!“  Ich habe, was sonst nicht meine Art ist, dankend abgelehnt, woraufhin ein alter Chinese am Nebentisch mir mit Gesten bedeutete, wenn ich nicht wolle würde er ihn gerne trinken, was er dann auch tat. Warum wurde später klar, als der Kellner uns erzählte, dass Schlangengift in China als starkes Aphrodisiakum gilt – wie eigentlich fast alles im Reich der Mitte.

10.    Kimchi

Okay, Kimchi ist nichts anderes als Sauerkraut, und ich habe nichts gegen ein zünftiges Choucroute garni. Und das Zeugs ist in aller Regel scharf wie Nachbars Lumpi, aber auch gegen scharfes Essen habe ich nichts (ich liebe die südindische Küche Karalas, zum Beispiel, wo man manchmal das Gefühl hat, es brennt einem gleich ein Loch in die Zunge). Aber wenn man eine Woche lang in Südkorea unterwegs war und muss den ganzen Tag diesen penetranten Geruch leise vor sich hinsimmernden Krauts erdulden, dann fängt man irgendwann an, sich vor dem Abendessen zu grauen. Das ist umso peinlicher, als jede ordentliche koreanische Hausfrau auf ihr Kimchi-Rezept, das natürlich ganz anders und besser ist als alle anderen Kimchi-Rezepte (jedenfalls für die Koreaner) ganz besonders stolz ist, was ihre jeweiligen Ehegatten natürlich auch finden, so dass man Gefahr läuft, gleich beide zu beleidigen, wenn man beim obligatorischen Kimchi-Nachschöpfen abwinkt. Aber da muss man halt durch…

6 Antworten

  1. Mensch Gerhard, der Grasselwirt und seine Schlachtschüssel sollten eigentlich ein Geheimtipp nur für allerbeste Freunde bleiben. Und Du posaunst das hier auf der czyslanky-Plattform öffentlich rum. Bald werden wir keinen Platz mehr bekommen. Fehlt nur noch, dass Du verlinkt hättest. Gottlob ist das nicht möglich, weil der Grassel offenbar kein Internet braucht, um als Metzger und Gastronom erfolgreich und zufrieden zu sein. Jetzt, wo alle auf den Geschmack gekommen sind, könnte auch Edelfeder und Schlangenfresser Tim Cole seinen Senf dazugeben – etwa in einer Kolumne über jene 10 Spezialitäten, die seinem erprobten Gaumen am besten gemundet haben. Mal sehen, ob Wammerl, Grofleisch und Blutwürscht von Grassel dirn vorkommen.

  2. Als aufmerksammer und heimlicher Leser dieser Schriftschaften muss ich nun doch mal meine Stimmfinger erheben.

    Die Beschreibung des ersten Ekels drängt mich zu der Frage ob das tatsächlich im Erfahrungsschatz des Herrn Cole abgelegt ist.
    Sei dem so, möchte ich meinen Protest aussprechen:

    Lebensfeindliche und tierquäleriche Verhaltensweisen fremder Sitten und Länder beizuwohnen, mag sich für manche nicht immer vermeiden lassen. Solch Grauenswerk jedoch durch eigenhändiges Auslöffeln der grausammen „Suppe“ jedoch zu untersützen/billigen, übersteigt mein Verständnis des freien Willens. Ich möchte nicht annehmen das die Affenqual durch Herrn Cole gewollt war, nein das glaube ich wirklich nicht. Eine etwas abwehredere Beschreibung der Vorgänge hätte ich jedoch zumindest erwartet.

    in gequälter Ablehnung tiericher Grausammkeiten,
    Tobias B.

  3. Was ich in dieser Liste arg vermisse, sind die einheimischen Ekelgerichte. Da reist einer rund um den Globus, um Scheusslichkeiten zu essen und erwähnt nicht die Fleischpflanzerl aus der Fraunhofer Schoppenstube, den Jungschweinebraten vom Donisl, sowie das Helle von Löwenbräu!

    Wie sagte schon Czyslansky immer: Warum in die Ferne reisen, das schlechte ist so nah“

  4. @Tobias Be: Sie haben völlig recht! Ich kann nur jugendlichen Liechtsinn und kulinarische Abenteuerlust als mögliche Entschuldigung ins Feld führen. Es ist halt viele Jahre her. Aber die Erinnerung quält mich bis heute. Ein Trost? Nee, nicht wirklich…

  5. @Tim Cole:
    Ein Trost nicht, nein.
    Der arme Affe braucht diesen jedoch auch nicht mehr wirklich.
    Darum ist die Antwort vollkommen beruhigend.

    Eine „Richtige Einstellung“ ist eh eine sehr subjektive Kamera.
    Ich gehe natürlich davon aus das meine Einstellung die richtige ist, ich versinke nicht gern in Selbszweifel ;), aber Kultur, Tradition und „das wahr schon immer so“ können Viel Matsche in ein gesundes Hirn schmieren. Ich werde also selbst meinen despotischen Zeigefinger in die affenverachtenden Regionen bewegen und die fehlgeleiteten Einwohner auf ihr Vergehen hinweisen…
    Oder ich bleib aus faulheit, bequemlichkeit, geldmangel hier und belehre erstmal kleine, picklige, hamsterquälende Kinder in Sachen „Respekt den genetischen Vorfahren“. Das wäre auch genug Arbeit.

    p.S. Ihr neuerlicher Beitrag über Nacktscanner brachte mich von meiner subjektiv „Richtigen“ Meinung auf meine neue ebenso subjektiv richtige Meinung.
    Sagt die Werbung doch schon: Nur Gucken, nciht anfassen!

    Grüße.

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