Literarisches Quintett

Literarisches Quintett XIV: Trunkenes: Hemingway, Kaminer, Numminen, Rowohlt, Seidl L.M.

Bücher machen süchtig. Das haben sie mit Alkohol gemein. Und es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten: Sie sind Fluchttüren in ferne und fremde Welten und wunderbare Mittel zum Eskapismus. Und sie sind reine Erkenntnisquellen und wundersame Vergrößerungsgläser: wer gewillt ist etwas zu sehen, wird garantiert das sehen, was er will und zwar viel größer nach ihrem Genuss, als zuvor. Dass großartige Schriftsteller häufig auch großartige Trinker waren und sind, ist deshalb kein Zufall. Deshalb möchte ich heute fünf Bücher vorstellen, die zumindest trunken machen. Und es sind fünf Bücher, von denen ich mir nicht vorstellen kann, dass sie in nüchternem Zustand verfasst worden sind. Bei einigen weiß man es, bei anderen ahnt man es. 

Ernest Hemingway: "Der alte Mann und das Meer""

Bücher über das Meer habe ich hier wahrlich schon viele vorgestellt (Vergleiche: „Bücher, die nach Fisch stinken„). Insofern ist das nächste Buch schon fast eine Selbstbeschreibung: „Der alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemingway.

Ich denke, die meisten von Euch kennen den wunderbaren Film mit Spencer Tracy von 1958 – vergesst die spätere Fernsehfassung – und das Buch. Insofern ist dies ein Aufruf es mal wieder zu lesen. Es ist ja nicht dick und man kann es an einem kalten faden Abend, der das Frühjahr noch nicht erahnen lässt, bei einer Flasche Tavel (siehe unten) in einem Ruck durchlesen. Jedenfalls benötigt man keine ganze Nacht, wie Santiago für die Rückfahrt mit seinem Boot, während der die Haie seinen Marlin zernagen.

Dabei fällt mir ein, dass ich gar nicht so furchtbar viel von Hemingway gelesen habe. „Wem die Stunde schlägt“, „Der Garten Eden“ und mit großer Leidenschaft „Schnee auf dem Kilimandscharo“. Ansonsten kann ich mich eigentlich nur noch an einen wunderbaren Drink erinnern, den er während seiner Zeit in Südfrankreich immer getrunken hat: ein doppelter Single Malt, aufgegossen mit Perrier auf etwas Eis mit einem Schuss Zitrone. Das ist viel schlichter noch und weniger süß als ein klassischer Whisky Sour und Hemingway hat sich das Zeug immer selbst zusammengemischt. Ich auch. Und zwischendurch hat er sich ein Fläschchen Tavel gegen den Durst gegönnt. A votre santé.

Wladimir Kaminer: "Russendisko"

Viel prestigeträchtiger als der Capital-Club auf dem Dach der Halle 1 war in den seeligen Jahren der CeBIT ein Einlass in den inneren Zirkel der Standpartys bei Kaspersky Lab. Dort legte in den „Nuller Jahren“ Wladimir Kaminer als DJ auf. Und als Gast im Obergeschoss wurde man ordentlich abgefüllt. Freiwillig ist da natürlich niemand hin. Es ging immer nur um Kontaktpflege, um „Matchmaking“. Ehrenwort … Und darum irgendwie wieder einigermaßen gepflegt in der Nacht nach Hause zu kommen. Oder sonstwohin.

Und dann die Diskussionen: „Wie siehst du denn aus?“ „War ne anstrengende Nacht“. „Wo kommst du her?“ „Literarischer Abend“. „Erzähl keinen Quatsch. Auf der CeBIT …“ „Doch. Mit Wladimir Kaminer. Eine Art Lesung“.

Tatsächlich gehört das Buch „Russendisko“ von Wladimir Kaminer zu den wenigen Büchern, die man nach einer durchzechten Nacht vermutlich noch einigermaßen ertragen kann. Es enthält kurze Melodramen aus dem Berlin der Wendezeit, also mehrmals gewendete Kurzgeschichten, folkloristische Skurrilitäten, die zum Teil so besoffen daher kommen, dass man sich selbst für nüchtern hält, selbst wenn man direkt aus der Russendisko kommt.
Russendisko ist das Buch für jene, die mal nachlesen wollen, wie Berlin war, als es nicht mehr ganz Westberlin und gar nicht mehr DDR und noch nicht so richtig neue Hauptstadt war.

Mauri Antero Numminen: "Der Kneipenmann: Eine Expedition zu den Bier-Bars in Finnland von Helsinki bis Lappland."

Eigentlich kein Buch fürs Frühjahr. Eher für einen der Herbste, wenn die Nächte länger und alles irgendwie finnischer wird. Wenn es finnisch wird, dann beginnt in mir der finnische Tango zu röhren. Dann kommt man in diese seltsame Stimmung, in der man sogar Wittgenstein singen kann.
Kann man das? Wenn man nicht völlig nüchtern ist vielleicht. Wenn man ein wenig finnisch ist vermutlich. Wenn man Mauri Antero Numminen ist sicher.

M.A. Numminen, der Experte für finnischen Tango und die Vertonung von Wittgenstein-Traktaten hat dieses Buch geschrieben: „Der Kneipenmann: Eine Expedition zu den Bier-Bars in Finnland von Helsinki bis Lappland.“ Es ist natürlich ein Reiseführer, von Wladimir Kaminer (siehe oben) und mir kältestens empfohlen. Der Autor beschreibt 350 Bierlokale. Aber was heißt schon „er beschreibt“: er berichtet von 350 Besuchen und Selbstversuchen. Er erzählt 350 Kurzfilme inklusive 350 Filmrisse. Es ist ein Expeditionsroman, ein soziologisches Grundlagenwerk der Kategorie „teilnehmende Beobachtung“. Denn Numminen schildert akkurat Milieu und Pegel in finnischen Bierlokalen.
Die Wikipedia schreibt über das Buch: „Vuonna 1986 M. A. Numminen julkaisi kirjan Baarien mies, jota varten hän vieraili 350 keskiolutbaarissa ympäri Suomen. Kirjalla oli oma roolinsa 1980-luvun lopulta alkaneen keskiolutbuumin synnyttämisessä. Se julkaistiin saksaksi 2003 nimellä Der Kneipenmann. Numminen toimi vuosina 1997-2004 Suomen Olutseuran puheenjohtajana sekä Olut-lehden ja Juomanlaskijan toimitusneuvostoissa kirjoittaen useita olutartikkeleita.“ Sag ich doch.

Harry Rowohlt: "Pooh's Corner"

Wie beschreibt man den Humor von Harry Rowohlt? Schwer, ganz schwer. Vielleicht indem man die Geschichte erzählt, wie H.R. einmal aus seinem Haus trat, unten im Hof seinen türkischen Nachbarn traf der gerade seinen Teppich ausklopfte und H.R. ihn daraufhin ansprach: „Na Ali – springt er nicht an?“
 
So ein Mann trifft ziemlich genau meinen Humor. So ein Mann ist, nein „war“ Harry Rowohlt. So ein Mann schaffte es immerhin mit einer Kolumne in die Intellektuellenpostille ZEIT um dort über Binz (Ostsee) und Kunz (überall) zu schreiben.
 
In diesem Band wurden seine Kolumnen, die er zwischen 1997 und 2009 geschrieben hat versammelt. Sie sind ein Quell ewiger Freude. Beim Lesen hat man Harry im Ohr und vor Augen und tunlichts einen schönen Whiskey (ja mit „e“, weil er ausnahmsweise aus Irland sein sollte) im Glas.
 
Und da bin ich auch schon beim Problem: Der Mann hatte keinen guten Geschmack. Ich meine sensorisch. Er hat so wunderbare irische Alkoholiker übersetzt wie Flann O’Brien oder Ken Bruen (man lese meine „Buchbetrinkung„) aber muss man deshalb so furchtbare irische Blindmacher saufen? Andererseits will ich sein Andenken nicht mit einem Schotten oder Yankee schänden. Also wenn es denn sein muss empfehle ich im Zweifelsfalle zur Lektüre des Bären von sehr geringem Verstand eine Flasche Waterford Ballymorgan. Die Gerste für dessen Abfüllung stammt von einer Farm, die im Regenschatten der Wicklow Mountains südlich von Dublin wächst. Es handelt sich um einen nur zweifach gebrannten Single Malt, abgefüllt in frischen Bourbonfässern, ausgebaut in französischen Eichen- und Süßweinfässern. Bären mögen’s ja süß. Slainthe.

Leonhard M. Seidl: "Besäufniserregend"

„Besäufniserregend“ ist ein überaus seltsamer Titel für ein überaus seltsames Buch. Man könnte es für für eine Übersetzung eines irischen Underground-Autors aus der schweren Hand von Harry Rowohlt (siehe schon wieder oben) halten, aber weit gefehlt. Es handelt sich um einen ziemlich skurrilen Krimi des oberbayerischen Schreiberlings Leonhard M. Seidl, wobei ich auf das „M“ sehr viel Wert lege. Es gibt nämlich noch einen Seidl, einen fränkischen. Eigentlich müsste er ja „Seidla“ heißen, aber das ist eine andere Geschichte …

Die von mir geliebte Süddeutsche Zeitung nannte das 2018 erschienene und hier empfohlene Werk einen „Pulp-Fiction-Heimatroman“ und lag gar nicht mal so falsch. Es ist jedenfalls ziemlich abgefahren. Hauptfigur ist ein ziemlich versoffener Giesinger Privatdetektiv namens Valentin Gaukler. Seine Stammkneipe ist der „Blaue Löwe“, womit auch schon mal klar ist, dass er Fan des einzigen ernst zu nehmenden Münchner Fußballvereins ist. Und wirklich geht es in dem Buch um den Diebstahl einer historischen Fan-Fahne, um Fan-Clubs, Fan-Kneipen und um den ewigen Kampf zwischen „Blauen“ und „Roten“. Dass die Sympathien des Autors auf der Seite der Blauen liegen ist offensichtlich. Leonhard „M.“ Seidl ist Giesinger und direkt neben dem Stadion an der Grünwalder Straße aufgewachsen.

Ist das Buch etwas für Krimi-Fans? Eher nein. Etwas für Fans skurriler Heimatliteratur? Ja vermutlich. Etwas für 60iger Fans? Ja ganz und gar. Etwas für Hoeneß-Kritiker? Aber sicher.

Ach, und eine Geschichte fällt mir auch noch dazu ein: Als ich einmal spät abends mit dem Zug am Münchner Hauptbahnhof ankam und wie häufig mit knurrendem Magen nicht an der dortigen Curry-Bude am oberen Süd-Ausgang vorbei gehen konnte, bestellte ich dort eine Currywurst, scharf. Neben mir standen einige FCB-Fans in vollem Ornat. Der Buden-Mann fragte wie üblich „Rot oder Weiß?“ und ich antwortete ein wenig übermüdet, unbedarft und unvorsichtig „A weiße. A blaue werds ned habn und bei der roten wird mir immer schlecht“. Zum Glück hatte der FCB zuvor gewonnen.

Illustrationen © Michael Kausch

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