Der Marques de Bolibar

Leo Perutz: Der Marques de Bolibar. Eine Buchkritik

„Das ist wirklich ein edles Indianerbuch. Dieses hier ist klar disponiert, läuft sauber ab wie eine schnurrende Spule — aber es ist eine herrliche Sache, was der tote Marques de Bolibar noch alles für Gefahren heraufbeschwört . . . Wäre die Liebesgeschichte nicht, so hätten wir ein Buch für die reifere Jugend, so einen richtigen Schmöker unsere Jugendzeit. Ob die Zeiteinteilungen stimmen oder nicht, ist ja belanglos — wenn sie nur echt wirken. Und wie echt wirken sie! „Der Sergeant rannte zur Treppe und rief zum Dachboden hinauf. „Kümmel! Bist du noch wach? Kümmel! Komm rasch herunter! Deine Taler sind anmarschiert gekommen!Deine Dragoner. Kümmel kam gleich darauf die Treppe heruntergestolpert, verschlafen und ungestriegelt wie ein Karrengaul. Statt des Mantels hatte er eine RoBdecke um die Schultern geworfen. Als er den Maultiertreiber sah, wurde er sogleich munter. ,Bist wieder da? schrie er. ,Du Kotbutten! Ei Saufutter! Du Teufelskloake! Wer hat dich eingefangen? Wo ist mein Geld?'“ Das lob ich mir.

Es ist ein Jammer, daß diese gut ausgestattete Ausgabe nicht mit vielen Bildern von Wilhelm Schulz geschmückt ist. Das wäre der Mann für so ein Buch. Denn es enthält im Text so liebevoll ausgetuschte Bilder, so unendlich viele Details, die gar nicht recht zur Sache gehören und nur aus SpaB an diesen Dingen aufgemalt sind. Ein Fressen für einen Maler. Und so entzückend altmodisch — so durchaus von vorgestern, und doch tausendmal reinlicher, anständiger und sauberer als Edschmiedn alle seine öffentlichen Bücher.

Und so rekommandieren wir denn für die kommende Grippezeit das treffliche Büchlein allen Freunden einer unterhaltsamen Lektüre.“

Peter Panter alias Kurt Tucholsky
1920 in „Die Weltbühne“

"Der Marques de Bolibar" ist kein Abenteuerroman

Nein Peter oder Kurti. Ich bin gar nicht deiner Meinung. Also lesen muss man das Buch schon. Und man kann es auch als Abenteuerroman lesen. Meinetwegen. Aber es ist doch weit mehr als ein Karl May für unter die Bettdecke.

Das sind auch keine „Landsknecht-Rodomontaden“, wie Andreas Dorschel in der Süddeutschen Zeitung vor Jahren gemiesepetert hat: „ein Roman, der Krieg zu eine Art Pfadfinderabenteuer für Erwachsene stilisierte“. Grober Unfug. „Der Marquez de Bolivar“ ist ein typischer Perutz, ein Vexierspiel, das den Leser und die Leserin in die Irre oder gar in den Irrsinn treibt und sich feinsinnig historischer Gespinnste bedient um die Leser*innen in bunte Kulissen zu entführen und ihnen erst ein wenig die Realität zu rauben, damit Platz wird in ihren Hirnen für die überbordende Phantasie des Autors. Dabei treibt Perutz mit dem zum Eskapismus neigenden Leser üble Scherze. Erst treibt er ihn in die Arme der hessischen Truppen, die auf der Seite der Franzosen zwischen 1808 und 1813 in Spanien kämpfen, um ihn auf den letzten Seiten in einer dramatischen Wendung ohne jede Vorwarnung in die Hände der Feinde zu entlassen. Es ist eben kein Karl May, bei dem man sich zuverlässig mit dem edlen Helden identifizieren kann. Bei Perutz gibt es keine edlen Helden. Kaum meint man einen gefunden zu haben, erweist er sich als müde, als korrupt oder einfach als saudumm. Das war schon in seinem Roman „Nachts unter der steinernen Brücke“ nicht anders.

Bei Leo Perutz gibt es keine Helden

Im Bolibar sind die handelnden „Helden“ eigentlich alle miteinander unfreiwillige Verräter. Und ihre Heldentaten ergeben sich aus einer billigen Frauengeschichte, bei der noch nicht einmal die Frau eine begehrenswerte positive Rolle spielt.

Die Religion bekommt ebenso ordentlich was ab, wie der Militarismus: „Wir Soldaten sind Märtyrer nicht anders als die Heiligen St. Jakob, Cyriak oder Macellinus. Märtyrer, vielleicht Gottes, vielleicht des teufels, der weiß es? Wofür kämpfen wir? Wofür bluten wir? Für die Sache Gottes? Wir sind alle blinde Maulwürde auf Erden, wissen nicht, was Gottes wahrer Wille ist. Für den eigenen Beutel? Herr Marques, wir Soldaten sind Noahs Zimmerleute, die allem Vieh die Arche bauten und selbst hernach ersoffen. Für das Wohl des Vaterlandes?“

Dies sind nicht die Worte eines Helden, sondern die Worte eines der unsympathischten Männer des ganzen Romans, des Halunken Gerberbottich. Nicht einmal er taugt als Identifikationsfigur.

Mit dem „Marques von Bolibar“ hat Perutz vor einhundert Jahren einmal mehr einen Roman geschrieben, den man als Abenteuerroman lesen kann, als Anti-Kriegsroman, als Landsknechtsroman, als Historienroman – und der doch nichts davon ist. Er ist einfach eine große Verunsicherung und nebenbei auch noch ein großes Lesevergnügen. Und das ist schon eine großartige Leistung.

Leo Perutz: Der Marques de Bolibar. Verlag Zsonay. 21,50 EUR. Erhältlich bei der Buchhändlerin Deines Vertrauens oder bei buch7, dem sozialen Online-Buchhandel.

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Illustrationen © Michael Kausch

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