John Steinbeck Robert Capa Russische Reise

John Steinbeck und Robert Capa: Russische Reise

Ölsardinen hat er eher nicht gefunden in der Sowjetunion, als John Steinbeck diese im Jahr 1948 im Auftrag der „New York Herald Tribune“ gemeinsam mit dem Kriegsfotografen Robert Capa bereiste. Aber von Konserven mussten sie sich schon ernähren. Das Land war ausgehungert vom Krieg und von der Zerstörungswut der Deutschen Wehrmacht. Steinbeck und Capa hatten sich vorgenommen den Alltag der Menschen in dem völlig zerstörten und ausgezehrten Land zu schildern. Sie wollten unvoreingenommen das Leben hinter der stalinistischen Propaganda abbilden, in Fotografien und Reisereportagen.

John Steinbeck und Robert Capa konnten sich relativ frei in der Sowjetunion bewegen

Einfach war es nicht, mit den Menschen in Russland ins Gespräch zu kommen. Nicht nur, weil die beiden Amerikanischer selbst kein Russisch sprachen, sondern auf Übersetzer angewiesen waren, sondern auch weil sie immer wieder auf bürokratische Hürden und politische Vorbehalte stießen. Dabei genossen sie noch vergleichsweise große Freiheiten, waren sie doch nicht wie andere westliche Journalisten auf Einladung des sowjetischen Außenministeriums unterwegs und damit ständig unter der Kontrolle des stalinistischen Geheimdienstes, sondern sie reisten auf Einladung der russischen Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland. Immerhin eilte ihnen der Ruf voraus selbst in Amerika linke Positionen zu vertreten. Immerhin hatte Steinbeck einige Jahre zuvor in seinem grandiosen Roman „Früchte des Zorns“ klar sie Sache der Landarbeiter vertreten und Capa hatte sich einen Namen gemacht als Fotograf der republikanischen Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg.

Vom Leben der einfachen Leute

Beide begegnen den einfachen Leuten, den Arbeitern und Bauern in den kleinen russischen Städten und auf dem Land in den Weiten Russlands mit großem Respekt, mit Neugier und „auf Augenhöhe“. Und sie werden akzeptiert. Immer wieder berichten sie, wie sie von Russen auch über die Verhältnisse in den USA befragt werden. Sie erzählen, wie die Menschen in Russland Angst haben vor einem neuen Krieg, wie sie auf Frieden und Wohlstand hoffen.

Steinbeck und Capa zeichnen – und fotografieren – ein beeindruckendes Bild von einem Land, das sich im Aufbruch befindet, von einem armen, aber friedlichen Russland, von freundlichen offenherzigen Menschen, mit zumeist wenig Bildung, aber großer Hoffnung auf eine bessere Welt. Die beiden Amerikaner sehen zwar die stalinistische Propagandamaschine und die überbordende sowjetische Bürokratie, aber etwas blenden sie seltsamerweise aus: den Terror, das Gulag-System, den Massenmord an Millionen von Menschen durch den stalinistischen Machtapparat. Steinbeck und Capa erkennen allenfalls „demokratische Defizite“. Beide lieben die Menschen und kritisieren vorsichtig das System. Sie decken die Differenz zwischen Regierung und Volk auf, wie sie dies auch in ihrer amerikanischen Heimat gerne tun. Aber diese Differenz zwischen Volk und Regierung ist in der autoritären Sowjetunion von anderer Qualität, als in der defizitären US-Demokratie. Diesen Vorwurf müssen sich beide gefallen lassen.

Nichtsdestotrotz ist es das Verdienst der beiden hervorragenden Journalisten das Verständnis in der westlichen Welt für die Menschen in der damaligen Sowjetunion geweckt zu haben. Sie haben mit ihrem Reisebericht mehr für die Völkerverständigung getan, als vielleicht alle anderen Journalisten der großen Magazine und Zeitungen zusammen. Und heute ist dieses Buch ein wichtiges Zeitdokument.

Kaluga
Kaluga war eine der Städte, die John Steinbeck und Robert Capa auf ihrer Reise durch die Sowjetunion besuchten. Dieses Foto entstand allerdings bei meinem Besuch in Kaluga im Jahr 2015. Das abgebildete Haus stand aber sicherlich schon während der Reise unserer beiden US-Reporter.

Leider ist das kein Fotobuch von Robert Capa

Es gibt dieses Buch in einer hochwertigen im Jahr 2011 erschienen Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, die einzig der Qualität Capas Fotografien einigermaßen gerecht wird. Diese Ausgabe ist leider nur noch antiquarisch zu bekommen. Wenn Sie eins ergattern können: schlagen Sie zu. Und dann gibt es noch das im Unionsverlag erschienene Paperback. Die Fotos kommen hier natürlich kaum zur Geltung. Trotzdem gehört das Buch in jedes vernünftige Regal.

Danksagung: Aufmerksam gemacht auf dieses ebenso kleine wie wichtige Buch hat mich Freund und Blogger Lutz Prauser von zwetschgenmann.de. Danke dafür.

Reisetipp: Eigentlich müsste hier ein Reisetipp für Russland und die Ukraine stehen. Dies geht aus naheliegenden Gründen derzeit leider nicht. Pu, der dumme Bär, verhindert dies. Bleibt ein Hinweis auf das wunderbare Robert-Capa-Center in Budapest. Ich habe es im vergangenen Jahr auf meiner Fahrt nach Siebenbürgen besucht. 

Illustrationen © Michael Kausch

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Eine Antwort

  1. Warum ahnte ich, dass dieses Buch Dir gefallen wird?
    Mal rein rhetorisch gefragt.
    Aber es freut mich natürlich.

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