Laxness

Halldór Laxness: Sein eigener Herr. Ganz großer Lesetipp.

Wir sterben alle“ meinte die Großmutter. „Ich weiß einen, der nie stirbt“, entgegnete der kleine Junge. „Wer soll denn das sein?“ „Papa“, antwortete der Knabe. „Oh, er stirbt auch“, antworte die alte Frau erbarmungslos. Aber der kleine Junge gab nicht auf.
Großmutter, kann das Rührholz sterben?

Na, na, na“, sagte die alte Frau, als glaubte sie, er wollte ungezogen werden.

Großmutter, aber der schwarze Topf?“

Tot ist tot, Jungchen“, sagte sie.

Nein“, sagte der Junge, „sie sind nicht tot. Morgens, wenn ich aufwache, da sprechen sie oft miteinander.“

Armer freier Bauernbub

Ich mag diesen Jungen. Er lässt sich nichts einreden von seiner Großmutter. Wenn er etwas besser weiß, dann weiß er etwas besser. Und er hat Achtung vor dem Rührholz, weil es so selten gebraucht wird in der Küche. Vor allem bei der Fleischsuppe. Deshalb nennt er es auch zuerst.

Ein Gegenstand aber übertrag alle anderen: ein Kuchenteller. Er war der schönste Teller der Welt. Der kam nur heraus, wenn besonderer Besuch kam. Oder an Weihnachten.

Der kleine Bjartur wurde in recht ärmlichen Verhältnissen groß. So richtig satt wurde er nur in seinen Träumen in seinem kleinen isländischen Dorf. Aber er brachte es durch rechtschaffene Arbeit zu einem kleinen Hof und einer kleinen Familie. Und wie es so ist mit rechtschaffenen Leuten in einer harten Welt: sein kleines Leben zerbrach und er verlor alles, was er sich aufgebaut hatte schon nach wenigen Jahren, auch seine Familie, seine Frauen, seine Kinder. Sehr brechtisch geht es zu bei Halldór Laxness. Du hast keine Chance in einer ungerechten Welt.

So ähnlich muss man sich den ersten Hof von Bjartur vorstellen: ein typisches isländisches Grassodenhaus

Die Geschichte

Der Roman erschien 1934/35 und spielt um die Wende zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert. Gudbjartur Jonsson, genannt Bjartur, arbeitet anfangs als Knecht bei einem Großbauern, ehe es ihm gelingt einen kleinen Hof zu erwerben. Er will um alles in der Welt selbständig sein, ein freier Bauer, keinen Herrn über sich und keinen Knecht unter sich. Seinem Freiheitsdrang ordnet er alles unter. Er verzichtet auf Sicherheit und Wohlstand, sehr zum Ärger seiner Frau Rosa, der ein gutes Mahl lieber wäre, als ein freies Leben. Sie stirbt früh im Kindbett.

Das Kind, Asta Sollilja, überlebt, bleibt aber geistig zurückgeblieben. Das Mädchen ist freilich nicht die leibliche Tochter von Bjartur, sondern vom Großbauern, bei dem Bjartur einst als Knecht diente. Asta erfährt dies aber erst im Erwachsenenalter.

Im ersten Weltkrieg steigt die Nachfrage nach islandischen Waren und Bjartur gelangt zu einigem Wohlstand und kann sogar ein größeres Haus aus Stein bauen. Er investiert in seinen Hof und in Tiere. Nach wenigen Jahren kommt es zu einer großen Wirtschaftskrise in dessen Folge Bjartur alles verliert, Haus und Hof und nach und nach auch seine Söhne und seine Tochter.

Auch die Kirchen wren damals in der Regel Grassodenhäuser. Steinkirchen bildeten die Ausnahme

Die Rezeption

„Sein eigener Herr“ ist einer der frühen Romane von Halldór Laxness. Er entstand noch unter dem Eindruck einer Reise in die Sowjetunion, die er 1932 besuchte. In den 30iger Jahren hing der Autor recht unkritisch leninistischen Idealen an und das Buch ist in weiten Teilen ein bildmächtiges Epos, in dem die Verklärung des Bauernstandes leninistischer Prägung sich mit islandischen Elementen verbindet. Und doch wird das Bild vom bäuerlichen Leben bereits vielfach gebrochen. Es gibt keine positiven Helden in diesem Roman. Nur auf den ersten Blick erscheint die Welt heil und Bjartur als edler Held. So haben auch deutsche Faschisten dieses Buch anfangs noch verklärt und positiv aufgenommen, aber schon bald erkannt, dass der Roman grundsätzliche sozial- und systemkritische Fragen aufwirft.

Ein Buch ohne Helden konnte unter Stalin auch in der Sowjetunion nicht erscheinen. Erst nach Stalins Tod gab es erste russische Ausgaben von „Sein eigener Herr“.

1955 erhielt Laxness den Literatur-Nobelpreis. Völlig zu Recht. „Sein eigener Herr“ ist ein großartiger Roman über einen dickköpfigen Islander, geschrieben von einem  dickköpfigen Isländer. Halldór Laxness: Sein eigener Herr. Eine unbedingte Leseempfehlung.

Illustrationen © Michael Kausch

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