Die Asche meiner Mutter

Frank McCourt: Die Asche meiner Mutter.Von der Anmut der Armut. Eine Buchbesprechung.

„Das hat mich damals furchtbar schockiert, das ganze Elend“ war der Kommentar einer lieben Freundin, die sich an ihre Leseerfahrung erinnerte, als sie in meinen Händen Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“ erblickte. Dabei ist das ein überaus heiteres Buch. Natürlich handelt es von Hunger, von Gewalt, von Armut. Schließlich erzählt da einer von seiner katholischen Kindheit im Irland der 30iger und frühen 40iger Jahre. Und eine katholisch-irische Kindheit ist doppelt arm: arm an fleischlicher und arm an geistiger Nahrung. Aber den jungen Frank McCourt treibt diese doppelte Entbehrung auf den Flügeln der Phantasie zu tiefen metaphysischen Erkenntnissen über das Leben, die Welt, die Geschlechter, die Religionen, den Alkohol, die Frauen und was sonst noch so wichtig ist. Vielleicht liegt es ja auch ein klein wenig an der sachkundigen Übersetzung von Harry Rowohlt (schon wieder!), dass bei der Lektüre der immerhin 500 Seiten niemals auch nur ein Pint-Hauch von Langeweile aufkommt.

Worum geht es in der Asche meiner Mutter?

Frank kommt 1930 als Sohn irischer Einwanderer in New York zur Welt. Während der Großen Depression entscheiden sich die Eltern aus wirtschaftlichen Gründen zurück nach Limerick zu gehen. Aber auch in Irland herrscht bitterste Armut und die Familie gilt den Einheimische als „Amerikaner“, als „Nicht-mehr-zugehörig“. Eine doppelte Migration macht doppelt heimatlos. Das war damals nicht anders, als heute.

Franks Vater bekommt wie viele Iren ausgerechnet bei den verhassten Engländern einen Job in einer Munitionsfabrik. Es ist ja Krieg. Und wie viele andere Iren versäuft er fern von Familie und Heimat und völlig entwurzelt in der Fremde sein Geld, während seine Frau und seine Kinder zuhause in Irland noch tiefer in die Armut stürzen. Irland war damals das Armenhaus Europas. Und dann noch katholisch … Der Erzähler beschreibt die Protagonisten dieses Armenhauses im naturalistischen Stil eines wiedergeboren Gerhart Hauptmanns: treffsicher, humorvoll, oftmals bitter-gallig. Da treten sie auf, die zänkischen Nachbarsfrauen und geifernden Witwen, die versoffenen Ehemänner, die notgeilen Jugendlichen und die nicht minder notgeilen und verlogenen Pfaffen. Ein Panoptikum der tiefsten Provinz, zum Liebhaben, Hassen und Kuscheln. Ein mitreissendes Buch, für das Frank McCourt vor jetzt ziemlich genau 25 Jahren völlig zurecht den Pulitzer-Preis erhalten hat. Dass ich dieses kleiner Wunderwerk erst jetzt entdeckt habe ist ungewöhnlich. Und wenn Ihr es noch nicht kennen solltet, dann wird es aber höchste Zeit. Lese-Befehl! Nicht nur für Irland-Lieberhaber*innen und Harryiänen und Whisky-Gourmets. Slainthe aber auch.

Illustrationen © Michael Kausch

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