Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

Buch-Tipp für Leseratten: Satoshi Yagisawa: Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

Euch fehlt noch ein Weihnachtsgeschenk für eine Leseratte? Da hab ich was für Euch: Satoshi Yagisawa: Die Tage in der Buchhandlung Morisaki. Ein Buch, das in einer Buchhandlung spielt. Und das von der heilsamen Wirkung des Bücherlesens handelt. OK, da gibt es schon einige. Und es gibt natürlich Bücher, die vom Irrsinn des Buchersammelns und -lesens handeln. Zum Beispiel Canettis Blendung, das Ihr – hoffentlich – kennt. Nein? Dann ist das ein Buch-Tipp im Buch-Tipp. Aber Canetti ist schwere Kost, sogar in der handlichen Fischer-Ausgabe. Heute aber will ich Euch Satoshi Yagisawas Erstlingswerk ans Herz legen. Das ist ein netter kleiner Sommerroman, den man auch gut an zwei Winterabenden lesen kann. Es sind ja nicht einmal 200 Seiten. Ich habe ihn eben ausgelesen. Und es hat mächtig Spass bereitet.

Um was geht es bei Satoshi Yagisawa? Um eine große Lebenskrise!

Die junge Japanerin Takako steckt in einer schweren Lebenskrise. Ihr dummer Freund hat sich eben unschön von ihr getrennt. Ihr Onkel, ein etwas verschrobener älterer Herr, sozusagen „ein alter gelber Mann“, lädt sie zu sich in seine Buchhandlung ein. Sie soll ihm da ein wenig zur Hand zu gehen „damit sie auf andere Gedanken kommt“. Sein Antiquariat liegt im berühmten Bücherviertel Tokios, in Jimböchö.

Mit großen Bedenken zieht Takako ein und findet sich erstmal überhaupt nicht zwischen den verstaubten Bücherregalen zurecht. Aber, man ahnt es schnell, sie lernt ihre neue Umgebung schon nach wenigen Tagen lieben. Auch ihren schrulligen Onkel, seine Freunde und Kunden und den ganzen Stadtteil mit seinen hunderten Buchläden, schrillen Bars und tüddeligen Kaffeehäusern. Sie beginnt in den alten Büchern zu lesen, die zu Hunderten ihr neues Heim belagern.

Und so lernt der Leser ganz beiläufig die großen Namen der japanischen Literatur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts kennen, etwa Muro Saisei, von dem es leider kein einziges Werk in deutscher Übersetzung gibt. In englischer Sprache hab ich mir nun den Sammelband „Pioneers of Modern Japanese Poetry“ bestellt, in dem auch Muro mit einem Text vertreten ist. Überhaupt gelingt es Yagisawa den Leser tief in den japanischen Alltag hineinzuziehen. Man möchte nach jedem Absatz ein Reisschälchen leeren oder doch wenigstens einen duftenden Jasmin-Tee genießen.

Wer sollte in die Buchhandlung Morisaki gehen?

Ein exotisches Buch für Japanologen? Eigentlich gar nicht. Es fällt auch einem durchschnittlichem altfränkischen Stubenhocker nicht schwer, sich mit der traumatisierten und aufblühenden Takako zu identifizieren. Und mir ist der alte Satoru, der Onkel, mit seiner Hornbrille, mit dem zerzausten Haar, der verschlissenen Baumwollhose und den alten Sandalen ohnehin sympathisch. Er ist so wenig von dieser Welt und zugleich mitten drin, dass er ebenso gut in Tokio, wie in Berlin zuhause sein kann – und fremd ist der Fremde ja überall, um Karl Valentin ein wenig abzuwandeln. So wie das Viertel um die Buchhandlung Morisaki bei Yagisawa stellt man sich Japan vor. Und auch das Viertel ums Ostertor in Bremen.

Das ist ein leichtfüssig zu lesendes Buch, eben ein Sandalenbuch. Ein Buch für Lesende, für Buchliebhaber*innen, für Menschen, die es lieben, in Antiquariate zu gehen, für Menschen, die sich gerne verführen lassen – zu neuen Büchern, zu neuen Horizonten, und warum nicht einmal nach Japan und mit Tante Momoko auf einen Berg außerhalb Tokios?

Satoshi Yagisawa: Die Tage in der Buchhandlung Morisaki.
Insel Verlag, Berlin 2023.
189 Seiten, 18 EUR.
ISBN-13: 9783458643692

Titelbild © Michael Kausch

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