Zwei Dinge ist Mittelfeldspieler Anatolij Tymoschtschuk gewiss nicht: Einer der führenden Stars im Teamaufgebot des FC Bayern und ganz gewiss ist er auch kein Maulwurf. Seine via Twitter herausposaunten „Nachrichten“ zur Gefühlslage erscheinen unter seinem Namen. Man weiß, mit wem man es zu tun hat.

Als er vor einigen Wochen ein Foto der in der Kabine schön ordentlich aufgereihten Trikots bei Twitter hochlud und mit den Worten kommentierte „Wir sind bereit!“ platzten dem ohnehin rotschädeligem Bayern-Präsident Hoeneß und dem Vorstandsvorsitzenden Rummenigge fast der Kragen.
Tymoschtschuk, Neuer, Breno – die Spieler des FC Bayern kommunizierten munter via Twitter und Facebook, kommentieren ihre Leistungen und lassen auch sonst allerhand über sich wissen. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, viele Stars aus Sport und Entertainment nutzen die Bühne des Social Media, um sich selbst gegenüber ihren Fans und Freunde zu präsentieren – so wie eben Millionen und Abermillionen „normaler“ Menschen das auch tun.

Ärger in der Arena. Spieler sollen spielen und nicht twittern. Foto: Paul Huebgen, Wikipedia

Und sie sind genauso gedankenlos und ungeübt im Hochladen von Kommentaren und Bildern wie viele andere im Alter von Anfang Zwanzig. Nur gibt es da einen Haken: Die Posts von Erika Mustermann interessieren nicht wirklich jemanden, die von Anatolij Tymoschtschuk hingegen schon…
Der Verein reagierte prompt und verbot  seinen Spielern vor und nach dem Spiel solche öffentlichen Äußerungen und die Verbreitung von Bildern aus dem Allerheiligsten. Tymoschtschuk hatte – vielleicht unwissend – eine der in Stein gemeißelten Regeln gebrochen: Nichts aus der Kabine dringt in die Öffentlichkeit . Die Umkleide des FC Bayern ist fast so heilig wie die Kaaba in Mekka oder einst der Tempel Salomos in Jerusalem: Sanktuarien, deren An- und vor allem Inneneinsichten dem schnöden Volke verborgen zu halten sind.
Die Fans reagierten empört. Zum einen habe Tymoschtschuk nichts wirklich Schlimmes oder Pikantes gezeigt, es seien nicht mal Personen auf dem Bild. Zum anderen schätzen sie diese Illusion einer unmittelbaren Nähe zu ihren Spieler-Idolen. Ein wenig Vertrautheit, ein wenig Menschlichkeit, ein Star zum anfassen – wenigstens virtuell. Irgendwie…

Dreht man den Spieß jedoch einmal herum, dann müsste man bedenken: Den meisten Arbeitnehmern ist während ihrer Arbeitszeit das Twittern und Herumlümmeln auf Facebook verboten. Viele Unternehmen haben ihre Netzwerke so eingestellt, dass diese Seiten nicht erreichbar sind. Das nützt zwar angesichts der Smartphones nichts mehr, denn wer will, geht eben über’s Handy rein. Aber das Verbot ist nun mal da. Schließlich – nimmt man es ganz genau – lenkt es die Arbeitnehmer von ihren Tätigkeiten ab, ja letztlich betrügt der Mitarbeiter seinem Arbeitsgeber, denn er entzieht ihm Arbeitszeit, für die er bezahlt wird. Warum sollte das nicht auch für die Fußballer gelten? Ihre Anwesenheit in der Kabine stellt mit Sicherheit hochbezahlte Arbeitszeit dar.

Ein weiteres: Das Hochladen von Bildern verstößt in den meisten Fällen gegen bestehende Arbeitsverträge, zumindest diejenigen, in denen sich der Arbeitnehmer zur Verschwiegenheit verpflichtet hat. Man stelle sich mal vor, der Konstrukteur eines Automobilkonzerns läd Bilder von seinem Arbeitsplatz bei Twitter hoch, der Geselle Fotos aus der madigen Großbäckerei oder der Arzt Schnittmuster aus dem Operationssaal. Menschen müssen ja nicht unbedingt erkennbar sein…
So gesehen haben der Wurstkocher Hoeneß und der gern mal als Schande von Lippstadt bezeichnete Rummenigge nicht unrecht, wenn sie sich empören.
Wie sie allerdings mit der Situation umgegangen sind, und dass das Ganze erst einmal über den Boulevard gejagt werden musste, zeigt, dass der FC Bayern das Prinzip Social  Media noch nicht ganz verstanden hat. Der Standpunkt, der Spieler werde für’s Spielen bezahlt und solle ansonsten den Mund halten ist im Web 2.0 Zeitalter nicht mehr zeitgemäß.
Andere Vereine sind da weiter. Ihre Presse- und Fanbeauftragen bespielen die Channel und Fanpages mit ebensolcher Bravour, wie ihre Spieler auf dem Platz um die Meisterschale kämpfen. Sie tickern live aus dem Stadion, bieten Webradio an (im Gegensatz zum FC Bayern auch kostenlos und für alle),
Viele Bundesligisten haben eigene Fanpages, bedanken sich artig für gewonnene Spiele, Torjubel, die Treue der Fans, Geburstags- und Genesungswünsche. Bleibt zu fragen, ob am anderen Ende des Rechners wirklich ein z.B. ein Mario Götze tippt oder er tippen lässt. Auf jeden Fall funktioniert der Code of Conduct ebenso gut wie die Illusion der Fans, über’s Web2.0 ihren Stars näher kommen zu können.
Da muss der Rekordmeister noch gewaltig nachrüsten, wenn ihm seine Fans nicht irgendwann vollkommen egal sein sollten.

PS: Als Tymotschuk die Bereitschaft des Teams öffentlich verbreitete, ging das Spiel 1:3 in die Hose. Vielleicht war das der wahre Grund für den Ärger…

2 Antworten

  1. Grad das p.S. sollte zu Denken geben.
    Da kamen bei den Bayern mal ein paar „2.0“ Attitüden um die Ecke, schon geht es bergab.

    Vielleicht ist das einer der Gründe für den dauernden Erfolg der Kicker und ihrer Lenker, sie konzentrieren sich wirklich mehr aufs Spiel statt auf den Stadion Twittstrom.

    Eine Statistik wäre interessant:
    Wie weit rutscht ein Verein in der Tabelle ab, wenn er wieviel twittert?

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