Nach dem schönen Motto: „We agree to disagree“ muss ich an dieser Stelle meinem Czyslansky-Freund Lutz Prauser und seinem Beitrag „Weg mit den Katzen – Ab in die Tonne“ hier heftigst widersprechen. Aber ich denke, das vertragen wir beide…

Bitte nicht nochmal!
Nicht schon wieder!

Okay, Akif Pirinçci ist offenbar ein ziemliches Arschloch. Auf der Pegida-Demo in Dresden hat er, wie der Spiegel schreibt, offenbar so lange über Schwule, Politiker und Muslims gehetzt, „bis es schließlich selbst den Demonstranten zu viel wurde“ und er vom Rednerpult gedrängt wurde.

Pirinçci kam laut Wikipedia 1969 mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Es scheint also zunächst seltsam, wenn er ausgerechnet gegen Muslime hetzt, wo er doch selbst aus einem muslimischen Land stammt. Nun, Pfarrerskinder sind oft die größten Atheisten – ich weiß, wovon ich spreche, denn meine Vorfahren väterlicherseits waren fast 400 Jahre lang zum Teil radikalprotestantische Prediger, und ich halte jeden, der an irgendeinen Gott glaubt, für geistig zurückgeblieben. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Bleiben wir bei Herrn P.

Pirinçci hat sich also als engstirnigen, fremden- und damit menschenfeindlichen Idioten geoutet, das ist schlimm für uns und für ihn. Was mich aber noch mehr beunruhigt ist, dass sich unter der Welle der Empörung über seine Dresdener Entgleisungen auch Forderungen mischen, seine Bücher zu verbieten. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn amazon.de die Bücher des Herrn Pirinçci nicht mehr anbietet“, schreibt ein gewisser Arta Buneta auf der Facebookseite von Amazon. Der Bertelsmann-Verlag hat laut Welt die Auslieferung von Pirinçci-Büchern gestoppt.

Herr Pirinçci hat in jüngster Zeit ganz üble Bücher geschrieben, zum Beispiel „Die große Verschwulung oder „Deutschland von Sinnen“, das mit seinem Untertitel („Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“) bei mir einen regelrechten Würgreflex auslöst. Ich würde ein solches Buch nicht einmal mit einer Zange anfassen wollen, geschweige denn kaufen. Aber verbieten?

Der große Voltaire soll bekanntlich gesagt haben: „Ich verabscheue das, was Sie sagen, aber ich wäre bereit, mein Leben zu geben für Ihr Recht, es zu sagen“. Ich versuche seit ich diesen Satz als Teenager das erste Mal gelesen habe, mein Leben danach zu leben. Ja, es fällt manchmal unsagbar schwer, vor allem in diesem trüben Tagen, wo die Demagogen wie Tintenschopflinge aus der Erde sprießen und Deutschland vor der vermutlich schwersten Zerreißprobe seiner Nachkriegsgeschichte steht.

Herr Pirinçci hat mit seinen neueren Büchern die Ausdrucksfreiheit bis an die Spannungsgrenze ausgereizt. Aber er ist immer noch durch sie geschützt. So stark muss unser Glaube an das Menschenrecht, so stark muss unsere Gesellschaft sein, dass wir das aushalten.

Aber Herr P. hat auch ganz tolle Bücher geschrieben: Krimis, in denen eine Katze den Klugscheißer-Kommissar gibt. Das Buch wurde zu Recht ein Bestseller und zog später als Trickfilm Tausende von Zuschauer in die Kinos. Sollen die nun auch verboten werden, nur wie sich nachträglich herausstellt, dass der Autor kein Ehrenmann ist? Spielt das für die Qualität seiner Kriminalromane überhaupt eine Rolle, oder darf man sie nicht einfach genießen?

Keine ganz einfache Frage. Was wäre gewesen, wenn Adolf Hitler noch eine Reihe von rührenden Kinderbüchern hinterlassen hätte. Dürfte man sie genauso verbieten wie „Mein Kampf“? Wobei ich das Publikationsverbot durch den Bayerischen Staat als Inhaber der Urheberrechts für falsch halte und ausdrücklich die Bemühungen des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) um die Erstellung einer historisch-kritischen Neuausgabe begrüße.

Dass der Hass auf Herrn P. inzwischen die Toleranzgrenzen auch bei Amazon erreicht hat, zeigt folgende „Biografie“, die ein anonymer P-Hasser auf Pirinçcis Autorenseite gestellt hat und die zumindest bis heute Morgen noch nicht von Amazon entfernt wurde:

Pirincci schrieb schon mit drei Jahren seine Autobiographie („Fläschchen leer“), die jedoch wegen drastischer Schilderungen von Fäkal- und Kotzszenen keinen Verlag fand. Mit zehn Jahren erhielt er den Literaturnobelpreis – bis man ihm sagte, daß es sich bloß um einen Telefonstreich gehandelt habe. Der vermögende Bestsellerautor, der sich nicht zu schade ist, nebenbei auch was bei der Arge abzustauben, lebt heute mit seinen sieben Frauen in Saudi-Arabien. Der leidenschaftliche Pazifist hegt für die Menschheit einen Traum: Die Atombombe ist gefallen, und alle Autoren auf der Welt sind tot – bis auf Akif Pirincci.

Ja, das ist witzig. Und ja; Das ist geschmacklos. Ob es den Tatbestand der Hetze erfüllt, wie die wilden Stammelsätze von Herrn P. in Dresden, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls habe ich ein sehr mulmiges Gefühl, wenn ein gewisser Samiejun in einer gerade erschienen „Kundenrezension“ auf Amazon schreibt:

„Mich ärgert es, diesen Herrn durch den Kauf seiner Bücher finanziell unterstützt zu haben. Seine Hassparolen sind widerwärtig! Bitte boykottiert ihn!!!!“

Als Buchautor und Bücherliebhaber sage ich: Vom Boykott zur Bücherverbrennung ist nur ein kleiner Schritt. Und wer Bücher verbrennt, verbrennt irgendwann auch Menschen. Wir dürfen es nicht noch einmal so weit kommen lassen!

7 Antworten

  1. Ja, Bücher zu verbieten, ist wie Jugendlichen Zigaretten zu verbieten: man weiß dass es ungesund ist & hässlich macht, aber was du verbietest bekommt mehr Reiz und wird dann eben heimlich gemacht.

    Wichtiger wäre es, die Ursachen für Alltagsrassismus am Schopf zu packen, anstelle am Symptom rumzudoktern. In einer aufgeklärten Gesellschaft verpuffen Hassbücher, wie Omas Kaffeeklatschgeläster.

  2. Da Du mich dezidiert angesprochen hast, habe ich Deinen und meinen Text gerade noch einmal gelesen und frage mich, in welchen Punkten Du mir eigentlich widersprichst…

    – in meiner Freiheit, mein Haus frei von Pirincci-Büchern zu halten und mir das Recht herauszunehmen, die von mir erworbenenen Bücher wegzuschmeißen?

    – in meiner Bereitschaft, mein Bücherregal um die Werke zu dezimieren, die ich nicht (wieder) lesen will, aus welchen Gründen auch immer und sie gegebenenfalls einfach wegzuwerfen?

    – in meiner Befriedigung darüber, dass ich alles von P. in die Altpapiertonne geschmissen habe, was bei uns rum stand?

    – in meiner Hoffnung, dass andere, die ebenfalls der Meinung sind, wie entbehrlich P. für unsere Bücherregale ist, das Gleiche tun?

    – einem Unternehmen wie Random House das Recht zuzubilligen, Produkte, die für es schädlich sein könnten, nicht auszuliefern?

    – meinem Gefallen daran, dass jemand, der sich öffentlich als Arschloch darstellt, erfährt, dass die Gesellschaft das nicht unwidersprochen hinnimmt?

    – meinem Gefallen daran, dass es Webmaster gibt, die sich moralisch genug fühlen, nicht für Plattformen zu arbeiten, die Hassbotschaften kommnizieren?

    – in meiner Verwunderung, das ein Ex-Grüner Funktionär Verleger von P. plattesten Polemiken wurde?

    Was ist es?

    All das, was Du aufführtst, war gar nicht Gegenstand meiner Gedanken.
    Und nein: Es ist ein Riesenschritt zwischen dem Boykott eines Autors und der Bücherverbrennung. Ein Boykott bedeutet, dessen Bücher nicht zu lesen und im Rahmen legaler Mittel darauf hinzuwirklen, dass dessen Werke möglichst wenig Verbreitung finden. Sei es, dass man nicht über sie schreibt, sei es, dass man sie nicht kauft bzw. empfiehlt, sie nicht zu kaufen. Sei es, dass es Händler gibt, die sie bewusst nicht ins Sortiment nehmen, sei es, dass Verleger sie vom Markt nehmen oder gar nicht erst auf den solchen bringen. All das sind Handlungsfreiheiten im Diskurs um Meinungen, durchaus legale und legitime Mitte:. Egal, ob früher Früchte aus Südafrika, die Springer-Presse, die Bücher von Schirrmacher, Sarazzin oder Pirincci, die weichmacherverseuchten asiatischen Plastikspielzeuge, Monsanto-Produkte, Schildkrötensuppe oder glyphosathaltige Unkrautvernichter.
    Produktboykotte sind Ausdruck des Verbraucherwillens.

  3. Was mich gestört hat war, dass du Bücher sozusagen „in Sippenhaft“ nimmst. Was kann der arme Kater dafür? Und „Filidae“ war wirklich ein tolles Buch.

    Und: Mein Schmerz beim Wegwerfen von Büchern scheint etws größer zu ein. Nicht, dass ich es nicht auch schon getan habe bei den letzten Umzügen. Aber mich plagt mein Gewissen. „Befriedigung“ könnte ich niemals empfinden beim Vermüllen der geistigen Mühen eines Mitmenschen – nicht einmal eines Herrn P.

    Aber du hast Recht: So weit sind wir eigentlich nicht auseinander. Maybe should agree to agree – und statt dessen lieber wieder mal ein gepflegtes Bierchen miteinander trinken…

  4. Hey geht’s noch? Ich freue mich auf einen gepflegten Streit unter uns Czyslanskisten und Ihr kuschelt hier rum? Ich muss Euch leider drauf aufmerksam macht, dass Ihr in der Lutz’schen Liste mindestens hier differiert:

    – in meiner Hoffnung, dass andere, die ebenfalls der Meinung sind, wie entbehrlich P. für unsere Bücherregale ist, das Gleiche tun?

    P.’s Bücher sind entbehrlich wegen seiner Meinung? Und wenn Goethe ein Rassist gewesen wäre, was er nicht war, aber wenn er es gewesen wäre, hättest Du dann den kompletten Goethe aus Deinem Bücherschrank entfernt? Ok, das war etwas drastisch, denn P. ist nicht Goethe. Aber auf dieser Basis könnt Ihr Euch nicht einfach einigen, geht gar nicht!

  5. Ach herrje. Statt über verbieten vs zensieren vs nicht mehr anbieten/kaufen zu reden:
    Die Bio steht genauso auf APs eigener Seite. Weiß nicht seit wann, aber das war jetzt nicht so schwer.

  6. Ach herrje. Statt über verbieten vs zensieren vs nicht mehr anbieten/kaufen zu reden:
    Die Bio steht genau so auf APs eigener Seite. Weiß nicht seit wann, aber ich hab auch keinen länglichen Artikel dazu veröffentlicht.

  7. Ich sehe ja seit Längerem mit Bedauern, dass Czyslansky mehr und mehr zur Social Justice Warrior – Plattform verkommt, aber wenn’s jetzt auch noch selbst-referenziell wird … au weia.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.