Unser Czyslansky-Mitstreiter Sebastian von Bomhard hat mal den Begriff „Internet-Urgestein“ geprägt, den ich sehr treffend fand. Er meinte zwar mich damit, aber eigentlich hat er sich selbst sehr gut beschrieben.

Der andere mögliche Ausdruck wäre „Internet-Pionier“, aber da stelle zumindest ich mir eher einen ranken, wind- und wettergegerbten Siedlertypen mit Ledermokassins und Biberpelzhut vor. SvB, wie ihn seine Freunde nennen, trägt allenfalls mal einen Trachtenhut. Und den Hang zu wohlgenährter Rundung besaß er auch schon vor 15 Jahren, als wir uns zum ersten Mal kennen gelernt haben. Damals hatte er gerade die kleine Firma Spacenet gegründet und war einer der allerersten Internet-Provider Deutschlands. Damit war er für mich Zielgruppe und Informant zugleich, denn ich hatte 1993 gerade die erste Ausgabe des „Internet-Report“ geschrieben – ein Branchendienst für eine Branche, die es eigentlich noch gar nicht gab, nämlich die Internet-Wirtschaft.

SvB und ich sind beide mittlerweile 15 Jahre älter, und seine kleine Firma, die mit 70 Mitarbeitern gar nicht mehr so klein ist, feierte jetzt aktuell im Münchner Rathaus Jubliäum. Es waren alle da, die damals vor 15 Jahren beim Aufbau des quintessentiell „neuen“ Mediums mitgeholfen haben – nur ich nicht, denn ich musste an dem Abend bei der Bayer AG in Leverkusen einen Vortrag halten, und als Selbständiger geht das Geldverdienen fast immer vor, nicht nur in schweren Zeiten wie diesen.

Ich hatte schon eine kleine kleine Rede vorbereitet, und es wäre schade gewesen, wenn ich sie für den Papierkorb geschrieben hätte. Aber zum Glück gibt es ja das Internet. Und es gibt noch so ’ne witzige junge Firma, die 2W Media von Markus Weinert und Markus Wolf. Die sind beide etwa so alt wie SvB und ich damals, und sie sind richtig gut drauf, genau wie wir damals. Sie haben als Pennäler im Keller ihrer Eltern angefangen, Multimedia-Clips und digitale Produktdemos zu programmieren, sind dann in eine ehemalige Bäckerei gezogen und haben vor zwei Jahren schicke und standesgemäße Büroräume in München-Moosfeld bezogen, wo sie unter anderen für Siemens, Microsoft, BMW, Sat1 und andere Konzerne multimediale Videoapplikationen produzieren.

Als ich ihnen von meinem Dilemma erzählte, haben sie sofort gesagt: „Wir nehmen das auf Video auf, dann kannst du ja ein virtuelles Grußwort sprechen.“ Haben wir getan, ganz simpel und sparsam, bei ihnen im Flur mit einer ganz normalen Videokamera. In einer halben Stunde war alles passiert. Die einfache Bildsprache haben wir ein bisschen bei Sarah Silvermanns „The Great Schlep“ abgeguckt: Sprecher sitzt auf einem Sofa, dahinter eine leere Wand, auf der man kleine Digitalbilder in den Film „einstanzen“ kann. Digitaler Minimalismus, sozusagen. Fehlt nur noch die Opernmusik von Philip Glass.

Ich habe das meinem Freund Fritz Bräuniger von Editor Network vorab gezeigt, und der hat als guter Schwabe gleich eine neue Geschäftsidee gewittert: die digitale Online-Laudatio auf YouTube. Da könnte man sich ja die Anreise sparen.

Klingt verlockend, aber ich bleibe eher skeptisch. Reisen hält jung. Und als Internet-Urgestein muss man aufpassen, dass man kein Moos ansetzt…

2 Antworten

  1. Seeehr schön, lieber Tim! Glückwunsch, klasse Performance deinerseits. Langsam solltest du dich auf Angebote als Hörbuchsprecher einstellen. Und inhaltlich: Compuserve! Internet-Report! Meine Güte, das soll 15 Jahre her sein? Ich fass es nicht.
    Aber klaro: Video und YouTube – na sicher ist das die Laudatio-Form der Zukunft. Da muss man wenigstens nach der Rede mit niemandem smalltalken, den man eigentlich gar nicht treffen will.
    (Ob das mit dem Hintergrundcocktailjazz eine gute Idee war? Ich tendiere zu: eher nein. Ich brauch auch im Supermarkt keinen Muzak.)

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