Die Logistikbranche hat in den letzten Monaten viel von sich reden gemacht mit teilweise sehr innovativen, oft aber auch unrealistischen Ideen, die aber für Schlagzeilen in der Publikumspresse gesorgt haben. Amazons Vision von einer Flotte unbemannter Drohnen, die Pakete minutenschnell an ihr Ziel bringen sollen, dürfte dauerhaft an den Bestimmungen der Flugsicherung scheitern, zumindest in den Ballungsgebieten und in der Nähe von Flughäfen. Allerdings wäre es falsch, das Ganze als Schappsidee ad acta zu legen, bevor nicht weiter daran geforscht worden ist. So sehen manche Experten durchaus ein Potenzial für „drone delivery“ in dünn besiedelten Gegenden, etwa entlegene Alpentäler, wo beispielsweise das Ausliefern von dringend benötigten Arzneimitteln auf diesem Weg eine durchaus interessante und kostengünstige Alternative darstellen könnte. Und in Entwicklungsländern mit besonders schlecht ausgebauten Straßensystemen und fehlender Logistikinfrastruktur könnten die fliegenden Kisten eine echte Bereicherung darstellen.
Auch die Idee, führerlose Autos auf die Straße zu schicken, dürfte sich im Personenverkehr wohl nicht so schnell realisieren lassen, wie Google, Daimler und andere Firmen, die an solchen Konzepten arbeiten, es sich zur Zeit erhoffen. Zu groß sind die praktischen Probleme, von den versicherungstechnischen Fragen und der Angst der Menschen davor, das Steuer aus der Hand zu lassen, einmal ganz abgesehen. Im Logistikbereich sieht die Sache aber anders aus: Die Vorstellung vom selbstfahrenden Lkw ist für Transportunternehmen und Paketdienste ausgesprochen reizvoll: Fahrer kosten Geld und müssen in regelmäßigen Abständen Pause machen. Ein autonomer Lastwagen könne theoretisch rund um die Uhr in Bewegung sein. Bis es allerdings so weit ist, werden sicher noch Jahre vergehen.
Ganz aktuell hingegen ist die Idee, Kunden zu Paketboten zu machen: „Crowd Shipping“ heißt das inzwischen in der Internet-Sprache, und in den USA sind schon Startups wie Rideship, CrowdToGo oder Zipments bieten heute schon an, Sendungen von Privatleuten austragen zu lassen, die zufällig auf Geschäftsreise sind oder einfach Zeit und Lust haben, sich ein paar Euro dazu zuverdienen. Jeden Tag fliegen Millionen von Menschen um die Welt, fahren per Bahn oder Auto von einer Stadt zur anderen und müssten vielleicht ja nur einen kleinen Umweg machen, um ein Paket schneller als jeder professionelle Paketdienst zum Empfänger zu bringen. Es muss nur einer das Ganze organisieren, oder?
In Wahrheit ist die Sache nicht ganz so einfach, wie es zunächst klingen mag. Was ist, wenn das Paket nicht ankommt. Was, wenn der Überbringer reinschaut und den Inhalt, wenn er wertvoll ist, sich aneignet und auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Was sagen die Versicherer dazu? Was, wenn der Bote unterwegs gegen einen Baum fährt – war es dann ein Arbeitsunfall? Es gibt einen ganzen Rattenschwanz von ungelösten Fragen, und die professionellen Logistiker werden auch nicht müde, sich immer neue Alptraumszenarien einfallen zu lassen. Klar: Es ist schließlich ihr Geschäftsmodell, das durch „Social Logistics“ ebenso bedroht ist wie das des Buchhändlers im Zeitalter von Amazon. Es gab deshalb auch einen lauten Aufschrei, als der Handelsriese Walmart 2014 bekannt gab, dass man die Einführung von „Crowd Delivery“ ernsthaft prüfe.
Wie ernst das Thema von einigen Experten genommen wird, zeigt schon die Berichterstattung in den klassischen Medien. So bezeichnete Fortune Magazine den 2013 gegründete Social Shipping-Startup Deliv unlängst als „Uber des Einzelhandels“: Das Unternehmen rekrutiert in den US-Großstädten Hunderte von Menschen, die mit dem eigenen Wagen durch die Gegen fahren, um Pakete auszutragen. Deliv spart sich so die Kosten für eine eigene Flotte von Lieferfahrzeugen und bezahlt den Fahrer gerade mal den Mindestlohn. Der Kunde bezahlt gerade mal fünf Dollar – erheblich weniger, als eine entsprechen Sendung per UPS oder DHL kosten würde.
Einige Investoren fanden die Idee von Deliv so gut, dass sie der Firma in einer ersten Finanzierungsrunde über eine Million Dollar als Anlaufkapital gaben, um zunächst in 14 amerikanischen Großstädten den probebetrieb aufzunehmen. Wenn das klappt, hat Deliv-CEO Daphne Carmeli eine Ausweitung des Modells nach Europa und Asien in Aussicht gestellt.
Es wird also wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis Paketdienste und Fahrradkuriere auf die Straße gehen und über die „unfaire“ Konkurrenz von Deliv schimpfen – so wie es die Taxifahrer 2015 die Taxifahrer über Uber getan haben. Und man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass sie damit genauso wenig Erfolg haben werden wie das etablierte Droschkengewerbe. Manche Dinge lassen sich einfach nicht aufhalten.
Ach, das gibt es doch schon länger, aber bis jetzt halt hauptsächlich in der Drogenbranche. Man könnte ja das dortige Erfolgsmodell kopieren, bevor man wieder bei Null anfangen muss. Wobei die Sache mit der Klärung offener Fragen bei Arbeitsunfällen von Drogenkurieren bis heute wohl noch nicht zufriedenstellend gelöst wurde …