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…und das machen sie richtig gut!

In unserer Reihe zum Thema Qualitäts-, bzw. Print-Journalismus wollen wir uns heute wieder unserer Haus- und Hof-Tageszeitung, der „Süddeutschen“, zuwenden, die zwar manchmal Dubletten produziert (siehe „Quadratur des Qualitätsjournalismus: Die SZ-GDAZ„), manchmal aber auch richtig gute Einblicke in die Aufs und Abs der Medienlandschaft. Christine Brinck hat sich heute Lorbeeren verdient mit ihrer Analyse („Homer Simpsons Wendepunkt“) des „Economist“, dem weltweit einzigen bedeutenden, wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazin, das sich erfolgreich gegen den allgemeinen Anzeigen- und Leserschwund der letzten Jahre behauptet hat. Klartext: Während beispielsweise die Auflage von „Focus“ von 800.000 auf gerade mal 656.000 geschrumpft ist und „Businessweek“ angesichts einer Halbierung der Leserzahl im Frühjahr den Rückzug aus dem Nachrichten-Business verkündet hat, steigt und steigt die Auflage des „Economist“, und auch die Anzeigeneinnahmen sind im vergangenen (Krisen-)Jahr um 25 Prozent gestiegen.

„Was macht der Economist richtig?“, fragt die Autorin, und liefert eine absolut korrekte Erklärung nach: Qualität! Während andere die Zahl der Korrespondentenbüros reduzieren und den Schwerpunkt in Richtung Häppchenjournalismus und seichtem „Tittitainment“ verlageren, bleiben die Macher der ältesten Wirtschafts-Wochenzeitung der Welt (erscheint seit 1843) stur bei ihren Leisten, nämlich einer Mischung aus bestechender Analytik, eine manchmal ans Esotherische grenzende Themenauswahl und einem Tiefgang, der durch verspielten Witz geschickt getarnt bleibt. Ach ja, und dann sind da diese wunderbaren seitenlangen Texte, die zum richtigen Lesegenuß einladen! Die wenigen mehr oder weniger willkürlich zwischengestreuten Bildchen sind mit Unterzeilen versehen, die mehr den Charakter von Suchrätseln haben (Beispiel aus der neuen Ausgabe, unter einem Foto von Erwin Schrödinger: „But what about the other eight lives?“), und fast jede Headline löst beim Betrachter ein befriedigendes inneres Lächeln aus, wie „The end is nigh (again)“ zu einem Artikel über die Zukunft der Aktienkurse.

Gut, die Kollegen vom „Economist“ haben einen unschätzbaren Vorteil: Sie schreiben auf Englisch, einem Klavier, das der Sprache mehr und virtuosere Zwischentöne entlocken kann als irgendeine andere (Deutsch wirkt dagegen wie eine simple semantische Ziehharmonika). Außerdem sind die Redakteure fast ausnahmslos Produkte der Eliteuniversitäten von Oxford und Cambridge, wo Studenten, wie Frau Brinck sehr richtig beschreibt, „lernen, vor allem brillant zu argumentieren, ironisch zu sein, Wichtigtuerei zu vermeiden und einen intelligenten Snob-Appeal zu pflegen.“

Welches andere Wirtschaftsmagazin kann von sich behaupten, dass ihre Leser ein Jahr lang der nächsten Weihnachtsausgabe entgegenfiebern, wo die Redaktion sich ausdrücklich den Luxus leistet, Themen nur deshalb aufzugreifen, weil sie selber Spaß daran haben (und nicht, weil irgendwelche Marktforscher in endlosen Fokusgruppen herausgefunden haben, dass 0,7 Prozent der männlichen Linkshänder das Heft deswegen häufiger kaufen würden). Das Resultat sind beispielsweise Untersuchungen über die volkswirtschaftliche Bedeutung von Weihnachtsmännern („Is Santa a deadweight loss?„), über die evolutionsgeschichtliche Bedeutung des Musizierens („Why music?„) oder über den urfranzösischen Comichelden Tintin („A very European hero„). Und welches Blatt besitzt heute noch ein Redaktionsteam, das so sehr vom „esprit de corps“ durchdrungen ist, dass sie auf jedweden Autorennachweis verzichtet, getreu dem Motto ihres langjährigen Chefredakteurs Geoffrey Crowther (der von 1938 bis 1956 amtierte): „What is written is more important than who writes it.“

Anders ausgedrückt: Der „Economist“ ist das altmodischste Magazin der Welt – und gerade deshalb das erfolgreichste.

Woraus wir lernen: Jedes Medium hat seine Stärken, und bei denen sollte es möglichst bleiben. Der Versuch, durch Hochglanzdruck, Farbfotos und journalistische Selbstgefälligkeit Stilelemente von Konkurrenten wie Fernsehen oder das Internet zu übernehmen, bewirkt das Gegenteil. Zeitung ist Zeitung, Blog ist Blog, und Qualitätsjournalismus ist Qualitätsjournalismus, ob sie sich auf toten Bäumen oder auf dem Bildschirm präsentiert.

In sofern stimme ich Frau Brinck vollinhaltlich zu, die am Ende ihres Aufsatzes resümiert: „Analog geht. Es muss nicht alles digital sein, um vom Leser verschlungen zu werden.“ Hoffentlich stecken sich das viele Verleger und so genannte Medienprofis hinter die Ohren.

3 Antworten

  1. Seit gut 15 Jahren lese ich den Economist und kann der Analyse nur zunicken. Allerdings möchte ich auch eine Lanze für das Teutonikum brechen. Die eingeborenen Tastahuren sind meist schreibfaul. Den Autoren des Spiegels lassen noch ab und zu einen selbstgefälligen Sarkasmus in die Zeilen tropfen, aber auch mehr schlecht als Brecht …

    Deutsch würde sich zur Verballhornung von politischer und wirtschaftliche Idiotie wunderbar eigenen durch das Drehen leckerer Wortzöpfe, doch hier muss ich böserweise den Judenverlust bzw. den verlorenen Sprachwitz beklagen.

    Am Beispiel von Jon Stewart und anderen Comedy-Juden bei den USAmeisen sieht man wie gut der jüdische Sprachwitz ist. Auch unser letzter verbleibender Literatur-Jude Marcel Reich-Ranicki zeigt wie es geht. Wenn der final ins Shofar bläst, dann sieht es finster aus …

    Natürlich war die deutsche Vorkriegsliteratur nicht nur von den Kindern Israels geprägt – wir haben auch viele wortgewaltige deutsche Eicheln entweder vergast oder vertrieben – aber eben dieser fehlt bei uns aus verständlicher Historie ganz gewaltig.

    Was uns hier in der hiesigen Journalie ebenso fehlt ist diese argtypische Gelassenheit und Common Sense der angelnden Sachsen. So wie die BBC die Mutter aller Fernsehstationen ist, so ist der Economist ein Monument des britannischen Pragmatismus in Sachen Capitalismus und Berichterstattung.

    Davon sollte sich die Söhne & Töchter Schillers, Schoppenhauers, Brechts und Goethes endlich mal neu Scheibe abschneiden und bitte keine lighte …

  2. @ orangeguru
    danke. endlich hat mal jemand dem timschen sprachimperialismus paroli geboten. unser exilamerikaner nervt schon so lange mit seiner theorie, dass das englische dem deutschen überlegen sei, schon allein, weil es mehr wörter im englischen, als im deutschen gäbe. mag ja sein, dass harpercollins rund 400 millionen englische wörter zählt, die seit 1990 irgendwo von irgendeinem mal gesprochen wurden, und dass allein das oxford english dictionary etwa 500.000 wörter listet. aber ist das sprachmacht oder -kunst?
    der große umfang des englischen wortschatzes erklärt sich zum teil aus den ständigen begriffsdiebstählen („entlehnungen“) aus anderen sprachen, insbesondere latein, griechisch, französisch und den skandinavischen sprachen.
    vor allem aber hat der in den letzten 1.000 jahren erlittene weitgehende verlust der flexierung dem englischen eine erweiterung des sprachschatzes förmlich aufgenötigt. während zum beispiel im lateinischen die flexion einem wort etwa vier bis fünf unterschiedliche bedeutungen zumessen kann, benötigt das moderne englisch hier gleich immer mehrere wörter, um den passenden sinngehalt eindeutig auszudrücken. die englische übersetzung eines lateinischen textes ist in der regel zwei bis dreimal so umfangreich, wie das lateinische original. und warum das alles? weil das englische auch als hauptsprache zumeist eine erlernte und nicht die muttersprache ist, und die englisch-sprecher deshalb ihre grammatik radikal vereinfachten.
    heute ähnelt das englische eher dem nicht flektierendem chinesischen, als dem deutschen und anderen indogermanischen sprachen. es ist eine bequeme sprache, die zur schlamperei neigt und sich eignet und eben deshalb einen großen wortschatz braucht.
    wenn man dann noch bedenkt, dass der aktive wortschatz eines amerikaners im schnitt nicht größer ist, als derjenige eines pisa-deutschen, weiß man schnell um die jämmerlichkeit der englischen alltagssprache.
    auch die flexibilität des deutschen, das so vieles durch zusammensetzung auszudrücken vermag, ist dem englischen fremd. das deutsche ist die sprache der konstruktion, des kreativen. das englische – ach – ein weites feld der timologie …

  3. Lieber Michael:

    Du hast ja so recht: Timologie (auch Axiologie ) kommt bekanntlich vom griechischen Wort αξια (Wert) und bezeichnet in der Sprachforschung die Bewertung von Sprachen, versucht also im Rahmen der Sprachbewertung die „Leistung“ einzelner Sprachen zu bestimmen und setzt sie der Sprachkritik aus. Sie hat also, wie ich ja meistens auch, sozusagen immer das letzte Wort…

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