Rachel Kushner See der Schöpfung

Rachel Kushner. Nicht Fisch, nicht Fleisch im "See der Schöpfung". Eine Buchkritik

Rachel Kushers See der Schöpfung hat mich schwer enttäuscht. Der Roman ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Für einen Agententhriller nicht spannend genug, für einen philosophisch inspirierenden Roman nicht tiefgründig genug, für einen Roman einer der renommiertesten Autorinnen der USA einfach zu schlecht geschrieben. Auch wenn der Plot in Frankreich angesiedelt ist – oder vielleicht deshalb – comme c’est ennuyeux.

Sur l'leau - (m)eine bittere Leseerfahrung

Machen wir‘s kurz: Rachel Kushers See der Schöpfung hat mich schwer enttäuscht. Der Roman ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Maike Feßmann lobt im Deutschlandfunk den See der Schöpfung „kunstvoll“ und „anarchisch“. Ach nein. Er ist ein chaotisches Durcheinander aus Erzählung und halbvergorener Philosophie. Und SZ-Autor Willi Winkler, den ich eigentlich sehr schätze, unterstellt Rachel Kushner gar „viel Humor“, den zu erkennen man schon gehörig einen hinter der Binde haben muss. Für Stefan Kister von der Stuttgarter Zeitung vereinigen sich auf diesen 473 Seiten „Agententhriller und philosophischer Roman zu einer atemberaubenden Gegengeschichte der Menschheit“. Ach herrje: Für einen Thriller fehlt aber auch jedes Fitzelchen Spannung und der verzweifelte Hinweis darauf, wie man den Polarstern findet macht noch keinen philosophischen Roman. Und den Neandertaler gegen den Homo erectus auszuspielen haben vor Kusher schon ganz andere versucht. Der philosophische Grund des Schöpfungssees ist nicht sehr tief. War der Neandertaler der friedvollere „Mensch“?

Rachel Kushner ist auch nicht die erste, die das Schicksal der Cagots belletristisch ausschlachtet, wie manche Kritiker behaupten. Die Spanierin Dolores Redondo hat dies in der überaus erfolgreichen Baztan-Krimi-Trilogie schon von ihr getan. Da liest sich das auch spannender. Und wenn man es schon mystisch will, dann greife man zu Tom Knox und seinem Thriller „Cagot“. Darin lernt man mehr über diese marginalisierte ethnische Bevölkerungsgruppe in Okzitanien, als in Kushners Höhlenphantasien.

Aber ich echauffiere mich. Vielleicht sollte ich erstmal kurz erläutern, um was es in diesem Roman überhaupt geht.

Also zur Storyline vom See der Schöpfung:

Die Ich-Erzählerin ist Sadie Smith, eine ehemalige CIA-Agentin, die sich in eine ländliche Gegend im Südwesten Frankreichs begibt, um dort in eine Gruppe radikaler Umweltaktivisten einzutauchen. Sadie ist 34 Jahre alt, gutaussehend und erfahren, vor allem in den USA geschult, wenn es um das unauffällige Beobachten geht. Während sie zuvor für die CIA arbeitete, ist sie nun im Auftrag eines anonymen Klienten unterwegs, um eine Gruppe von Umweltaktivisten zu infiltrieren, die verdächtigt werden, Anschläge auf wirtschaftliche Einrichtungen zu planen.
Ihr Einsatzort ist ein abgelegener Ort in der französischen Guyenne, wo eine Gemeinschaft namens Moulinards gegen den Bau großer Wasserreservoirs kämpft. Die beschriebenen Konflikte um solche Wasservorratsbecken haben übrigens ein reales Vorbild in der französischen Politik. Diese sollen in Zeiten zunehmender Trockenheit als Lösung dienen, sind jedoch eher kontraproduktiv.

Sadie tritt diese Herausforderung mit einer gewissen Überheblichkeit an. Die Welt, die sie dort erlebt, ist ihr völlig fremd – sowohl geografisch als auch ideologisch. Verschlafene Ortschaften, biologisch-dynamische Anbauflächen, Komposttoiletten und gemeinschaftliche Mahlzeiten wirken auf sie wie eine Karikatur des wirklichen Lebens. Sie ist eine Auswärtige. Sie agiert professionell als „Berufsagentin“, ohne emotionale Beziehung zu ihrem Umfeld.
Ihre kalte wenig empathische Fassade beginnt langsam zu bröckeln, als sie Bruno Lacombe, den charismatischen Anführer der Gemeinschaft, kennenlernt. Bruno lebt in einer Höhle, und das ist weder eine Metapher noch eine Pose, sondern sein wirklicher Lebensstil. Er ist ein klassischer Aussteiger, ein Relikt der 68er-Bewegung, aber ohne nostalgische Anhaftungen, dafür mit einer Vision, die weit in die Vergangenheit reicht. Bruno lehnt die moderne Gesellschaft, das Finanzsystem, die technische Entwicklung und die städtische Kultur ab. Stattdessen vertieft er sich in genetische Studien, entwickelt Theorien über die Überlegenheit der Neandertaler und kommuniziert per E-Mail über prähistorische Zahnhygiene und Tabakkonsum, verbunden mit einer umfassenden Gesellschaftskritik, die sich komplex und unvorhersehbar durch die Erzählung zieht. Er hat sowohl den Kapitalismus, als auch den Antikapitalismus überwunden. Er repräsentiert damit zugleich das Scheitern der traditionellen Linken.

Die Moulinards, die Kommune von Kushner, ist kein utopischer Gegenentwurf, sondern ein Experiment des Widerstands. Sie lehnen nicht nur Technologie ab, sondern auch den Glauben an Dialoge und Kompromisse, an klassische demokratische Modelle.

Die großen Menschheitsfragen im See der Schöpfung

Sadie ist dazu der klassische Gegensatz: Sie ist geschult in Kontrolle und Effizienz. Wenn man so will, lebt im Gegensatz von Sadie und Bruno der Streit zwischen Leo Naphta und Ludovico Settembrini aus Thomas Manns Zauberberg wieder auf – nur leider auf einem heillos niedrigerem Niveau, eben nicht auf lichter Höhe, sondern auf dem Niveau des Wasserspiegels. Der Anspruch Rachel Kushners kann schon mit Thomas Mann mithalten, das erzählerische Niveau aber leider so gar nicht. Alle philosophischen Fragen kommen allzu plump daher. Der Staatssekretär, der ermordet werden soll, heißt – na wie wohl? – Platon! Nein, das ist nicht mehr witzig. Sadie erklärt dem leser gleich mehrmals voller Ergriffenheit, wie man den Nachthimmel beobachtet und dort den kleinen und den großen Wagen finden und über die Verlängerung der Achse den Polarstern und dann … ja was hat denn Frau Kushner in ihrer Jugend eigentlich gemacht um uns mit solchen Schmonzetten zu langweilen?

So platt, wie sie uns die Philosophie, den französischen Straßenverkehr und die Weine Südfrankreichs vorstellt verlaufen auch die Dialoge und Handlungsstränge dieses Romans. Schließlich stellt Sadie den Kommunarden eine Falle. Sie fungiert als Agent Provocateur und plant, dass die Rebellen gewaltsam von der Polizei gefasst werden. Wie das Ganze ausgeht? Wer will, kann das ja lesen. Jean Gabin und Lino Ventura haben inzwischen das Set aus Langeweile verlassen … Comme c’est ennuyeux

Illustrationen © Michael Kausch

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