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Plattenkiste Nummer 14: Von Ambros bis Waits

„Ich hab im Traum geweinet, Jo waants nua, es seits gezeichnet fia eicha Lebn – Waants nur! Magic of the melancholy tear in your eye“ Es ist zum heulen – zum heulen schöne Musik in der Plattenkiste Nummer 14, von Tom Waits, Wolfgang Ambros, Franz Schubert, Johannes Brahms und Stan Getz. Ein Teller Graubuntes für morbide Abende.

Tom Waits: The heart of saturday night

1974 erschien dieses zweite Studio-Album der Räucherstimme aus Pomona, Kalifornien. Natürlich kann man nüchtern in die Platte hineinhören, aber es ist schwer nüchtern aus der Platte herauszukommen. Zu schwermütig sind die Songs, zu düster-melancholisch die Texte, zu brüchig die Stimme, zu versoffen die Athmo. Der Titelsong „Looking fort he heart of Saturday Night“ ist ein Streifzug durch die einsamen spärlich beleuchteten nächtlichen Straßenzüge irgendeiner amerikanischen trostlosen Innenstadt. Man kann sich gut vorstellen, dass Tom den Abend mit Frank Zappa ziellos durch die Gegend wandert. In jenen Jahren tourten sie gemeinsam durch die Welt. Da wo ich herkomme nannte man solche Abende „Leberworschd“-Abende, also Abende, an denen einem die Leber absolut „Worschd“ war.

“Well you gassed her up
And you’re behind the wheel
With your arm around your sweet one
In your Oldsmobile
Barrellin‘ down the boulevard
You’re lookin‘ for the heart of Saturday night
Is this the crack of the pool balls, neon buzzin‘?
Telephone’s ringin‘, it’s your second cousin
And the barmaid is smilin‘ from the corner of her eye
Magic of the melancholy tear in your eye”

Es gibt übrigens eine sehr schöne halbwegs deutsche Nachdichtung von Wolfgang Ambros auf dessen Platte „Nach mir die Sintflut: Ambros singt Waits“. Dort heisst es:

„Sog mir, is es das Klackern
von die Billardkugeln
oder is des Neonlicht
Is es die Frau hinter der Bar
de aus die Augenwinkeln locht
und di dann plötzlich wieder nimmer siecht.
Dann wird’s auf amoi koid
und du denkst wie’s amoi woa
und du fühlst di einsam
wie no nie zuvor
Du taumelst weiter eine
weiter eine in die Samstagnocht“

Wolfgang Ambros: Weiss wie Schnee

Deshalb kommt nach „W“ heute der Buchstabe „A“. Vom Wolfi aber ein Album aus dem Jahr 1980: „Weiss wie Schnee“. Hier hat es mir weniger der Titelsong angetan, als vielmehr das erste Lied „Gezeichnet fürs Leben“, die Anklage eines Jugendlichen, der beschlossen hat, sich das Leben zu nehmen:

“G′stohln Jo waants nua, es seits gezeichnet fia eicha Lebn –
Waants nur!“
I hob wos g’stohln
I wass i hött net solln
Es is ma passiert
I hob mi so geniert –
Trotzdem muass i zohln

I wollt leben
Nix wia lebn –
Doch i hoit’s net aus
Wia’s is, so kann′s ned bleibn
Mei Hass is grenzenlos
An Briaf werd i no schreibn

In dem steht: „Waants nua
Es seits gezeichnet fia eicha Leben
I hob ma ned anders zum helfn gwusst
I hob ma miassn de Kugl gebn
Jo waants nua, es seits gezeichnet fia eicha Lebn –
Waants nur!“

Und dazu eine Musik wie ein Schrei. Der junge Ambros konnte böse sein, bitterböse. Es ist eines seiner besten Lieder. Ich habe ihn mehrmals live gesehen. Immer Gänsehaut-Feeling. Immer konnte er die Bühne verlassen und wir im Saal konnte das Programm auch ohne ihn zu Ende singen. Und man brauchte sich nicht zu schämen …

Richard Tauber: Lieder von Schumann und Schubert

Freilich geht es auch ein wenig gesetzter und nachdenklicher. Schuberts Winterreise besitze ich in vielen Versionen, mit zahlreichen Interpreten. Richard Tauber ist einzigartig mit seiner weichen, fast samtigen Stimme. Auf dieser Platte singt er neun Lieder aus der Winterreise, natürlich den Lindenbaum, und auch die Post. Mindestens ebenso beeindruckend die Lieder Robert Schumanns, etwa das Wanderlied (op. 35) und die wunderhübsche Vertonung Heinrich Heines „Ich hab im Traum geweinet“.

Brahms: The Symphonies. Simon Rattle mit den Berliner Symphonikern

Eine aufnahmetechnische Meisterleistung ist diese Pressung von EMI mit Simon Rattle und den Berliner Symphonikern. Sie spielen die Symphonie Nr 1, 2, 3 und 4 von Johannes Brahms. Die Berliner gelten wohl zurecht als das vielleicht weltbeste Brahms-Orchester und Rattle hat in seinen Berliner Jahren das Orchester zur absoluten Spitzenklasse entwickelt. Dass wir ihn jetzt in München erleben dürfen ist wunderbar, für Berlin ist sein Wechsel ein Verlust. Nein, ich teile die Meinung von Robert Fraunholzer ganz und gar nicht, der bei Erscheinen dieser Aufnahme im Magazin RONDO bemängelte, Rattle fehle es bei seiner Interpretation an „musikantischem Temperament“.

Stan Getz: Stan Getz plays Eddie Sauter

Bei diesem Album handelt es sich um eine Reissue zweier Veröffentlichungen von 1961 („Focus“) bzw. aus dem Jahr 1965 („Mickey One“). Der legendäre Sax-Man Stan Getz spielt Stücke von Eddie Sauter, der als Trompeter vor allem mit Bill Finegan in den 50iger Jahren einige Bekanntheit erlangte. Zwischen 1957 und 1959 arbeitete er in Deutschland und leitete hier er das SWF-Tanzorchester. In den 60iger kehrte er zurück in den USA und arbeitete u.a. mit Stan Getz zusammen.

Focus und Mickey One sind klassische Big Band Werke, irgendwo zwischen Swing und Easy Listening. Focus ist ein komplexes Arrangement mit Streicher-Ensemble, Mickey One der Soundtrack zu dem gleichnamigen Film von Arthur Penn. Alles in allem Musik für einen langen ruhigen Fünf-Uhr-Tee.

Illustrationen © Michael Kausch

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