Plattenkiste 19: "Im traurigen Monat November wars, die Platten wurden trüber …"

„Im traurigen Monat November wars, die Platten wurden trüber …“ Na ja, es ist irgendwie schon die Zeit für ein schönes Requiem. Ich hab mal ein eher unbekanntes aus meiner traurigschönen Sammlung herausgefischt: das von Max Reger. Und dann für die nebligschaurige Stimmung noch die Räucherstimme von Marianne Faithfull dazugetan. Und einen Schoenberg, eine traurige Geschichte von Brecht und zur Aufmunterung noch den Radler-Song von Kraftwerk.

Arnold Schönberg: Violinkonzert und Klavierkonzert

Das Bayerische Radiosymphonieorchester unter Rafael Kubelik spielt mit Zvi Zeitlin an der Violine und Alfred Bendel am Flügel Schönbergs Konzert für Violine und Orchester Op. 36 und das Konzert für Klavier und Orchester Op. 42. Schönberg ist ja nun ohnehin keine Musik für die Küche. Als Hintergrundmusik bei der Herrenunterwäsche im Kaufhaus hört man ihn auch selten. Aber DIESER Schönberg gehört sogar im Vergleich zu den anderen Schönberg zur vergifteten Sorte. Das Klavierkonzert Opus 42 lässt so ziemlich jedes Fetzelchen Romantik vermissen, der den Werken Schönbergs, die er uns in den frühen amerikanischen Exil-Jahren geschenkt hat, noch zu eigen ist. Das ist herb und zwingt zum konzentrierten Hinhören. Dodekaphonie vom feinsten. Das muss man erstmal auseinander zwirbeln.

Max Reger: Lateinisches Requiem

Wenn man den Schönberg überlebt hat, dann kann man sich dem Lateinischem Requiem Opus 144 B, 145 A und Dies Irae von Max Reger seelig hingeben. Finde ich. Der Wechsel vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zum Sinfonieorchester des NDR ist dann nur noch ein kleiner Hopser. Reger begann mit der Komposition dieses Requiems nach Ausbruch des ersten Weltkriegs. Das Requiem blieb aber unvollendet. Das Kyrie wurde 1938 uraufgeführt. Das Dies Irae wurde vor der hier vorliegenden Einspielung überhaupt noch nie aufgeführt. Es gibt auch nicht viele Einspielungen des Opus 145 A. Ich selbst kenne nur diese hier aus dem Jahr 1988. das mag daran liegen, dass die Aufführung ein großes Orchester und einen großen Chor, also einen großen Aufwand voraussetzt. Andererseits dürfte die Fan-Gemeinde eher klein sein. Das deutsche Requiem von Brahms und erst recht natürlich das Requiem von Mozart sind deutlich bekannter und beliebter. Ich liebe Totengesänge. Vermutlich habe ich doch eine leicht morbide Ader in mir.

Marianne Faithfull: Dangerous Acquaintances

Es ist ja immer schwierig eine neue Platte nach einem Welterfolg zu machen. Man schreibt auch nicht so einfach ein neues Buch nach dem Gewinn des Literaturnobelpreises. Immer wird man am Vorgänger gemessen. Und nachdem Marianne Faithfull 1979 mit Broken English ein fulminantes Comeback gelungen war, versuchte sie zwei Jahre später zurecht einen Stilbruch. Broken English war ein Urschrei und ein gewagter Schritt in musikalisches Neuland. Dangerous Acquaintance hingegen ist ein Rückgriff in die gute alte Rock-Kiste. In der Kritik fiel das Album überwiegend durch. In einer recht typischen Rezension bemerkt Richie Unterberger in AllMusic: „It’s always a possible sign of trouble when there are over a dozen session musicians in the credits, and much of the record’s music has a sort of anonymous feel. The songs, too, are less striking (and less angrily risqué) than those of Broken English, although Faithfull was still carving her own identity with lyrics about romantic duplicity.“ dabei enthält das Album einige wirklich große Songs, etwa „So Sad“ oder auch „Strange One“. Ich mags. Sie ist halt eine starke Frau …

Bert Brecht: Die Mutter

A propo „Starke Frau“. „Die Mutter“ von Bert Brecht hab ich vor Jahren live im Berliner Ensemble gesehen. Die Giehse war schon tot, aber die umwerfende Carmen-Maja Antoni war (und ist) ja noch quicklebendig. Sie spielte die Mutter und fierter übrigens vor wenigen tagen ihren achtzigsten Geburtstag. Nachträglich Alles Gute liebe Carmen Maja. Neben der Giehse warst du die beste „Mutter“ des Ensembles!

Hier also eine Aufnahme mit Therese Giehse in der Rolle der Mutter. Die einfache und anfangs zarentreue Arbeiterin Pelagea Wlassowa wird unter dem Eindruck der Ausbeutung der Arbeiter und unter dem Einfluss ihres Sohnes zur Kommunistin. Das Stück ist ein eher schlichtes Agitprop-Stück, gedacht als „Lehrstück“, das in den dreißiger Jahren die Arbeiter zum Kommunismus bekehren sollte. Die Musik von Hans Eisler ist Avantgarde im besten Sinn. Das is keine plumpe politische Marschmusik, kein Agitprop, sondern politisches Kunstlied. Das gilt auch für diese Aufnahme, mehr noch vielleicht für die unterschiedlichen konzertanten Fassungen, der Eisler für verschiedene Besetzungen aus der Theaterfassung abgeleitet hat.

Kraftwerk: Tour de France (as featured in the film Breakdance)

Die Platte Tour de France von Kraftwerk erschien erstmal zum 80. Geburtstag der Tour de France in Frankreich 1983 als Single. Ich besitze eine frühe holländische 45rpm-Pressung von 1984. Kraftwerk mischt verschiedene mechanische und elektronische Geräusche, die irgendwie mit „Radfahren“ in Verbindung stehen zu einer Soundwolke. Melodisch gibt es Anklänge an eine Sonate von Paul Hindemiths. Eine hübsche und ökologisch korrkete Alternativ zu weitaus populäreren „Autobahn“ …

Illustrationen © Michael Kausch

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