Leckere Schallplatte

Take Five. Fünf Platten aus meiner Plattenkiste. Teil 5

Heute zieh ich mir eine fünfteilige große Liebesgeschichte aus meiner Plattenkiste. Eigentlich ein Melodram in fünf Akten. Im ersten Akt besingt Billie Holiday eine unglückliche Liebe. Aber was heisst da EINE unglückliche Liebe: Eine ganze Platte voller unglücklicher Liebschaften. Danach entflammen John McLaughlin und das Mahavishnu Orchestra doch noch eine Flamme. Es brennt lichterloh. Herauskommt kommt – na was wohl? Ein Embryo. Schließlich gibt’s Ihre Kinder in hautengen Jeans ehe abends alles zusammenbricht und explodiert. Ihr meint, da geht der Gaul mit mir durch? Oder der Plattenspieler? Gemach Jugendfreunde. Hört doch einfach mal rein …

Billie Holiday: Music for Torching

Was um Himmels Willen sind „Torch Songs“? Lieder zum Abfackeln? Ach was. Torch Songs, das sind Lieder über unglückliche Liebe, abgefackelte Liebeskerzen, Lieder, in denen die Liebe noch lodert, aber nicht erwidert wird, über Menschen, denen die Liebste oder der Liebste abhanden gekommen ist. Billie Holidays Platte „Music for Torching“ versammelt acht traurig-schöne melancholische unglückliche Liebeslieder.

Typisch dafür ist „I Don’t Want to Cry Anymore“ oder „A fine Romance“:

„A fine romance with no kisses
A fine romance, my friend this is
We should be like a couple of hot tomatoes
But you’re as cold as yesterday’s mashed potatoes“

Du bist kalt wie Kartoffelstampf von gestern …

Na, besser kann man eine unglückliche Liebe doch kaum ausdrücken …

Oder nehmen wir Cole Porters berühmtes „I get a kick out of You“:

„Yet I get a kick out of you
I get a kick every time I see
You’re standing there before me
I get a kick though it’s clear to me
You obviously do not adore me“

Die Studio-Aufnahmen sind von 1955. Da war Billie vierzig Jahre alt. Diese Aufnahmen sind also so was wie ihr Alterswerk. Sie hatte ja nur noch vier Jahre zu leben und sie hatte bereits viele Jahre Drogenerfahrung, mehrere Inhaftierungen und andere schwere Schicksalschläge hinter sich. Man hört es ihrer Stimme an. Sie ist brüchig und hat auch nicht mehr die Strahlkraft und Flexibilität ihrer frühen Aufnahmen aus den 30er Jahren. Aber die Lady singt ihren Blues voller Intensität und Gefühl. Und gerade den Torch Songs tut das gut. Denn die Trauer, Not und Verzweiflung sind, nun ja, glaubwürdig.

The Mahavishnu Orchestra und John McLaughlin: The Inner Mounting Flame

The Mahavishnu Orchestra und John McLaughlin steht auf dem Cover. Und das ist auch drin. Aber aussehen tut diese Scheibe wie „The Inner Mounting Flame“. Die Flamme ist aber nicht drin. Denn diese Platte hier erschien beim DDR-Label Amiga und enthält völlig andere Lieder als die Columbia-LP, deren Cover die gleiche Illustration ziert. Also aufgemerkt beim Plattenkauf!

Ansonsten ist an der volkseigenen Scheibe nichts auszusetzen. Enthalten sind die Titel „Dawn“, „Power of Love“, „Vision is a naked Sword“, „Cosmic Strut“, „A lotus on Irish Streams“, „Celetial Terrerial Commuters“, „Hope“ und das wunderbare „Sister Andrea“.

Da es sich um eine Compilation handelt, wechselt die Besetzung zwischen den Stücken. Mal sitzt Billy Cobham am Schlagwerk, mal Michael Walden, mal zupft Rick Laid den Bass, mal Ralphe Armstrong … und Kenner merken gleich: da sind einige der famosen Aufnahmen mit dem London Symphony Orchestra mit Jean-Luc Ponty an der Violine aus dem Jahr 1974 dabei. „Ein Kessel Buntes“ also, in bester DDR-Tradition ;-).

Ich habe John McLaughlin im vergangenen Oktober in der Münchner Isarphilharmonie live erlebt. Und wenn die „Rolling Stone“ meint, er sei einer der 100 besten Gitarristen der Welt, dann kann ich dem nicht widersprechen. Das Konzert war unglaublich. Der alte Sack hat die Halle zum Vibrieren gebracht, die alten Bierbäuche ebeno wie die jungen Waschbretter. Überhaupt war es toll zu erleben, was für ein breites Publikum McLaughlin heute anspricht. Aber man muss sich nicht wundern. Einer der mit Miles Davies vor mehr als 50 Jahren „Bitches Brew“ eingespielt hat und heute mit Jany McPherson kubanische Tanzmusik fezzt, dass es eine Freude ist, der kann einfach alles. Für alle.

Embryo mit Mal Waldron und Charlie Mariano: 19 Juni 1973 in Hamburg

Was für eine Kombination: Embryo mit Mal Waldron und Charlie Mariano! Am 19 Juni 1973 hatten sie in Hamburg einen gemeinsamen Auftritt und das Konzert wurde mitgeschnitten. Vom Band hat Muggy Whitefield 30 Jahre später 250 Platten gepresst und in einem rohen Karton mit kopiertem Cover-Text auf den Markt geworfen. Eine davon steht in meinem Regal. Vier Stücke sind darauf zu hören: „New Ridon“, „Flute & Saz“, „The Call“ und „A Place to Go“. Eine fetzige Mischung aus Jazzrock und Ethno, wie überhaupt der Auftritt ganz gut den Aufbruch von der klassischen Jazzrock-Zeit in die Ethno- und Weltmusik-Erkungsreise der Embryonen markiert.

Der Altsaxophonist Mariano hatte ein Jahr zuvor erstmal auf Vermittlung von Waldron mit den Embryos gespielt. Mariano war Kenner der indischen Musik und hat wohl entscheidend die Gruppe in diese Richtung geschubbst. Später ging Embryo dann ja für längere Zeit nach Indien und hat sich intensiv in die traditionelle indische Musik und Philosophie eingearbeitet. Vorher kamen aber noch Marokko und später dann die ganzen Afrika-Reisen und der Nahe Osten. Ach, Embryo ist eine ganze Welt für sich und hat auch die ganze Welt in sich aufgenommen. Hier in der Fb-Gruppe gibt es vermutlich eine treue Reisegesellschaft der Embryonen mit umfangreichem exegetischem Wissen und größeren Plattenbeständen. Und wer Embryo nicht kennt, aber neugierig auf neue Klänge ist, die sollte sich mal auf die Reise in den Mutterleib der Musik begeben. Für Embryo-Neulinge habe ich noch einen tollen Lese-Tipp, ein lesenswertes Feature im Deutschlandfunk als Einstiegshilfe in den Mutterleib.

Ihre Kinder: Jeans Cover

Raus aus den Jeans. Mit der Platte meine ich. Das „Jeanscover“ von „Ihre Kinder“ erschien 1970 nud war die zweite Platte der fränkischen Blues-Band. Ihre Kinder haben einmal den Preis als beste deutschsprachige Blues-Gruppe gewonnen. Und ich war in den 70iger Jahren absoluter Fan der Gruppe. Nicht nur weil ich Franke bin. Auf dieser Platte befinden sich einige ihrer stärksten Songs: Das elegische „Mantel im Wind“, der Abgesang auf die Heroin-Opfer „Weisser Schnee, schwarze Nacht“ und natürlich das Anti-Kriegs-Lied „Toter Soldat“. Die Lieder haben nichts an Aktualität eingebüßt.

„Ein Mantel im Wind. Ein Märchen und Vater kauft nur gutes Gras. Wo ich saß bin ich schon lang nicht mehr“
Gutes Gras … das klingt doch recht aktuell …

Und „Weißer Schnee“:

„Die Wände sind grau und das Zimmer ist kahl
Der Boden ist feucht und das Licht eine Qual
Ein Mädchen braucht keine Liebe mehr
Ohne Schnee ist ihr Leben leer
Das ist Leben für sie
Doch sie glaubt an ein Spiel
Weißer Schnee schwarze Nacht“

Das war viel klarer und drastischer als Juliane Werdings Schlagerliedchen „Am Tag, als Conny Kramer starb“.
Und das Cover aus schwerem Denim erinnerte stark an die Stones, nur ohne Reißverschluss und offenen Schlitz 😉

Barry Mc Guire "Eve of Destruction"

Ein Song zum Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkriegs. Und ein „One hit wonder“: Barry Mc Guire „Eve of Destruction“. Der Song ist heute so aktuell wie in seinem Entstehungsjahr 1965. In diesem Song schreit Barry Mc Guire die Wut und Ohnmacht förmlich ins Mikrofon, die Wut über den Vietnam-Krieg und die Ohnmacht der Jugend, die noch nicht wählen darf und scheinbar nichts gegen den Wahnsinn in der Welt ausrichten kann.

„The Eastern world, it is exploding
Violence flaring, bullets loading
You’re old enough to kill but not for voting
You don’t believe in war, but what’s that gun you’re toting?
And even the Jordan river has bodies floating“

Krieg und Terror überall auf der Welt, nicht nur in Vietnam, sondern auch im Nahen Osten, Terror in der damaligen Sowjetunion. Was hat sich denn geändert? Na gut, das Wahlalter wurde von 21 auf 18 gesenkt und Putins Russland hat die Sowjetunion beerbt. Aber sonst?

„And think of all the hate there is in Red China
Then take a look around to Selma, Alabama
Ah, you may leave here for four days in space
But when you return, it’s the same old place
The pounding of the drums, the pride and disgrace
You can bury your dead, but don’t leave a trace
Hate your next door neighbor but don’t forget to say grace“

In Selma in Alabama kam es Anfang der 60iger Jahre nach mehreren rassistischen Vorfällen zu Unruhen und 1965 zu den legendären Selma-MontgoMontgomery-Protestmärschen der Bürgerrechtsbewegung. Barry Mc Guire thematisierte diese Vorfälle ebenso, wie die großen Kriege und die Unterdrückung der Freiheit in der Sowjetunion und in China und schuf damit einen der größten Protest-Songs aller Zeiten. Er ist es wert auch heute noch gehört zu werden. Ein One-hit-wonder unter den All-time-greatest-hits.

Illustrationen © Michael Kausch

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