Der Streit ums Urheberrecht, seine Wahrung und seine Verletzung ist keine Begleiterscheinung des digitalen Zeitalters und nicht erst seit der weltweiten Nutzung des Internets eines der Topthemen.
Die Nutzung – und die Ausbeutung – des geistigen, gestalterischen und künstlerischen Eigentums anderer ist so alt wie die Menschheitsgeschichte insgesamt.
Mal gefordert und gefördert, mal verdammt und verurteilt eine Gesellschaft das Kopieren berühmter Kunstwekre, das Abschreiben von Büchern, das Aufgreifen antiker Mythen und Erzählungen. Die gesamte Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte liefert in Hülle und Fülle Beispiele von Refrenzen, Reminissenzen, Bezügen, Anspielungen auf und/oder Plagiaten anderer Werke.
Das war schon in der Antike so.

Nun ist es müßig, darüber nachzudenken, ob die literarische Neufassung eines Faust-Motivs eine Urheberrechtsverletzung darstellt oder nicht.
Weniger müßig ist es aber, in diesem Zusammenhang eine ganz andere Verletzung des Urheberrechts als Beispiel zu bemühen, die zwar offiziell geächtet, de facto aber von weiten Teilen der Bevölkerung toliert und sogar mitgetragen wird: Die Markenrechtsverletzung.

Der Markenname zählt.

Zwar haben wir es hier mit Industrieprodukten zu tun, deren Zweck darin besteht, für Unternehmen Umsätze zu generieren, und der künstlerische Wert diverser Markenartikel lässt sich nur bedingt feststellen, aber das ist nicht der Punkt. Entscheidend ist: Markenartikel unterliegen ebenso dem Urheberrecht, dem Design- und Gebrauchsmusterschutz und letztlich dem Recht an der Verwendung des eigenen Namens und der eigenen Marke. Das Thema ist nicht neu. Im Zusammenhang der Serie über die Mythen des Geistigen Eigentums muss aber auch diese Frage gestellt werden. Wie verhält es sich eigentlich mit dem Geistigen Eigentum von Unternehmen, z.B. mit dem Design von Markenartikeln?
Die Frage ist umso berechtigter, weil es längst geltendes Recht gibt. Danach wird zwar auf politischer Ebene immer wieder laut gerufen (z.B. wenn die EU-Staaten China unter Druck setzen wollen), aber wie sieht’s denn aus auf der Straße?
Was dem einen billig ist, müsste dem anderen recht sein. Oder nicht?
Seit Jahrzehnten gelten Marken als schützenswertes Eigentum. Dabei geht es längst nicht nur um den Warenwert einer Marke. Es geht immer auch um den immateriellen Wert, also um das, was der Konsument bereit ist, für ein Produkt zu bezahlen, wenn er dessen Image für sich in Anspruch nimmt („Schaut her, das kann ich mir leisten“). Und es geht nicht zuletzt auch um das künstlerische geistige Eigentum – vor allem in der Welt der Mode geht es um wenig anderes als um das Design der aktuellen und der kommenden Kollektion.
Spektakuläre Bilder, auf denen Bulldozer über Lastwagenladungen mit gefälschten Uhren rollen, tauchen immer wieder in der Presse auf. Und jeder stimmt diesen Aktionen zu. Aber mal ehrlich… Wie schaut’s denn in Wahrheit aus? Was gesellschaftlich im großen Stil nicht toleriert wird, wird im Kleinen seit vielen Jahren praktiziert: Vom Pauschaltouristen, vom Jedermann.
Unrechtsbewusstsein? Fehlanzeige! Das ist noch weniger vorhanden als beim Überziehen eines Parkscheins. Ein paar willkürlich zusammengestellte, vom Autor dieses Textes beobachtete Szenarien zeigen sehr eindrücklich, wie doppelt Maß genommen wird – und das mitten in der EU, also in den Ländern, die ganz vorneweg im Kreuzzug gegen Urheberrechtsverletzungen mit marschieren.

Erschwinglicher Luxus?

Santa Teresa Gallura:
Leise plätschert das Meer, die Sonne brennt vom Himmel, die Urlauber genießen das Strandleben. Wohl dem, der jetzt die passende Sonnenbrille von Gucci oder RayBan auf der Nase hat.  Und wenn nicht? Kein Problem: Ein Heer von Strandverkäufern, zumeist afrikanischer Herkunft, bietet das passende modische Accessoire – natürlich ein Imitat, aber dafür kostet es auch nur ein Bruchteil. Kaum ist der Eine verschwunden, kommt der Nächste, diesmal mit Armbanduhren. So geht es den ganzen Tag. Niemand stört sich daran.

Das billige Imitat im Supermarkt.

Cannes -Rue Meynadier:
Während keine 200 Meter entfernt auf der Croisette breit gebaute Herren mit dunklen Anzügen, dunklen Hemden und Sonnenbrillen darauf achten, dass nur ja kein Unbefugter die Luxus-Läden der großen Designer betritt, findet hier der Pauschalurlauber, den das Kreuzfahrtschiff an Land gespült hat, die richtigen Produkte für den kleinen Geldbeutel. „Colosseum“ heißt eines davon – ein angenehmer Herrenduft, der nicht von ungefähr genauso richtet, wie ein zehn Mal so teures Markenprodukt von Laura Biagiotti. Auch die Flacons sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Und wie könnte es anders sein, dass das Original „Roma“ heißt, und das nachempfundene Produkt „Colosseum“. Das gibt es übrigens auch ganz regulär in den großen Supermärkten in Italien und ist auch hier online erhältlich.

Bad Sauerbrunn – Österreich
Einmal im Jahr begeht der kleine österreichische Kurort in der Nähe der ungarischen Grenze ein großes Marktfest. Fieranten aus buchstäblich allen Ländern der Welt bieten ihre Waren zum Verkauf. An jedem dritten Stand gibt es die aktuelle Kollektion der Fußballnationalmannschafttrikots: Deutschland, Frankreich, Italien, Brasilien. Und dann noch die großen Clubs: Austria Wien, FC Barcelona, Chelsea, Mailand, FC Bayern. Mit Rückennummer und Spielernamen. Gut verkaufen sich Messi, Schweinsteiger, Di Natale. Viele Jungen werden ihr neues Trikot stolzgeschwellt beim nächsten Training der C- oder D-Jugend tragen. Für nicht mal 20 Euro ist es ein wahres Schnäppchen, kosten doch die Original-Trikots mindestens 50 Euro, meistens um die 80 Euro. Niemand fragt, woher die Ware stammt, niemand, ob sie vielleicht so nah am Original ist, dass man die Unterschiede kaum bemerkt.

Rom – Piazza della Rontonda

Schnäppchen am Straßenrand

Männer mit markanten Gesichtszügen stehen in antiken Gewändern vor dem Pantheon. Für ein paar Euro lassen sie sich zusammen mit Touristen fotografieren. Vor allem Japaner sind ganz wild auf diese Bilder mit den einstigen Hütern der Staatsmacht. Ein paar Meter weiter stehen Verteter der gegenwärtigen Staatsmacht in neuzeitlichen Uniformen. Polizeipräsenz ist angesagt, es passiert ja schnell etwas im dichten Menschenknäuel. Ein wunderbares Feld für Taschendiebe… und -händler. Während aber das Auge des Gesetzes mal hierhin und mal dorthin schweift, ist es blind für die Männer, die Berge von Taschen von Dolce & Gabbana und Louis Vuitton durch die Straßen tragen und den Urlaubern zum Verkauf anbieten. Keine der Taschen ist echt. Der Handel ist verboten, Touristen, die beim Kauf erwischt werden, zahlen € 500 Strafe. So steht es im Reiseführer und auf mehrsprachigen Hinweisschildern. Das scheint aber weder die Touristen, noch die Händler, noch die Polziei zu stören. Ungeniert fügt sich der illegale Handel mit Markenplagiaten ins Stadtbild. In Rom, in Pisa, in Genua, Florenz, Paris, Barcelona… Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Ganz selten kommt es – und wenn, dann nur halbherzig – zu Eingriffen der Beamten.

Flughafen München (oder Hamburg, Berlin, Köln…
Ferienende. Charterflüger karren Touristen aus den Ferienregionen rings um den Globus zurück. Tonnen an Gepäck werden ausgeladen und am Zoll vorbei ins Land gebracht. In wie vielen Koffern steckt ein Markenplagiat? Eine gefälschte Uhr, eine Sonnenbrille, Sportartikel, Garderobe…?
Das weiß niemand zu sagen. Die Industrie spricht von Milliardenschäden, der deutsche Urlauber vom Schnäppchen. Klar – im tiefsten Innern weiß er, dass er etwas Illegales gemacht hat. Aber es war halt ein Schnäppchen, eine Supergelegenheit, ein Coup. Denn der radebrechen deutsch sprechende Verkäufer hat beim zweiten Trikot mit sich handeln lassen – Vati hat den Preis noch mal drücken können. Und Muttis neuem Hermes-Tuch sieht man auch nicht an, dass es nicht echt ist. Na ja: Das Lacoste-Krokodil hat einen angewinkelten Schwanz, die Lorbeerblätter vom Fred-Perry-Kranz wirken ein wenig zerzaust, aber mal ehrlich: Wer sieht das schon? Und selbst wenn: Ist doch egal.

Wer anhand der oben genannten Fälle meint, das wären klischeehafte Einzelbeispiele, der sollte sich die Mühe machen, an einem Urlaubsort einem Srandverkäufer, einem Plagiats- oder einem Imitatsverkäufer zu beobachten. Straßencafes bieten sich perfekt dazu an. Die Verführung, gefälschte, nachgemachte oder Originalprodukten nachempfunde Ware im Urlaub oder auf Jahrmärkten zu kaufen, ist riesengroß. Das Bedürfnis, im Besitz repräsentativer und vorzeigbarer Markenprodukte zu sein, und es auf diese Art zu stillen, haben beileibe nicht nur Menschen, die sich die Marke an sich nicht leisten können.

Der Kauf nachgemachter Produkte ist ganz offensichtlich ein Massenphänomen und -problem, da es kaum ein Unrechtsbewusstsein gibt. Kein Käufer ist so naiv, nicht ganz genau zu wissen, dass ein Shirt, das normalerweise über 100 Euro kostet, und hier für 20 Euro angeboten wird, kein Original ist.  Das Fake wird ganz bewusst gekauft – und ganz gezielt. Auch das ist eine Art, das Urheberrecht auszuhöhlen, nur, dass es kaum einer merkt. Denn noch ist das Design des Flacons, der Sonnenbrille, des Schals oder Trikots geistiges (und materielles) Eigentum eines Unternehmens.

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Was bisher geschah:

Einleitung
Mythos #1: Geistiges Eigentum gibt es nicht
Mythos #2: Künstler haben es schwerer als früher
Mythos #3: Ohne das Internet ginge es den Künstlern besser
Mythos #4: Das Urheberrecht muß überarbeitet werden, weil sich durch
das Internet alles geändert hat
Mythos #5: Das Urheberrecht sorgt dafür, daß alle Kreativen gleich
fair behandelt werden
Mythos #6: Ohne Verwertungsrechte sähe die Musik heute ärmer aus

7 Antworten

  1. Der Weg vom Urheber zum Uhrenschieber ist mir zu weit, ich kann bei Markenartikeln keinen Urheber im klassischen Sinne erkennen. In den wenigsten Fällen ist hier ein „Künstler“ am „Werk“. Hier wird Umsatz geschützt sonst nichts.

    Meine „echte“ Ray-Ban trage ich seit über zehn Jahren und ich gehe bestimmt nicht zimperlich mit ihr um, bei den gefälschten Rolexen fällt nach spätestens vier Wochen die Krone ab und die Goldfarbe beginnt zu blättern.

    Oftmals ist Marke auch mit Qualität verbunden, ist sie das nicht, verliert sie ohnehin ihre Daseinsberechtigung. Wer billigen Schund kauft, kauft eben billigen Schund. Qualität hat seinen Preis, das ist eben so, Binse!.

    Ich denke, dass sich das „Gute Produkt“ selber schützt, weil es eben „gut“ ist und damit begehrenswert. Und wer sich für 50 Euro eine gefälschte Rolex kauft, der wäre als Kunde ohnehin niemals in Frage gekommen, schliesslich kostet alleine der Service für die Echte alle paar Jahr das zehnfache.

  2. Nun ja: Design ist Kunst. Design abkupfern nicht. Wer mag schon Trittbrettfahrer?

    Und was die Qualität angeht: Stell Dir vor, Du stellst etwas in Markenqualität her. Jemand anderes kupfert Dein Design ab und baut gnadenloses Glump mit Deinem Namen. Und nun steht in allen Internetforen, Dein Produkt sei Mist. So kann der Prollkunde mit der 10-Euro-Rolex durchaus die Marke Rolex beschädigen, auch wenn er selbst nie eine kaufen würde.

    Nein, Markenrecht, Patente, Gebrauchsmusterschutz und Urheberrecht hängen schon zusammen. Danke für den Tipp für einen weiteren Mythenartikel 🙂

  3. Oh Gott, Sebastian du hast dich, vermutlich der Folgen nicht bewusst, in eine Diskussion über Design und Kunst mit MIR eingelassen, du Armer …

    Design ist NIEMALS Kunst, wenn ich besonders übellaunig bin, behaupte ich sogar es ist das Gegenteil von Kunst!

    Kunst ist frei und verfolgt als einzigen Zweck zu künden und zu sein – sie macht sich NIEMALS nützlich, wie es eine Ausstellung in den Achtzigern „Design ist Kunst, die sich nützlich macht“ suggerieren wollte.

    Aber für diese Diskussion braucht man einen lauen Sommerabend und ein paar Flaschen Alkohol, oder aber Boxhandschuhe …

  4. Widerspruch.
    Die Frage ist nicht, ob Design sich Kunst nennen darf oder nicht. Es geht nicht darum, ob sich eine gestaltete Sonnenbrille „Kunst“ nennen darf oder nur eine museale Fettecke.
    Der Punkt ist, dass Design genauso einen Anspruch auf Schutz genießt, wie Kunst (durch das Urheberrecht) oder Prodkute (durch Patente und/oder Gebrauchsmusterschutz).
    Sie verdichtet sich in diesem Gleichnis:
    Irgendwann wird ein Staatsanwalt mal einen Illegal-Downloader vor sich sitzen haben. Und er wird sich vielleicht fragen lassen müssen, wieso er ein gefälschtes Lacoste-Hemd trägt, den anderen aber des Diebstahls geistigen Eigentums bezichtigt.

    Auch Design (ob nun Kunst oder nicht) ist das Ergebnis kreativer Arbeit und unterliegt rechtlichem Schutz. Nur scheint es eben im Sommerurlaub das dazugehörige Rechts-/ und Unrechtsbewusstsein ausgeschaltet zu werden…
    Produktpiraterie ist ebenso ein Verstoß gegen geltendes Recht. Auch gegen den Ansprauch, das eigene geistige Eigentum (oder das von Designern erkaufte) auf Basis eigener Entscheidungen zu kommerzialisieren.
    Wer also auf die Internetpiraterie schaut und einhackt, der sollte erst mal in seinen eigenen Kleiderschrank linsen… Darum geht’s.

  5. @Alexander Na, auf die Diskussion freue ich mich. Ich kenne ein paar Sachen, die sind so miserabel designt, dass man sie kaum verwenden kann. Das muß also Kunst sein. Diese etwas elitäre Sicht auf Kunst (muss unverkäuflich, unbrauchbar und unverständlich sein, um wirklich gut zu sein) und die damit verbundene despektierliche Haltung zu Kunsthandwerk und Design erinnert mich an den ewigen Konflikt in der Musik. „Programmmusik“ nennt man Musik, in der akustische Bezüge zur Realität hergestellt werden. Vögel zwitschern, Meer rauscht, irgendein Bühnengeschehen wird untermalt. (Beispiel: Das Capriccio Stravagante von Farina http://www.youtube.com/watch?v=lnA0AlnMgx4, da erkennt vielleicht sogar der Unmusikalische Hühner, Katzen, Fechter und grölende Betrunkene, die aus Spelunken zusammenströmen. GANZ große Kunst.) Und was ist das Ergebnis? Programmmusik ist ein abwertender Ausdruck. Was auch sonst.

    Also, wir diskutieren das aus, ich freue mich schon und bin sicher, Du erscheinst dazu nicht argumentativ unbewaffnet 🙂

  6. Besonderer Respekt gebührt Michael Kausch, der allein zu Recherchezwecken für diesen Artikel nach Santa Teresa, Rom, Cannes und diverse Flughäfen der Welt bereist hat!

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