Vor rund zwei Jahren habe ich auf meiner Facebook-Seite Michael Kausch schreibt in 100 Tagen 100 Bücher von 100 Autoren vorgestellt. Nach und nach fasse ich hier auf Czyslansky diese kleinen Vorstellung – Besprechungen sind es eigentlich nicht – in Quintetts zusammen. Das Quintett Nummer IX erschein schon im Februar. es wird also mal wieder Zeit …

Heute stelle ich Bücher von fünf politischen Autor*innen vor:

Erich Mühsam: Judas

„An starken Anarchisten bräucht mer halt“ war ein beliebter Satz an bayerischen Stammtischen zu später Stunde, als studentische Kneipen noch geöffnet hatten und billiger Rotwein und edler Augustiner Stoff noch in breiten Urströmen floss. Und in den siebziger und frühen achtziger Jahren fiel dann immer wieder ein Name: „So einen wie den Mühsam Erich“.
Sehr verbreitet freilich waren dessen Schriften nie. Abgesehen vielleicht von seinem Lampenputzer-Gedicht. Das kannte jeder:

„War einmal ein Revoluzzer
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: „Ich revolüzze!“
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.

Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.“

1978 erschienen seine Schriften in neun anarchoschwarzen Bänden im Berliner Verlag Klaus Guhl. Gekauft hab ich sie im „Adalbert 14“, einem legendären und schon lange nicht mehr existierenden linken Münchner Buchladen und seitdem stehen sie in meinem Regal.

Der Band „Judas“ enthält das gleichnamige heute fast vergessene Theaterstück, ein „Arbeiterdrama in 5 Akten“, uraufgeführt 1921 in Mannheim. Geschrieben hat er das Stück während seiner Haft im Gefängnis in meiner Heimatstadt Ansbach. Und damit ist auch klar, warum ich ausgerechnet diesen Band hier zur Vorstellung ausgewählt habe.

Die Handlung spielt im Januar 1918 in einer deutschen Großstadt. Es geht darum, wie ein Arbeiterführer einen großen Streik organisiert und dabei sich in Widersprüche verstrickt und schließlich die Arbeiter verrät. Das alte Elend.

Erich Mühsam war Anarchist und Pazifist, Anti-Stalinist und Antifaschist. Er gehörte zu den führenden Köpfen der Münchner Räterepublik und saß deshalb in Ansbach in Festungshaft. 1934 wurde er von den Nazis im KZ Oranienburg ermordet.

Rafael Chirbes: Der Fall von Madrid

Der Tag, an dem Franco stirbt. Endlich. Ich erinnere mich sehr gut an den Tag im Herbst 1975. Als ich in meiner damaligen Stammkneipe in Ansbach, im Steuerer, das Biermann-Gedicht las

„Du, wenn ich daran denke
Daß dieser wütige Henkergreis
Nach vierzig blutigen Jahren leis
Hinüberschläft! und macht sich davon
Und kommt drumrum um die Hauptlektion
Die fällig ist: die Revolution
dann muß ich schrein
nein! nein! nein! nein!
das darf nicht sein!“

Na gut. In dem Roman jedenfalls geht es um Spanien am Ende der Franco-Diktatur. Es ist eine Momentaufnahme, ein großes Panoramabild einer ganzen Gesellschaftsordnung, ein Bild der großen und der kleinen Leute, der Henker und der Opfer, der Mitläufer und der Widerstandskämpfer, der Geheimpolizisten und der Anarchisten, der Verliebten und der Einsamen.

Der Autor schildert eine vereiste Gesellschaft, die noch nicht weiß, wo sie hinfließen soll, wenn das Eis des Franco-Faschismus sich einmal zurückgezogen haben wird.

Der Roman spielt an einem einzigen Tag, eben am 19. November 1975, am Todestag Francos. 
Franco, das alte Gespenst, ist noch lange nicht tot. Die katholische Kirche Spaniens jagt ihn noch immer durch die Dörfer Kastiliens, ein irre gewordener Ex-Monarch jagt derweil Elefanten und fremde Prinzessinnen, derweil die blutigen Wunden des Bürgerkriegs noch lange nicht verheilt sind. „Der Fall von Madrid“ ist ein erschreckend aktuelles Buch. Und schön zu lesen ist es auch noch. Wie ein anderer großer Roman Kastiliens, der vor zwei Jahren meine Reihe der 100 Buchvorstellungen beendete. Ihr erratet den Titel? Geduld …

Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran

Im Jahr 2017 bereiste ich den Iran im Zug. Hier auf Czyslansky gibt es eine ausführliche Reisebeschreibung in mehreren Teilen. 

Hier mein großer Tipp unter den aktuellen Büchern aus dem Iran. Shida Bazyar erzählt in „Nachts ist es leise in Teheran“ von vier Mitgliedern eine Familie, verteilt auf die drei Jahrzehnte zwischen der iranischen Revolution 1979 und dem Jahr 2009.

Der junge linke Revolutionär Behsad wirkt an der Revolution 1979 mit und muss schnell erkennen, wie die orthodoxe islamische Geistlichkeit, eben noch Kampfgenosse gegen das Unrechts-Regime des Schah, schnell seine Genossen einen nach dem anderen ausschaltet und ins Gefängnis und vor die Erschießungskommandos wirft. Er muss mit seiner Familie das Land verlassen und lebt danach in Deutschland das Schicksal des Emigranten. Seine Kinder werden zwischen den Kulturen groß, heimatvertrieben und heimatlos. Und das Buch erzählt wie die Kinder und Enkel heute die Hoffnungsträger sind auf eine friedliche Veränderung und Öffnung des Landes.

Es ist ein deutsch-iranischer Roman, der uns den Iran näher bringt und Deutschland aus der Ferne zeigt. Die Autorin lebt in Berlin als Bildungsreferentin für Jugendliche, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr machen. Sie war Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung.

Lois Pryce: Im Iran dürfen Frauen nicht Motorrad fahren

Noch eine Frau, die ein großartiges Buch über den heutigen Iran geschrieben hat, eine Frau, die auf ihrem Motorrad 5.000 Kilometer durch den Iran reiste und darüber ein fesselndes Buch schrieb.

Das Buch ist voller Widersprüche, wie der Iran voller Widersprüche ist. Der Iran ist ein sicheres land für Reisende. Denn Iraner sind überaus gastfreundlich. Der Iran ist ein autoritärer Polizeistaat, in dem Menschen auch ohne Gerichtsverfahren einfach verschwinden. Der Iran ist ein Land, in dem Frauen sich nicht frei bewegen können, in dem sie in der Öffentlichkeit den Hijab tragen müssen, in dem die Männer traditionell Machos sind, in dem die Sittenpolizei gefährlich ist, in dem die Frauen tatsächlich nicht Motorrad fahren dürfen. Der Iran ist ein Land, in dem Frauen geachtet werden. Der Iran ist ein Land, wie kein anderes.

Und alles wird noch viel komplizierter, weil wir Westler viele Verhaltensweisen der Menschen im Iran immer falsch verstehen.
Die Autorin kann viele Beispiele davon berichten, etwa wenn sie einmal vermeintlich auf ihrem Motorrad verfolgt wird, nur um schließlich von ihrem Verfolger zum Essen eingeladen zu werden, und zwar nicht in schlechter Absicht alleine, sondern mit Gästen zu einer Feier mit Freunden.

Pryce beschreibt viele Erfahrungen, die ich – offen gestanden weit weniger intensiv, aber doch gleichgerichtet – bei meiner Reise durch den Iran vor wenigen Jahren ebenso machen durfte: herzliche und neugierige Menschen, die sich wehren gegen ein autoritäres Regime, die sich Rückzugsorte geschaffen haben, Gegenwelten, die einen mehr oder weniger offenen Islam leben, die eine reiche Kultur leben und sich ihrer Tradition bewusst sind und sich gleichzeitig der Moderne stellen.

Ein tolles Buch, ein starkes Buch, eine tolle Frau, eine starke Frau.

Peter-Paul Zahl: Der Domraub

Nein, dieses Buch ist ja gar kein politisches Buch. Aber es ist von einem durch und durch politischen Schriftsteller. 

Dieses Buch ist schon ein wenig älter und es lag schon länger hier herum und wartete darauf gelesen zu werden. Es handelt sich mal wieder um einen Krimi für Nicht-Krimi-Leser. Zahl war in den 70iger Jahren einige Jahre in der linken Stadtguerilla aktiv und wurde von Polizei und Staatsanwaltschaft dem RAF-Sympathisantenkreis zugerechnet. Er saß mehrere Jahre in Haft. In den 80iger Jahren setzten sich zahlreiche prominente Schriftsteller für ihn ein, darunter Heinrich Böll.

Er schrieb allerlei Gedichte, Theaterstücke, verfasste Prosa und Übersetzungen.

Den Domraub nannte er selbst einen „Schelmenroman“ und wirklich ist es eine völlig abgefahrene und leicht dahin erzählte Story: Der kleinkriminelle Jugoslawe (gab es 1975 noch) Vladimir Heiter lebt in Köln und wird von Freunden gebeten sie beim Verkauf des gestohlenen Domschatzes zu unterstützen. Im Folgenden verstrickt sich Heiter immer mehr in den Fall, lässt Polizei und Unterwelt gleichermaßen schlecht aussehen, und agiert selbst wie eine krude Mischung aus Jean-Paul Belmondo und Luis de Funès mit Kölner Halbwelt-Akzent.

Ein Willy Millowitsch für Links-Alternative.

 

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