Lieber Pastis trinken als E-Mails lesen!

Der fleißige Deutsche? Das war einmal!
Der fleißige Deutsche? Das war einmal!

Der Feierabend ist dem Franzosen heilig – so heilig, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber jetzt sogar eine Vereinbarung abgeschlossen haben, die das Lesen von geschäftliche E-Mails nach 18 Uhr verbietet. So stand es jedenfalls in amerikanischen Medien, was sofort bei mir die Frage aufwarf: Was passiert, wenn sie es doch tun? Logisch zu Ende gedacht müsste es ja Strafen geben. Wie viel kostet es, wenn ich im Straßencafe sitzend mit dem iPhone in der Hand erwischt werde? Hat die Polizei das Recht, meine Mailbox nach Zeitstempeln zu durchsuchen?

In Wahrheit ist die Sache natürlich weit weniger aufregend: Arbeitnehmern wird lediglich empfohlen, nach 18 Uhr nicht mehr auf Mails zu reagieren. Und es sind auch nicht alle Franzosen, sondern nur diejenigen, die in bestimmten besonders von Überarbeitung bedrohten Branchen wie Technologie oder Unternehmensberatung, also beispielsweise Angestellte von Google oder Deloite in Frankreich.

La grande nation ist ja schon lange das Ziel hämischer Anwürfe aus den USA ob ihrer laxen Arbeitsmoral, die bekanntlich 2008 in der Einführung der 35-Stundenwoche gipfelte. Der Franzose als fauler Hund, der lieber an einem Glas Pastis nimmt und sich ´ne Gauloise reinzieht als wie ein aufrechter Angloami seine protestantische Arbeitsethik auszuleben: Das passt auch schön ins deutsche Weltbild. Schließlich sehen sich die Menschen hierzulande ja auch als selbstversklavte Rackerer, die keinen Feierabend finden. Womit haben wir schließlich das Wirtschaftswunder geschafft, wenn nicht durch Ärmelaufkrempeln und Zupacken, bis der Arzt kommt. Laut Statistischem Bundesamt leiden immerhin zwischen sieben und acht Prozent aller Mitarbeiter bei großen DAX-Unternehmen am gefürchteten „Burnout-Syndrom“.

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Arbeitnehmervertreter auch hierzulande immer wieder versuchen, den elektronischen Feierabend verpflichtend zu regeln. Ein Paradebeispiel lieferte der Volkswagen-Konzern, der Betriebsrat 2011 erreichte, dass der Blackberry-Server 30 Minuten nach Ende der Gleitzeit ausgeschaltet werden müssen. „E-Mail-Stopp nach Feierabend“, lautete damals die Headline bei Spiegel Online.

Fakt ist: Der vernetzte Arbeiter hat niemals „Feierabend“, wie Ossi Urchs und ich in unserem bei Hanser erschienen Buch „Digitale Aufklärung“ geschrieben haben. Nicht, dass es nicht gute Gründe gäbe, E-Mail abzuschaffen. Atos-Chef Thierry Breton – schon wieder so ein Franzose! – hat  das vorgemacht mit seiner Aktion „Zero-E-Mail“: Bei dem deutsch-französischen IT-Dienstleister sind unternehmensinterne E-Mails verboten – aber aus einem ganz anderen Grund. Er hält E-Mail einfach für ineffizient. Sein Leute sollen statt dessen Instant Messaging und eine Facebook- und Twitter-ähnliche Plattform für die interne Kommunikation nutzen.

Das Medium E-Mail, auf das sich heute noch die Allermeisten in ihrem täglichen Austausch mit Kollegen, Kunden, Freunden oder Verwandten verlassen, ist tatsächlich äußerst ineffizient. Außerdem kann Mail ungesunden Stress erzeugen, wie die schottischen Computerwissenschaftlerin Karen Renaud von der Glasgow University und die Psychologin Judith Ramsay von der Paisley University vor einigen Jahren festgestellt haben. Sie befragten 200 typische Büroarbeiter und wollten  unter anderem wissen, wie oft sie denn in ihre E-Mailbox schauen würden. Ungefähr alle Viertelstunde, lautete die gemittelte Antwort. Dann installierten die beiden Forscherinnen Software auf den Arbeitsplatz-PCs der Probanden, die notierte, wann Mails gezogen wurden, und siehe da: In Wirklichkeit checkten die Damen und Herren während der Arbeitszeit bis zu 40 Mal in der Stunde ihre Mails – Getriebene des Digitalzeitalters und Sklaven ihrer Mailprogramme, könnte man meinen.

Dass die Franzosen also dem E-Mail den Kampf angesagt haben, macht so gesehen durchaus Sinn. Ob sich die sturen Gallier auch daran halten, ist aber eher unwahrscheinlich. Viel interessanter allerdings fand ich in diesem Zusammenhang eine Untersuchung, die FRED, der Website der Federal Reserve Bank of St. Louis, veröffentlicht wurde und die durchschnittliche Arbeitszeit in verschiedenen Industrieländern in West und Ost verglichen wurden. Die Deutschen, das kam heraus, sind mit 1.406 Stunden ja noch fauler als die Franzosen (1.475)! Wenn du einen echten Malocher sehen willst, musst du auch nicht nach Amerika (1.758) gehen, sondern nach Hongkong, wo die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche bei sage und schreibe 2.343 Stunden liegt.

Worüber beschweren wir uns also eigentlich?

Eine Antwort

  1. Das zeigt auch wieder einmal wie stark die Gewerkschaften in Frankreich vertreten sind und wie bevormuttert Arbeitnehmer werden müssen. Eigentlich dürfte es nicht zu viel verlangt sein, dass solch ein Thema Unternehmen intern klären. Das Hauptproblem an der Erreichbarkeitsdebatte ist doch die Erwartungshaltung der Parteien. Ein Chef der immer auf seine Mitarbeiter zugreifen möchte und Mitarbeiter die Angst haben mal nicht erreichbar zu sein. Hier sollte doch ein offener Austausch Abhilfe schaffen, wenn diese Erwartungshaltungen einmalig geklärt werden.

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