10. Dezember 2012 – Manchester – London und zurück

Mario Balotelli verkörpert, was man als Trauma der deutschen Nationalmannschaft bezeichnen darf. Der Stürmer von Manchester City hatte in seiner Eigenschaft als Spieler der italienischen Nationalmannschaft maßgeblichen Anteil an dem desaströsen Ausgang des Halbfinalspiels Deutschland Italien. Denn er schoß beide Tore, die bei dem Spielstand von 1:2 Jogi Löws Jungs das Ticket für die Heimfahrt bescherten. Nicht, dass Balotelli im Alleingang das Ergebnis bewirkt hätte, das inspirationslose Spiel des deutschen Teams trug schon das Ihrige dazu bei. Aber das ist lange her. Seitdem aber sitzt das Trauma tief.
Wieder und wieder bemühte die Presse Bilder des muskelbepackten oberkörperfreien Spielers, der mit geballten Fäusten und grimmigen Blick seinen Erfolg feiert. Ein kahlrasierter Schädel mit einem blond gefärbtem kleinen Irokesenkamm. Und wieder und wieder hieß es: Was für eine Bestie.

Mario Balotelli. Foto: Wikipedia/Илья Хохлов

Das deutsche Trauma, gegen den wilden, animalischen Balotelli spielen zu müssen, schien sich in der Champions League zu wiederholen, als nach der Führung des BVB Mario Balotelli den Ausgleichstreffer erzielte. So sah es jedenfalls die Presse. Wieder mal Balotelli. Wer sonst?
Erst als Dortmund das Rückspiel mit 1:0 gewann, wurde deutlich: Man kann auch gegen eine Mannschaft, in der Balotelli spielt, gewinnen und Manchester City aus der Champions League herauskicken.

Erinnert Sie das an etwas? Vielleicht an finstere Kolonialzeiten?
Der Neger, die Bestie, das Tier. Wild, ungezähmt, kraftstrotzend. Eine Angstfigur der weißen Kolonialherren.
Zu bändigen und zu zähmen waren die Wilden nur dank technischer Überlegenheit, was damals wohl zunächst auf die eindeutig bessere Bewaffnung zückzuführen war.
Jetzt macht der Fußballstar aus Palermo wieder von sich reden. Nicht, weil er Vater wird, und nicht, weil er ein begnadetes Tor gemacht hätte.
Nein: Der Grund ist viel profaner und wird derzeit in den Boulevard-Medien unter Vermischtes, Kurioes oder Buntes aus aller Welt abgehandelt. Bei Bild etwa  hieß es: Der Stürmer von Manchester City hält offenbar nichts von elektronischen Navigationssystemen. Lieber lässt er sich die Strecke von Manchester nach London von einem Taxifahrer zeigen. Der teure Spaß soll ihn jetzt ganze 980 Euro gekostet haben. Pro Strecke! Inklusive Rückweg blätterte Balotelli also rund 2000 Euro hin.
Süffisant titulieren Bild und Co. den Fußballer als „Mad Mario“ oder „Balla-Balla-Mario“.

Kein Vertrauen ins Navi? Taxi folgen. Aus Gründen.

Die Botschaft im Subkontetxt ist klar. (Häme ein:) Spatzenhirnige Fussballer sind unfähig, technische Errungenschaften zu nutzen. Ist er dann noch Italiener, dann… Und wenn er dann noch ein Neger ist…
War ja klar. Kurz: Der Neger ist einfach zu dämlich, mit Technik umzugehen. Haben wir doch immer gewusst. (Häme aus!)
Interessanterweise sind es selbige Medien, die nicht müde werden, Fälle aufzulisten, bei denen Personen den Navigationssystemen vertrauten und irgendwo im Gelände steckenblieben. Hier ein Rentner in den Gassen der Altstadt ohne vor und zurück. Dort eine Frau im Main, die dem Navi folgte, aber plötzlich im Fluss landete, weil der Übergang nicht vorhanden war (zur Erklärung: Die Fähre fehlte betriebsbedingt). Dann wieder LKW-Fahrer osteuropäischer Herkunft, die die Anwohner kleiner Dörfer und sich selbst quälen, weil sie am Autobahnende mehr dem Navi als den großen Schildern trauen.
Was jetzt?
Dem Navi vertrauen oder nicht?
Und wieder ist klar: Rentner, Frauen und osteuropäische Lastwagenfahrer sind eigentlich auch… – lassen wir das.
Vor Jahren boten in vielen Großstädte wie München Lotsendienste an den Autobahnenden an, auswärtige Fahrer in die Stadt zu dirigieren. Nichts anderes hat Balotelli jetzt mit Hilfe eines Taxifahrers in Anspruch genommen. Was wäre gewesen, wenn Oliver Kahn das Gleiche gemacht hätte?
Fast erinnert der Spott der deutschen Boulevard-Presse, der englischen nicht weniger, an den arroganten Hohn der Kolonialisten, die sich über die naiven Neger lustig machten. Als die Schwarzen nämlich um die Jahrhundertwende fotografiert werden sollten, wehrten sie sich mit Händen und Füßen. Sie hatten Angst, ihre Seele würde in den merkwürdigen Geräten der weißen Herren eingesperrt. Ganz unbegründet war diese Sorge ja nicht.
(Ironie ein:) Aber das ist auch lange her, in der Zeit, der guten alten, als man noch Neger sagen durfte. Das darf man heute natürlich nicht mehr, ich weiß…
(Ironie aus!)

Eine Antwort

  1. Nachdem die Taxifahrer ja inzwischen auch fast alle nur noch nach Navi fahren, weil sie sich auch nicht mehr in ihrer Stadt auskennen, stelle ich mir gerade vor, wie ein Taxi ein anderes Taxi voraus fahren lässt, weil er der Technik misstraut. Muss ich dann als Fahrgast beide Taxis bezahlen?

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