Lost in Translation“ titelt verzweifelt Tobias Haberl im Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 3. Juli 2020 verängstigt über die aufbrausende Künstliche Intelligenz in modernen Übersetzungsprogrammen, die ihm die Freude am Erlernen fremder Sprachen und Kulturen rauben. Der alte Lateiner. 

Übersetzung
Flankenwein aus Lothenbulg ob del Taubel

Wie muss Anglisten der Schreck in die Glieder fahren beim Anblick angetrunkener britischer Studentenhorden, die per Google-App mit deutschen „Frauleins“ im Englischen Garten anbandeln. Wie muss es Altphilologen schaudern, wenn ein Trupp reisefreudiger chinesischer Touristen im Franziskaner die Speisekarte mit dem Smartphone scannt.  Und wie graust es ihn erst, wenn der Japaner ローストポークをお願いします in sein Handy tippt und die Bedienung freudig vom Bildschirm liest, dass er gern einen Schweinebraten hätte.

Für Kulturpessimisten bricht da eine Welt zusammen. Ohne Google und Deepl hätte unser Japaner jetzt grunzend auf dem Tisch tanzen müssen, wie wir jahrelang in Frankreich das Auf- und Zuklappen von Austern imitieren mussten um zu unserer Austernplatte zu kommen. Wie zitiert  der ehemalige Latein-, Germanistik und Anglistik-Student Tobias Haberl Roger Willemsen begeistert:

„Eine der letzten romantischen Sachen in dieser Welt ist wohl wirklich die Vielsprachigkeit. Sie ist so liebenswert umständlich, zwingt uns in unpraktische Prozeduren, macht uns auf einen Schlag von weltläufigen, selbstbewussten Individuen zu kindlich agierenden, imbezielen Stammlern, die sich mit primitiven Gesten und blödsinnigen Schauspielerei zu verständigen suchen.“ 

Ja, danke aber auch!

Verstehen braucht keine KI

Das ist die Romantik der Geldwechselstube an den Grenzübergängen. Schön waren die Lira-Scheine doch nur, weil an ihnen untrennbar die Erinnerung an das Eis des Italienurlaubs unserer Kindheit klebte.

Grenze
Übersetzen heißt Grenzen überwinden

Und ebenso richtig ist auch, dass in vielen Situationen des interkulturellen Austausches Sprache gar nicht notwendig ist. Unsere intensivsten und nachhaltigsten Erlebnisse haben selten mit Sprache und häufig mit tiefstem Verstehen zu tun. Als ich im Alter von 17 Jahren meine Liebe zu Frankreich entdeckte, geschah dies nach fünf erbärmlichen Jahren leidvollen Französischunterrichts am Gymnasium, in denen sich und mich mehrere faltenberockte Lehrerinnen qualvoll  und letztlich vergeblich bemühten. Die Augen öffnete mir letztlich Isabelle aus dem Perigord während eines Urlaubs.

Meine besten türkischen Freunde lernte ich während des Studiums in einem Seminarhaus abends auf dem Tanzboden kennen, als wir – eine Gruppe gewerkschaftlich organisierter deutscher Studenten –  übermütig anfingen die Frauen türkischer Betriebsräte aus einem Parallelseminar zum Tanzen aufzufordern. Nach einer ersten Schockstarre kamen wir miteinander ins „Gespräch“. Die türkischen Kollegen sprachen kaum Deutsch, wir kein Türkisch, wir verstanden uns prächtig.

In all diesen Situationen brauchten wir keine Künstliche Intelligenz. Sie hätte uns aber auch nicht geschadet. Liebe und Freundschaft braucht keine KI, sie geht an ihr aber auch nicht zu Grunde.

KI in der Übersetzung revolutioniert die Kommunikation

Moderne KI-basierte Übersetzungsprogramme werden die Welt verändern. Mit dem Microsoft Translator kann man ganz hervorragend Powerpoint-Vorträge vor einem internationalen mehrsprachigem Publikum halten. Der Vortragende hält seinen Vortrag in seiner Sprache und jeder Teilnehmer im Auditorium bekommt auf seinem Smartphone die Folien oder Vortragsnotizen oder gar den kompletten Vortrag in Echtzeit in seine eigene Sprache übersetzt. Zumindest die Übersetzung von Folien und Notizen klappt bereits sehr gut.

Deepl ist aus meiner Sicht heute die perfekteste Standardübersetzung, die man kostenlos oder für wenig Geld erwerben kann. Für den professionellen Einsatz in Unternehmen haben Unternehmen wie itl Tools wie [i]-Match entwickelt. Dabei handelt es sich um komplexe Tools zum Terminologiemanagement, die weit über die reine Übersetzung hinaus gehen.  Hier geht es dann schon um eine teilautomatisierte Dokumentenerstellung.

Aber zurück zur Übersetzung: KI-basierte Übersetzungsprogramme werden es einfacher machen, dass Menschen miteinander sprach- und länderübergreifend miteinander kommunizieren:

Übersetzen heißt Grenzen niederreißen

Wird dadurch die Welt besser? Nein, natürlich nicht. Politische und kulturelle Barrieren bleiben bestehen. Schon heute verstehen „die da oben“ und „die da unten“ sich nicht, selbst wenn sie aus dem gleichen Kulturkreis kommen. Schon heute nimmt die Sprachlosigkeit nicht nur in der us-amerikanischen Gesellschaft zu.

Wenn Deutsch-Türken und Deutsch-Deutsche heute nicht miteinander reden, werden sie es auch künftig nicht tun. Bei der Überwindung sozialer und kultureller Differenzen hilft keine Künstliche Intelligenz.

Was sich aber ändert: mit jeder Übersetzung werden Grenzen überwunden. Und jede Grenzüberschreitung ist eine Erweiterung des Horizonts. KI-basierte Übersetzungsprogramme sind ein Fortschritt, weil sie uns in die Lage versetzen uns besser mit anderen auszutauschen. Sie verschaffen uns einen besseren Zugang zu Informationen. Und damit können sie uns neugierig machen auf fremde Kulturen. Sie können uns neugierig machen Sprachen und Kulturen neu zu erschließen und zu erlernen. Gerade weil wir jede automatisierte Übersetzung immer als begrenztes Verstehen erleben werden, macht sie uns neugierig auf das „Verstehen“ von fremder Kultur. 

Tobias Haberl schreibt:

„Solang ich denken kann, haben mich Sprachen und Fremdheit fasziniert. Den Graben, der damit verbunden ist, habe ich immer als geheimnisvoll empfunden. Ich mag die Vorstellung, dass es beschwerlich ist, sich anderen Menschen, Ländern und Kontinenten zu nähern. es erscheint mit sinnhaft, wenn zwischen kulturellen Erfahrungen und Distanz liegt, die nicht anstrengungslos zu überwinden ist, und sei es, dass man dafür jahrelang Vokabeln lernen muss. Nur durch die Auseinandersetzung mit einer Sprache bekommt man ein Gefühl für das Schicksal und die Mentalität von Menschen“.

Nein. Meine türkischen Freunde und ich, wir hatten an jenem Abend eine viel tiefere Kluft überbrückt, als diejenige der Sprache: die kulturelle Kluft geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen, die sich uns eingebrannt hatten, in unseren unterschiedlichen gesellschaftlichen Traditionen, obwohl wir alle unseren 100 Jahre alten August Bebel zur „Rolle der Frau“ gelesen hatten. Kulturelles „Verstehen“ geht eben weit über Sprache hinaus. Künstliche Intelligenz in Übersetzungsprogrammen hilft uns bei der Übersetzung. Zum Verstehen braucht es mehr. 

2 Antworten

  1. „Unsere intensivsten und nachhaltigsten Erlebnisse haben selten mit Sprache und häufig mit tiefstem Verstehen zu tun.“
    Hm in meinem Modell der Verständlichkeit -> itl-Kompaktseminar unterscheide ich zwar auch Sprache und Bedeutungsverstehen (bei mir „Tiefere Bedeutung“ genannt), aber ich denke, das eine benötigt und beeinflusst das andere. Daher begrüße ich wie Sie Künstliche Intelligenz (KI) und (MT) Maschine Translation und hoffe, dass Empathie und Emotion noch als rein menschliche Angelegenheiten dazugefügt werden und bleiben.

  2. Der Artikel spricht mir aus der Seele. Danke, Michael Kausch, dass Sie ihn hier aufgreifen. Ich arbeite schon so lange im industriellen Sprachen-Business und hatte auch nie viel mit Sprach- und Literaturwissenschaft am Hut, aber ich hatte das Glück, in neun Jahren in Spanien, genau die geschilderten Momente zu erleben, in denen man sich über die Sprache eine Kultur, eine Art, die Welt zu sehen, erschließt.
    Ich war fasziniert von der Übersetzungs-App mit deren Hilfe uns ein Taxifahrer in China in Windeseile erklärte, wie wir ihn wieder finden würden und wo es die besten Dim Sums gäbe. Aber schöner war die Erfahrung, als wir in Vietnam ein Moskitonetz erstehen wollten, und die Dame in dem Laden, ob meiner ausladenden Gesten über meinen Körper hinweg zur Demonstration des gewünschten Gegenstandes, meinte, ich wäre schwanger und ich mein pantomimisches Repertoire nochmal überdenken musste.

    Der Artikel von Tobias Haberl hat auch bei der itl AG, gerade im Fachbereich Übersetzung, zu interessanten Gesprächen angeregt. Ich habe mich beispielsweise mit unserem Vorstand Peter Kreitmeier unterhalten, der ebenfalls die Meinung teilt, dass gerade im persönlichen Erleben von anderen Ländern und Kulturen die Sprache ein wichtiges Puzzleteil ist, das weit über den reinen Informationsaustausch hinausgeht.
    Er hegt sogar die Befürchtung, dass durch maschinelle Übersetzungslösungen ganz grundsätzlich das Erlernen von Sprachen einen Rückschlag erleiden kann und damit einer der ältesten Disziplinen des menschlichen Lernens ein jähes Ende bereitet würde.
    Natürlich sagen wir heute noch, dass auch in Zeiten von maschineller Übersetzung Menschen gebraucht werden, die einer Fremdsprache mächtig sind, weil auch die beste Maschine eine humane Nachbearbeitung benötigen wird – zumindest für Textsorten, bei denen es darauf ankommt, dass jedes übersetzte Wort auch tatschlich stimmt!
    Die aktuelle Entwicklung von Machine Learning zielt jedoch darauf ab, dass irgendwann die Maschine mit ihren Algorithmen sich selbst trainiert und die Qualität sichert. Es bleibt also abzuwarten, wie das Profil des Sprachexperten in der Zukunft ausschauen wird.

    Und da sind wir schon bei beim professionellen, „industriellen“ Einsatz, wo sich die Ausgangslage ganz anders darstellt.
    Hier bietet die neue Technologie Vorteile, die auf Kunden- und Dienstleisterseite goutiert werden können. Auf einmal kann man einfach, schnell und kostengünstiger übersetzen! Und die emotionale Komponente ist – zumindest was die Übersetzung von technischer Dokumentation betrifft – im Gegensatz zur privaten Anwendung nicht relevant.
    Zudem ist die maschinelle Übersetzung längst in der Branche angekommen, in der Wörter in Centbeträgen bepreist werden, welche im vergangenen Jahrzehnt durch die Globalisierung, aber nicht zuletzt auch durch die wachsende Technologisierung, um 30 bis 40% gesunken sind. Alleine mit der Leistung eines menschlichen Übersetzers und im Idealfall eines menschlichen Revisors können einige der aktuell kursierenden Dumpingpreise nicht kostendeckend sein.
    Aus diesem Grund sehen wir bei itl die Entwicklung der maschinellen Übersetzung in unserer Branche mehr als eine Chance denn als eine Gefahr.
    Sie eröffnet uns und unseren Kunden neue Möglichkeiten: so können kleine Märkte mit Dokumentation in ihrer Sprache versorgt werden, was bislang ggf. das Übersetzungsbudget gesprengt hätte, Prozessautomatisierungen, die Systeme von Kunden und Dienstleistern in sog. Ökosystemen verbinden, können mit maschineller Übersetzung auch quasi in Echtzeit internationalisiert werden. Hier besteht ein enormes – derzeit nicht ausgeschöpftes – Potenzial, das Kunden und Dienstleistern neue Geschäftsperspektiven eröffnet.

    itl setzt in seiner gesamten Unternehmensausrichtung verstärkt auf neue Technologien. Maschinelle Übersetzung ist nur ein Baustein in dem Gefüge Online First, Community Driven und „Echtzeit, alles andere kommt zu spät“.

    …aber ab und zu freuen wir uns heimlich, wenn Sprache durch ihre nur scheinbare Regelmäßigkeit der Maschine mal wieder ein Schnippchen schlägt.

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