Erich Fried Angst und Trost

Erich Fried: Angst und Trost. Erzählungen und Gedichte über Juden und Nazis. Grafiken von David Fried

Vor ein paar Wochen konnte ich im Rahmen des DOK fest München die Aufführung des wunderbaren Dokumentarfilms „Friendly Fire“ über das Leben von Erich Fried sehen. Der Film war der Eröffnungsfilm des Münchner Dokumentarfilmfestivals und er war und ist absolut sehenswert. Gedreht hat den Film sein Sohn Klaus Fried. Als ich aus dem Kino nachhause kam, suchte ich erstmal in meinem Bücherregal meine alten Erich-Fried-Bände heraus und las ein wenig und erinnerte mich daran, wie wichtig Erich Frieds Gedichte in den siebziger und frühen achtziger Jahren für mich waren.

Erich Fried: Angst und Trost. Erzählungen und Gedichte über Juden und Nazis.

Gestern ist mir dann ein weiteres Buch von Erich Fried zufällig in die Hände gerutscht: „Angst und Trost. Erzählungen und Gedichte über Juden und Nazis.“ Dieses schmale Bändchen mit Grafiken von David Fried, einem anderen Sohn von Erich Fried, hatte sich offenbar heimlich auf Wanderschaft begeben und die ihm angedachte Region der Werke unter dem Registerbuchstaben „F“ wie Fried in meinem Regal eines Nachts heimlich verlassen. Das machen leider in meinem literarischen Chaos viele Bücher, dass sie auf Wanderschaft gehen, irgendwohin verschwinden, sich mit anderen Werken zusammentun, nur um dann irgendwann – wenn sie Lust haben, aber auch nur dann – überraschend aus irgendeiner verstaubten Ecke sich nach vorne zu schieben und mir vor die Füße zu fallen. Da war er also, der kleine Band „Angst und Trost“ von Erich Fried. Sogar eine vom Autor signierte Erstausgabe.

Voller Wiedersehensfreude habe ich es mir gestern Abend auch gleich vorgenommen und in einem Rutsch durchgesehen. Und, was soll ich sagen, Erich hat mir einen wunderbaren Abend spendiert. Er erzählt von seiner Jugend in Wien, von den Jahren, in denen die Nazis seine, also Frieds Heimat, „heim ins Reich“ holten. Und er schildert wie anders der Faschismus über Österreich kam, als über Deutschland. Erinnern wir uns: in den Jahren vor 1938 regierte die Vaterländische Front (VF), eine präfaschistische autoritäre Bewegung unter den Kanzlern Engelbert Dollfuß und später Kurt Schussnigg. Nazi-Organisationen waren ebenso verboten, wie sozialdemokratische und kommunistische Organisationen. Erich Fried schildert, wie an seiner Schule die meisten Schülerinnen und Schüler entweder faschistisch oder links organisiert waren. Sie waren Mitglied der verbotenen Hitlerjugend oder einer verbotenen linken Organisation. Und sie schlugen und respektierten sich. Nie aber verrieten sie sich gegenseitig an die politischen Machthaber der VF.

Die Anhänger der Nazi-Organisationen verfolgten einen „weichen“ Nationalsozialismus, vergleichbar zu den italienischen Faschisten. So berichtet Fried von einem Schulfreund, der zwar in der HJ war, aber hoffnungslos in ein jüdisches Mädchen verliebt war und dieses Mädchen auch heiraten wollte. Sein Wahlspruch „Jüdinnen sind keine Juden“. Natürlich war er Antisemit – aber auch nicht so richtig, jedenfalls nicht so richtig im Vergleich zu den Massenmördern der NSDAP. Nach der Machtergreifung der NSDAP in Österreich und Hitlers Rede auf dem Heldenplatz eröffneten die Eltern des verliebten HJ-lers ihrem Sohn, dass sie zwar auch glühende Nationalsozialisten und katholisch getauft seien, aber leider jüdischer Rasse. Erich Frieds Nazi-Mitschüler jubelte und trauerte, nun könne er endlich seine Freundin heiraten, aber leider müsse er die HJ verlassen und wohl auch emigrieren.

Der Führer der HJ an der Schule wiederum bat den Juden Erich Fried um Rat, was man denn nun tun solle mit dem alten Kameraden, der jahrelang treu der Nazi-Kameradschaft gedient habe, nun aber rassischer Feind sei. Erich Fried empfahl den Nazis innerhalb der HJ eine Spendensammlung durchzuführen, damit der arme frisch verjudete Jungnazi mit seiner Liebsten ins Ausland fliehen könne. Und so geschah es dann auch.

Eine schräge Erzählung über Juden und Nazis. Wenn man dieses Buch liest und wenn man die darin geschilderten Jugenderinnerungen erfährt, dann beginnt man auch zu verstehen, warum Erich Fried so seltsam verständnisvoll, ja fürsorglich mit deutschen Neonazis verfahren konnte. Bekannt und für viele – auch für mich – irritierend war immer das Verhältnis zwischen dem linken Juden Erich Fried und dem deutschen Neonazi Michael Kühnen. Fried kämpfte viele Jahre in einer Art „Brieffreundschaft“ um das Gewissen des rechten Nazi-Führers Kühnen. Für Erich Fried war niemand verloren in der rechten Szene. Er war ein lebendes Aussteigerprogramm. Für viele ging seine Nachsicht, sein Verstehen zu weit. Aber vielleicht kann nur ein Verfolgter, ein Vertriebener so viel Nachsicht und Vergebung anbieten und damit wirklich Menschen zur Umkehr bewegen. Und vielleicht können wir gerade heute, in einer Zeit, in der wir allzu leicht uns alle bequem in unsere Blasen zurückziehen, von Erich Fried lernen. Es geht ja nicht um Toleranz, sondern um Auseinandersetzung statt Abgrenzung.

Übrigens: auch Erich Fried verdient Auseinandersetzung, etwa wenn es um seine apodiktisch negative Position zu Israel geht. Aber das ist eine andere Geschichte. Ein wertvolles Buch. Schön, dass es mich wieder gefunden hat.

Illustrationen © Michael Kausch

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