Für Tommy zum dritten Geburtstag in Theresienstadt

Bedřich Fritta: „Für Tommy zum dritten Geburtstag in Theresienstadt 22.1.1944“

Am kommenden Montag jährt sich zum achtzigsten Mal die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. 1,3 Millionen Menschen wurden in Auschwitz, Birkenau, Monowitz und den Nebenlagern ermordet. Darunter waren auch viele Kinder und Jugendlicher. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt. Die Nazis machten keinen Unterschied. Man geht heute davon aus, dass mindestens 232.000 Kinder und Jugendliche im Alter von ein bis 17 Jahren nach Auschwitz verschleppt wurden. Überlebt haben das Grauen keine 700.

Auschwitz

Über Auschwitz wurde viel geschrieben. Ich selbst habe die Gedenkstätte vor einigen Jahren besucht und kann nur jedem raten, den Weg dorthin zu gehen, auch und gerade mit Kindern und Jugendlichen. Ich komme aus dem Landkreis Dachau und ich war selbstverständlich mit meinen Kindern in der Gedenkstätte des Lagers Dachau. Meine Kinder sind ja jeden Tag auf ihrem Weg zur Schule an den Wachtürmen des Lagers vorbei gefahren. Wir haben auch nicht ihren zwölften Geburtstag abgewartet, wie das immer empfohlen wird für einen Besuch. Kinder benötigen natürlich eine aufmerksame Begleitung bei einer Konfrontation mit dem Wahnsinn von Faschismus und Shoah. Aber Kinder sind neugierig und sie wollen wissen, was damals los war. Und wenn man ihnen erklärt was das alles zu bedeuten hat, lernen sie daraus und sie lerne mit dem Grauen zu leben und den Schrecken zu verarbeiten. Man schläft besser, wenn man die Dinge verstanden hat, als wenn man unverstandene Bilder im Kopf hat. Man muss den Teufel in der Hand haben, damit er einen nicht auffressen kann. So jedenfalls habe ich das erlebt.

Ein Bilderbuch aus dem Ghetto

Ein guter Weg einer ersten Konfrontation mit dem Schrecken und mit der Geschichte der Shoah ist auch das Buch, das ich heute vorstellen will. Es ist ein Kinderbuch. Es handelt nicht von Auschwitz. Es ist ein Bilderbuch, das ein Vater für seinen Sohn im Ghetto von Theresienstadt geschrieben und gezeichnet hat: „Für Tommy zum dritten Geburtstag in Theresienstadt 22.1.1944“, von Bedřich Fritta für seinen Sohn Tomáš zu dessen dritten Geburtstag.

 

In bunten Bildern schildert der Vater den Alltag des Kindes im Ghetto ebenso wie seine Träume: vom satt werden, vom Reisen, vom erwachsen werden in einer freien Welt. Die Träume des kleinen Tomáš unterscheiden sich nicht von denjenigen der nichtjüdischen Kinder auf der anderen Seite der Ghetto-Mauern. Tomáš will Ingenieur werden, oder Boxer, oder vielleicht auch Detektiv oder Künstler. Der Vater warnt den Kleinen nur davor Geschäftsmann zu werden oder General. Die Nazi-Erfahrung prägt …

Ein Buch als Zeitzeuge

Bedřich Fritta war ein in Paris ausgebildeter Grafiker, der in den 30iger Jahren in Prag für das „Prager Tagblatt“ und für die Exilausgabe des „Simplicissimus“ arbeitete. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht wurde er 1941 mit seiner Familie wie viele andere Juden ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort wurde er zur Zwangsarbeit in einer Grafikabteilung verpflichtet, in der er Propagandamaterial für die Nazis entwerfen musste. 1944 schließlich deportierten die Faschisten ihn nach Auschwitz, wo sie ihn ermordeten. Zuvor gelang es ihm noch das kleine Buch, das er für seinen Sohn zum dritten Geburtstag so liebevoll geschrieben und gezeichnet hatte, zu vergraben. Es wurde später geborgen und im Jahr 2015 endlich veröffentlicht. Heute ist es ein wundervolles Zeitdokument.

Der kleine Tommy hat den Holocaust im Gegensatz zu seinen Eltern überlebt.

Das Buch ist als gebundene Ausgabe heute leider nur noch antiquarisch zu erhalten. Mit etwas Glück bekommt man ein Exemplar für 60 bis 70 Euro. Einige Händler verlangen auch schon mal 150 Euro und mehr. Die Suche lohnt sich. Ich besitze seit vielen Jahren ein Exemplar und halte es in Ehren. „Für Tommy zum dritten Geburtstag in Theresienstadt 22.1.1944“.

Nachtrag: Bayern können einen Nachdruck aus dem Jahr 2015 auch für nur 4 Euro bei der Landeszentrale für Poitische Bildung bestellen. Manchmal lohnt es sich eine Lederhose zu besitzen. Oder jemanden zu kennen, der eine besitzt: Link nach Bayern.

Bedřich Fritta hat seinem Sohn versprochen ihm noch viele Geburtstagsbücher zu malen. Es wurde nichts mehr daraus. Er hat es nicht mehr geschafft. Er hat die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 nicht mehr erlebt.

Illustrationen © Bedřich Fritta und Michael Kausch

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Eine Antwort

  1. Danke Mick.
    Ich nehme das als Anstoss, kommenden Montag zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz in meinem Blog „Maus“ zu empfehlen und fange gleich mit dem Beitrag an.
    „These stories still need to be told“ ist ein wesentlicher Bestandteil der Aktion #geradejetzt, einer Social Media-Aktion der KZ-Gedenkstätten. Helfen wir für mehr Reichweite und weisen auf diese Geschichten unermüdlich hin. Denn diese Geschichten müssen ihre Wege zu den Leser*innen immer wieder neu finden.

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