Kirchengänger, katholische und gläubige allzumal, kennen den Brauch, aber auch Nicht-Christen, die sich für die Architektur interessieren, haben sicher schon des Öfteren den Opferstock und die Kerzen in den Gotteshäusern gesehen. Hier brennen Kerzen für die Verstorbenen, denen man sich einen Moment lang nahe fühlen möchte.
Für die einen ist es Ausdruck gelebten Glaubens, für die anderen Geldschneiderei: Für einen Euro, den man in den Opferstock wirft, darf man eine Kerze anzünden und in einen Ständer stellen. Ein Licht für einen lieben Menschen, den man verloren hat – oder eben Kerzenwucher:
Das Licht (der Kerze) ist ein bedeutungsschweres Symbol im Christentum. Den Toten ein Licht anzünden, das wollen die einen. Die anderen wollen sich selbst vergewissern, dass irgendwo auf dieser Welt ein Licht für sie leuchtet, eines, dass sie in der Kathedrale von Messina oder Warschau oder an einem anderen Ort selbst angezündet haben. Vielleicht, so hoffen sie, wird ihnen dieses Licht einmal dann helfen, wenn sie es dringend brauchen. Eine schöne Vorstellung.
Wieder andere sagen: Einen Euro für ein Teelicht ist ein gesalzener Preis, aber gut, schließlich unterstüzt man mit seiner Gabe den aufwendigen und kostspieligen Erhalt historischer Bauten. Doch kein Brauch, der nicht durch den Einzug der Technik in seinen Grundfesten erschüttert wird…

Findigerweise haben die Italiener und nicht nur die, seit vielen Jahren echte Kerzen zugunsten der elektrischen aus vielen Kirchen verbannt. Spenden, Knöpchen drücken, Kerzlein brennt. Fertig. Alles elektrich, alles gut. Das spart nicht nur Kerzen, reudziert die Verrußung im Gotteshaus, nein: Das verhindert auch die Mitnahme des Lichtes hinaus in die Finsternis. Souvenirjäger, die Kerzen einfach mitnehmen, werden so von ihrem Vorhaben abgehalten.

Der Gläubige kann den Verstobenen ja ein elektrisches Lichtlein anzünden. Von Stromausfällen einmal abgesehen, ist es sicher eine gute Sache, wenn man dereinst in der Ewigkeit im Dunkel sitzt, und weiß: Ein Nachfahr drückt fleißig das Knöpfchen und ein Niedervolt-Lämpchen flackert auch für mich…

 Damit aber nicht genug. Vollends raus aus dem finanziell erwerbbarem Ewigkeitslicht kommt der gläubige Christ mit der kostenlosen Candle-App.
Den Hinterbliebenen ein Lichtlein anzünden und trauern? Kein Problem: App herunterladen, auf dem iPad, iPhone oder sonst einem digitalem Gerät aktivieren und schon brennt dem Verstorbenen ein Kerzlein… bis der Akku leer ist.

Wem das zu unsicher ist, der kann sich bei  www.kerze-anzuenden.de behelfen und hier als Hinterbliebener eine vitrutelle Kerze gegen das unendliche Dunkel anzünden.

Aber damit wir uns richtig versehen: Menschen, die auf dieser und ähnlichen Plattformen  virtuelle Lichter anzünden, trauern zutiefst. Die kleinen Einträge unter den „brennenden Kerzen“ belegen das und nichts liegt mir ferner, als über den Kummer dieser Menschen und ihren rührenden Formen, mit Trauer umzugehen, schalen und schäbigen Zynismus zu gießen.

Warum auch sollte diese Art, die Trauer auszudrücken, nicht genauso ehrlich sein, wie jede andere? Die digitale Welt schafft Nischen für die Sprachlosigkeit, und sie schafft Denkmäler und Erinnerungsplätze. Digitale Trauerhäuser und Kondolenzbücher gibt es viele, darin zu lesen, kann wirklich sehr bewegend sein.
Auch YouTube gehört mittlerweile zu den festen Bestandtteilen der Trauerkultur. Freunde und Angehörige Verstorberner widmen den Toten kleine Filme, zumeist eine Bildershow mit sentimentaler Musik. Man muss diese Filme nicht mögen, sie auch nicht als besonders künsterlisch ansehen, aber darum geht es auch nicht. Die Kommentare zu diesen Filmen sind der eigentliche Raum der Trauerarbeit. Besonder deutlich zeigen dies die Musikvideos für die 2007 entführte, vergewaltigte und ermordete 14 jährige Hannah aus Königswinter. Immer wieder tauchen neue Videos zu ihrem Geburtstag oder zum Jahrestag der Ermordung auf. Bis heute werden die Videos kommentiert und es wird über den Mord hochemotional diskutiert. Wie Menschen ihre Gefühle ausdrücken, was sie vielleicht nie würden sagen können und höchstens ihrem Tagebuch anvertrauen, all das steht für jedermann lesbar im Netz. Wut, Fassungslosigkeit und Trauer findet seine Bahn und wird sehr öffentlich. Wildfremde Menschen fühlen sich angesprochen und beteiligen sich, kondolieren und kommentieren.  Das ist nicht albern, nicht peinlich und mit Sicherheit keine Social-Media-Gefahr für Teenager. Das ist ehrlich, offen, emotional und äußerst bewegend – und zeitgemäß. Social Media umfasst eben alle Aspekte des menschlichen Lebens und klammert auch den Tod nicht aus. Diese digitale Trauerbewältigung ist – finde ich – eine der viel zu selten erwähnten positiven Aspekte  des Web 2.0. Das ist ein adäquates Ausdrucksmittel einer Generation, die mit YouTube und Co groß geworden ist.
Aber eine Candle-App? Vielleicht sogar eine, die sich immer wieder automatische aktiviert? Dann doch lieber in einer Kirche eine Kerze anzünden. Da bin ich auf einmal fürchterlich altmodisch…

Foto & Grafik von Lutz Prauser

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