Am vergangenen Wochenende war ich bei ATR in Eltville am schönen Rhein. Das Team von Audiotrade hat zum „Open House“ eingeladen und es war wirklich eine tolle Veranstaltung mit zahlreichen Vertretern hochkarätiger Hifi-Hersteller. Einmal mehr beeindruckten die großen La Sphére von Cabasse meine Ohren und die schrägen Laufwerke von Pro-Ject. 

Die Cabasse in der Vorführung
Die Cabasse in der Vorführung

Ganz besonders aber fesselte mich ein Arm. Der Tonarm sah nach klassischem Maschinebauhandwerk aus: nicht eben grazil, aber schwer durchdacht und blitzsauber verarbeitet. Eine Mischung aus deutschem Maschinenbau und deutschem Industriedesign. Und wie der Zufall so spielt wurde mir das Meisterstück auch vom Meister persönlich vorgeführt, vom Entwickler Helmut Thiele, seines Zeichens Industriedesigner und gelernter Maschinenbauer und Hifi-Enthusiast und Duisburger – alles in einer Person. Und hömma, wenn der dir sacht, wo der Frosch die Locken hat, denn weisse aber Bescheid, ne.

Tonarm Thiele TA 01

Also tu ich jetzt Bescheid wissen über den Thiele TA01, denn der ist kein Drehtonarm und kein Tangentialtonarm und aber vielleicht auch beides zusammen.

Der Thiele TA01 ist ein Drehtangentialtonarm – oder so…

Der Thiele TA01 verbindet die Vorteile eines Drehtonarms mit einem Tangentialtonarm.

Mal für die Nicht-Vinylisten: Ein Drehtonarm ist ein Tonarm, wie ihn jeder kennt: der führt die Abtastnadel in einem Kreissegment über die Schallplatte. Und wer jetzt nicht weiß, was eine Schallplatte ist soll weiter MP3 hören und seine Ohren schinden. Man kann sich vorstellen, dass die Nadel bei der Bewegung auf dem Kreissegment genau an einem Punkt optimal in der Rille sitzt, aber an allen anderen Punkten ein wenig schräg zur Rille in der Scheibe kratzt. Dabei gilt: je kürzer der Arm ist, desto stärker ist dieser sogenannte „Spurfehlwinkel“. Der Spurfehlwinkel führt zu einer unsauberen Abtastung und zu einer erhöhten Abutzung von Abtastnadel und Schallplatte.  

Um das nun zu vermeiden bauen einige Tonarmhersteller besonders lange Arme. Das minimiert den Spurfehlwinkel. Ich zum Beispiel habe auf meinem Plattenspieler derzeit einen 9″-Arm und einen  12″-Arm von Mørch im Einsatz. Der lange Arm hat Vorteile, aber auch einige Nachteile: die höhere Masse funktioniert besonders gut mit einigen Tonabnehmern, mit anderen wieder nicht so optimal. Tendenziell sind kürzere Arme spritziger und „schneller“, längere Arme bassstärker. Das gilt aber nur in der Tendenz. Da spielen viele Faktoren eine Rolle.

Andere Hersteller setzen gerne auch auf Tangentialtonarme. Die kennen keinen Spurfehlwinkel weil sie den Tonarm auf einer Schiene oder Brücke parallel zur Rille über die Schallplatte führen. So werden die Plattenrohlinge auch in der Produktion geschnitten. Ich selbst habe lange Zeit sehr zurieden mit einem Tangentialarm von Clearaudio gehört. An einem solchen Tangentialarm hängt letztlich fast immer nur ein kleiner Armstummel herum: sehr schnell, aber auch sehr zappelig. Tangentialarme sind häufig recht empfindlich gegen Staub und kleine Kratzer oder Welligkeiten auf der Platte.

Der Thiele TA01 ist nun ein normaler Drehtonarm mit ungefähr 9 Zoll Länge. Trotzdem beträgt der maximale Spurfehlwinkel nur winzige 0,036 Grad. Dies liegt an seiner irrwitzig aufwändigen Führung über zwei Drehpunkte. Das funktioniert ähnlich wie bei einem Parallelogramm. die Kinematik funktioniert allerdings völlig anders, als bei der Konstrukion des schweizerischen Herstellers Thales, dessen Drehtonarme ebenfalls den Spurfehlwinkel weitgehend eliminieren. Bei Thales sitzen die beiden festen Drehpunkten seitlich, bei Thiele am Endes des Armes, Thales arbeitet mit zwei sehr dünnen parallel geführten Tonarmrohren, der Thiele mit einem starken Rohr, dessen Durchmesser groß genug gewählt ist, um mit einem 2-Komponenten-Gel innen bedämpft zu werden.

Kinetik des Thiele
Die Kinetik des Thiele (Bild: Thiele)

In der Ruhe liegt die Kraft des Arms

Letzteres ist, folgt man Helmut Thiele, für die Klangeigenschaften seines Arms entscheidend: „Ein unbedämpfter Tonarm klingelt ja nicht einfach in Abhängigkeit vom Material, sondern er vibriert heftig. Das verwundert auch nicht, wenn man weiß, welche Kräfte über die kleine Tonabnehmernadel übertragen werden. Deshalb halte ich eine Bedämpfung des Arms für unbedingt notwendig.“ Selbst Gegengewicht und Headshell sind übrigens bei Thiele bedämpft – mit Ebenholz, was auch noch hübsch aussieht.

Helmut Thiele hat seinen Tonarm doppelwandig ausgeführt und aufwändig bedämpft. „Das Ergebnis dieser Konzeption ist eine einzigartige räumiche Auflösung, extremer Detailreichtumg und perfekte Tonalität“.

Die Massivität des Arms machen ihn jedenfalls auch extrem servicefreundlich und angenehm in der Bedienung. Der VTA ist stufenlos auch im Betrieb verstellbar. Im Vergleich zu meinen Mørch-Armen wirkt der Thiele jedenfalls vielleicht weniger elegant, aber dafür wie für die Ewigkeit gebaut.

Die technischen Daten

Weitere Informationen bei ATR und direkt bei Helmut Thiele.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.