Ja, ich habe Angst vor Corona. Aber weniger vor dem Virus, vor der Ansteckung, vor der Krankheit, vor dem Tod. Die Corona-Epidemie ist eine Herausforderung für die Demokratie und ich sorge mich um die Konsequenzen für unsere Zukunft. Und das in mehrfacher Hinsicht.

Verrohung der Gesellschaft? 

Gar nicht so dramatisch sehe ich die Gefahr einer weiteren Verrohung der Sitten. Der Kampf um die letzte Rolle Klopapier, die Verhärtung der sozialen Kämpfe in den Kaufhallen, das alles mag ausgeglichen werden durch mehr Fürsorge und mehr Solidarität unter vielen anderen. Und es sind überraschend wenige, die – bislang – die Schuld für die Seuche beim „ewigen Juden“ suchen. Vielleicht hat die demokratische Impfung nach 1945 zumindest in Deutschland hier doch langfristiger gewirkt, als von vielen befürchtet, trotz Neonazis, AfD und Aluhutträgern. Ich bin guter Dinge, dass unsere Gesellschaft stabiler und individuell emotional krisenstabiler ist, als wir alle denken und dass der ewig teuflische Antisemitismus von diesem Virus nicht auch noch zusätzlich befeuert wird.

Die soziale Spaltung wird zunehmen

In einem anderen Punkt bin ich skeptischer. Die Individualisierung durch Heimarbeit und den Abbau von Sozialkontakten führt zu einer sozialen Differenzierung, unter der vor allen Dingen die sozial Schwachen leiden werden. Kinder aus sozial benachteiligten Familien werden zuhause weniger gefördert, als Kinder aus Mittel- und Oberschichtfamilien. Ich habe viele Kontakte zu LehrerInnen und ErzieherInnen, die schon nach wenigen Tagen von Problemen mit Kindern und Jugendlichen aus sogenannten „Problemgruppen“ berichten, von verhaltensauffälligen oder lernschwachen Jugendlichen. Diese brauchen unbedingt persönliche und direkte Betreuung. Die kann man nicht mit Fernstudien erreichen. Hier wird in wenigen Wochen „Zwangsaufenthalt“ in der eigenen Familie mehr zerstört, als man in vielen mühsamen Monaten Sozialarbeit wieder aufbauen kann. 

Und noch etwas:

corona

Die Erfahrungen in China haben gezeigt, in welch erschreckendem Ausmaß Gewalt in Familien während häuslicher Isolation zugenommen hat. Und diese Gewalt ist nahezu ausschließlich Gewalt gegen Frauen. Auch hier entstehen soziale Langzeitschäden, die unsere Gesellschaft grundlegend erschüttern werden. Das muss uns besorgt machen – um es vorsichtig zu formulieren. 

Die Absahner sahnen wieder ab

Mit vielen Milliarden Euro wollen unsere Regierungen auf Landes- Bundes- und europäischer Ebene die dramatischen Folgen der Epidemie für die Wirtschafts einigermaßen abfedern. Das ist natürlich grundsätzlich richtig und notwendig. Corona wird viele Unternehmen in den Abgrund reißen. Die ersten sehe ich schon fallen: vom selbstständigen Trainer über den Gastwirt und Buchhändler bis zum mittelständischen Maschinenbauer. In den stationären B2C-Märkten brechen die Absätze kurzfristig außerhalb der Lebensmittelbranche zum Teil völlig weg. In China sind die Anlage-Investitionen mittelfristig um mehr als 40 Prozent zurückgegangen. Wenn da noch eine Bankenkrise hinzu kommt halten sogar eigenkapitalstarke Unternehmen nicht lange durch.

Aber ich habe Sorge, dass es wie immer zum guten Teil auf eine Sozialisierung individueller Fehlleistungen hinauslaufen wird. Die Absahner werden als erstes vor der Pforte an der Essensausgabe stehen. Wir werden in den nächsten Wochen viele Unternehmen sehen, die schon 2019 erhebliche Verluste eingefahren haben, und die sich 2020 unter dem Corona-Mäntelchen mit öffentlichen Geldern gesund stoßen wollen.  Da wird es Automobil-Konzerne geben, die ihre strukturellen Schwächen, die sich einer jahrelangen verfehlten überholten Modellpolitik verdanken, plötzlich abbauen können, weil sie „Corona-Opfer“ sind.

Unternehmen werden Belegschaften abbauen, Kurzarbeit verordnen, bei niedrigem Eigenkapital sich vom Staat finanzieren lassen, Zuschüsse kassieren und ein neues Leben beginnen und sich selbst, nicht aber ihre Unternehmen sanieren. Der Staat wird schnell und effizient Geld ausgeben, aber zu schwach sein, um zu kontrollieren, was mit dem Geld geschieht. Alles schon mal da gewesen. Treuhand 2.0. 

Die starken Männer werden wieder stark

Ich halte die weitgehende Ausgangssperre in Bayern für richtig. Aber Heribert Prantl, einer der profiliertesten und intelligentesten deutschen Journalisten unserer Zeit, hat heute in der Süddeutschen Zeitung zurecht darauf hingewiesen, dass auch die Not ein Gebot kennt: „das Prinzip der Verhältnismäßigkeit“. Er sagt nicht, ob er für oder gegen die Ausgangssperre ist. Aber bezieht klar Position, dass Politiker, die über eine Ausgangssperre zu befinden haben in einer großen Verantwortung stehen. 

Und tatsächlich ist mir sehr unwohl dabei, dass Politiker heute so große Zustimmung aus der Bevölkerung erhalten, weil sie für harte Maßnahmen eintreten. Es sind doch die gleichen Politiker, die vor wenigen Monaten noch genau das Gesundheitssystem in Frankreich, England, Spanien, Österreich und Deutschland kaputtgespart haben, das jetzt auf die Seuche nicht vorbereitet ist. Es sind doch die gleichen Politiker, die die Gefahr, die von Corona ausging, über lange Wochen nicht ernst genug genommen haben. Es sind doch die gleichen Politiker, die Verantwortung für die aktuelle Situation übernehmen müssten – dies aber zu keinem Zeitpunkt getan haben.

Wenn der bayerische Ministerpräsident heute 24 Stunden schneller ist als seine Kollegen in anderen Bundesländern gilt er als erfolgreicher Law-and-Order-Mann und Durchgreifer. In der Sache hat er Recht. Glaubwürdiger wird er dadurch nicht. Und wenn künftig immer der als erfolgreicher gilt, der vermeintlich härter handelt, dann wird es für die Demokratie gefährlich. Nochmal zur Klarstellung: nicht Söder ist für die Demokratie gefährlich: der Grund für seinen Image-Gewinn ist es: seine Pseudeo-Härte!

Das macht mir Sorge in Zeiten der großen Seuche:

Wir leben in der besten Gesellschaftsordnung die es gibt. Wir haben keine andere. Und es gibt keine bessere. Es gibt nur eine zu verbessernde. Sie ist es wert, dass wir auf sie acht geben und dass wir sie vor Corona schützen.


Illustrationen  © Mulderphoto @ stock.adobe.com und  etraveler @ stock.adobe.com

6 Antworten

  1. Lieber Michael, ja, ich teile Deine Einschätzung voll und ganz. Dieser „Übertrumpf-Wettlauf“ mancher Politiker kotzt mich an. Es ist gut, dass Prantl und Du daran erinnert, was aus solchen Situationen erfahrungsgemäß wird. Aber was sollen wir machen? Ich glaube, wir sollen Solidarität mit einigen der Schachen zeigen. Ich werde jetzt beginnen, die freiberuflichen Musiker zu unterstützen, die jetzt nichts mehr verdienen können und die trotz der Bedeutung, die die Kultur für unsere Gesellschaft hat, nicht wirklich gefördert werden, zumindest noch nicht. Wenn jeder von uns sich in solchen Bereichen engagiert, entsteht ein Netz von Solidarität, und das bewirkt etwas in dieser wüsten Zeit. Packen wir es an. Danke für Deinen Beitrag.

  2. Uneingeschränkte Zustimmung. Ich teile diese Sicht der Dinge in jedem Punkt.
    Diese Gesellschaft wird wohl trotz des zarten Zusammenrückens in einigen Teilen noch weiter und stärker auseinanderreißen.

  3. Sehe ich Genau so. Inmitten der Aengste vor der Krankheit und der Faszination durch Kollektive Solidaritaet droht Wachsamkeit zu gunsten unserer Demokratie verloren zu gehen. Sebastian Kurz der vor kurzem noch dabei war das Sozialsystem zu zerschlagen geriert sich nun als guter Hirte der seine Schaeflein rettet. Und die meisten folgen blind. Wir muessen jetzt lauter werden mit unseren Gegenstimmen.

  4. Es ist in der Tat beängstigend, wenn die BILD titelt „So einen brauchen wir auch“ und den österreichischen Kanzler als „Knallhart-Kurz“ und Vorbild für Deutschland positioniert. Ich will nicht schon wieder einen Schreihals aus unserem Nachbarland importieren. https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/coronavirus-oesterreichs-klartext-kanzler-kurz-so-einen-brauchen-wir-auch-69382808.bild.html. Und es ist gefährlich, wenn der politische Diskurs durch vorgebliches Expertenwissen ersetzt wird. Haben denn unsere Medien vergessen, wie ignorant die „Experten“ des RKI lange Zeit auf die ersten Meldungen zur Corona-Epidemie aus China reagiert haben?

  5. Man wird sehen, wie viele Einschränkungen unserer Freiheit, den Einschlag des Virus‘ in die Zwillingstürme unserer Gesellschaft, überdauern werden.

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