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Twitter-Follower stehen online zum Verkauf

Anbieter verhökert 1.000 User um 50 Euro

Ja was ist das denn? Wie herzlos, da verkauft jemand seine Anhänger? 1000 Bewunderer sind ihm gerade mal 50 Euro feil? Das klingt ja völlig absurd. Da hat einer mal 1000 Jünger, das reicht für eine mittelgrosse Sekte. So etwas sollte doch mehr wert sein als 50 lumpige Silberlinge. Viel mehr wert. Was steckt da wohl dahinter? Das Missverständnis klärt sich schnell auf, denn so geht es weiter:

San Francisco (pte/03.07.2009/11:32) – Die australische Social-Media-Marketinggesellschaft uSocial will auch unpopulären Twitter-Accounts eine breite Gefolgschaft verschaffen. So bietet das Unternehmen Follower zum Kauf an. In Einheiten ab 1.000 User für knapp 50 Euro werden potenzielle Leser der „Tweets“ genannten Kurznachrichten wie Ware feil geboten. Besonders Unternehmen und Organisationen, die mit ihrer Zahl an Followern bis dato unzufrieden sind, können bis zu 100.000 Nutzer erwerben, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen.

Das ist ja beinahe noch schlimmer! Das gab es natürlich alles schon, mindestens 250 Jahre. Damals wurden für die Pariser Oper Menschen engagiert, die an den entscheidenden Stellen applaudieren sollten. Das funktioniert natürlich. Wenn ein paar Leute klatschen, klatschen einige sofort mit. Begeisterung steckt an. Nicht auszuschließen, dass bereits die alten Römer mit solchen Tricks gearbeitet haben, aber von den Franzosen stammt unsere Bezeichnung „Claqueure“, die wir noch heute verwenden. Sind es mehr, spricht man auch von „Jubelpersern„, aber deren Erfindung ist erst eine Generation her.

Das böse, böse Internet ist also ausnahmsweise (besser: mal wieder) nicht schuld. Aber vermutlich wurde dank Internet die Sache perfektioniert. 1000 Leser … Man muß schon etwas mehr als 50 Euro aufwenden, um einen einzelnen Menschen dazu zu bringen, etwas zu lesen, das ihn nicht interessiert. Aber hier blieben gerade 5 ct. pro Leser. Der Verdacht drängt sich auf, daß diese „Menschen“ reine Softwareprodukte sind, automatisierte Roboter. Oder schlecht bezahlte Klick-Droiden. Gelesen wird jedenfalls vermutlich keine Zeile.

Ist das legal? Anzunehmen. Es ist ja nicht verboten, Texte zu produzieren, die nur von Computern gelesen werden und sich mit der Zahl der Leser zu brüsten. Es ist vielleicht ein bißchen bizarr und eigentlich peinlich, besonders, wenn es auffliegt, aber verboten ist es erst, wenn man mit diesen Pseudofans Geld verdienen will. Aber genau das passiert ja. Das systematische Abgrasen von Onlinewerbung bringt Geld. Aber wenn die Umworbenen doch nur ein Haufen desinteressierter Bits und Bytes sind?

Das ist sicher keine Twitterspezialität. Alle Broadcaster leben von der Anzahl der Konsumenten. Radio sei unser nächstes Beispiel. Im Internet gibt es ja eine Vielzahl kleiner Radiosender, die alle sicher eine Handvoll enthusiastischer Hörer zusammenkriegen. Aber seien wir doch mal realistisch, gegen professionell agierende Radiosender, die auch im Netz präsent sind, haben kleine Nebenerwerbssender keine Chance. Dann aber ist es doch kaum zu erklären, wie einzelne Nischensender mehr Hörer online haben wollen als etablierte Sender on air. Schaut man genauer hin, sieht man, wo man tricksen kann. Nach Beendigung der Hörersession weitersenden zum Beispiel. Oder gleich die Hörer einfach nur emulieren. Avatare mit Ohren, sozusagen – und gleichzeitig abenteuerliche Verschwendung hochperformanter Netzinfrastruktur.

Im Printbereich kann man es sogar noch besser nachvollziehen. Textlastige Onlinemedien messen ihre Reichweite mithilfe des IVW. Der Name IVW ist leichter einprägsam als die lange Variante: „Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern“. Diese Gesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die allgemeine Verbreitung von Printmedien zu messen, nicht nur online. Sie verfeinert seit ihrer Gründung laufend ihre Methoden, um herauszubekommen, wie oft und von wieviel unterschiedlichen Menschen einzelne Seiten gelesen werden. Im Onlinebereich wurde das zu Beginn mithilfe eines Pseudo-Bilds realisiert. Auf jeder Webseite wurde ein Bild versteckt, in der Größe 1×1 Pixel. Das ist klein, nur kein Bild ist kleiner, und sollte daher die Übertragung nicht stören. Das stimmte sogar, jedenfalls solange das Netz nicht besonders stark belastet wurde. Dieses „Bild“ mußte nach Aufruf der Seite nachgeladen werden, aber vom IVW-Server. Daher konnte man auf dem IVW-Server mitzählen, wie oft eine Seite aufgerufen wurde.

Dieses System ist problemlos auszutricksen. Man kann es sich ganz leicht machen und ruft einfach nur immer wieder dieses Pixel auf, automatisiert. Jeder Ladevorgang simuliert einen Leser. So entsteht ein ewiger Rüstungswettlauf. Derzeit beliebt ist die künstliche Erhöhung der Leserzahlen durch sogenannte „Klickstrecken“. Artikel werden mutwillig auseinandergeschnitten und in Häppchen serviert. Da ist die Leserschaft schnell verdreifacht, aber die Lesbarkeit leidet. Falls einer nach dem Anlesen des Artikels die Lust verliert und nicht weiterklickt, ist es auch nicht so schlimm, einmal gezählt ist er ja bereits, nichts verloren. Aber das reicht nicht. So werden „Bilderklickstrecken“ angeboten auf beinahe allen Seiten der einschlägigen Medien, die online und gedruckt verfügbar sind, also Sternfocusspiegel & friends sowie die einschlägigen Tageszeitungen. Jedes Bild zählt als gelesener Artikel. Die Leserschaft wird verzehnfacht.

Aber die Gier ist nicht befriedigt. Das läßt sich noch weiter steigern. Inzwischen gibt es Kreuzworträtsel, bei denen jeder einzelne Buchstabe als Seite gezählt wird. Alles nur eine Frage der Programmierung. Ohne Zweifel wird die IVW hier wieder nachrüsten. Sonst endet alles eines Tages mit Computern, die sinnlose Inhalte in die Welt setzen, die von ebenso sinnlosen Programmen gelesen werden. Könnte man den elektrischen Strom, der hier für Bandbreite vergeudet wird, einsparen, könnte man vermutlich ein bis zwei Planeten von Erdgröße retten.

3 Antworten

  1. ich kann diese „erfolgs“meldungen schon nicht mehr hören: „danke an meinen 1.000sten follower“. eine pr-agentur, die viel auf ihre pr2.0-kompetenz hält twitterte kürzlich „1.500 follower – einfach geil!“ haben die früher auch die auflage ihrer pressemeldungen als erfolg verkauft und die menge der werbeflyer in ihrem briefkasten als beleg ihrer gesellschaftlichen relevanz interpretiert?
    und wenn mir nur sechs czyslanskys folgen würden – der rest wäre schall und rauch … na gut tim: ganz ohne rauch wollen wir beide auch nicht leben … 😉

  2. Twitter-Bots folgen Twitter-Bots

    Ich erinnere mich an eine Geschichte von Ephraim Kishon in dem er seinem Freund Jossele von Schachcomputern berichtet. Nach kurzem Nachdenken meint dieser dann, er würde sich gleich zwei von diesen Computern kaufen, die könnten dann miteinander Schach spielen und er könnte in Ruhe ins Kino gehen.

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