stiftbruch

In painting, you have unlimited power. You have the ability to move mountains. You can bend rivers. But when I get home, the only thing I have power over, is the garbage.
(Quelle des Unfugs: Bob Ross)

Staedtler, Schwan-Stabilo, Faber-Castell – Jahrtausende alte Startups erleben in diesen Tagen eine Renaissance des Irrsinns.  Mehrwöchige Lieferfristen für simple Buntstifte – was nach DDR klingt ist längt bundesdeutsche Wirklichkeit. Und schuld daran ist nicht eine Jahrhundertwelle von Schulanfängern, nein, die Verursacher sind Eltern und Großeltern. Die Räumung der Buntstiftauslagen ist das Ergebnissen des aktuellen Hypes um Ausmalbücher für Erwachsene.

Wie jammern Matthias Huber und Jakob Schulz in der Süddeutschen Zeitung so überaus treffend:

Eigentlich ist es ganz schön unfair: Erst mopst Mama dem Söhnchen das Malbuch, um damit einen gemütlichen Feierabend zu verbringen. Und dann kauft sie im Schreibwarengeschäft auch noch das Regal mit den Buntstiften leer.

Wir erleben derzeit das weltweite Phänomen stifteschwingender Erwachsener. Und sie pinseln nicht rossophil auf leere Leinwände, sondern sie färben Ausmalbücher für Erwachsene. Was mir als Kind zutiefst verhasst war, die Gängelung durch die Malvorlage, wird heute massenhaft freudig begrüßt.

Ihren Ursprung fand der neue Wahn vermutlich bei Inselbewohnern. Die britische Illustratorin Johanna Basford konnte binnen weniger Monate angeblich bereits mehr als 16 Millionen Exemplare ihrer ersten drei Malbücher für Erwachsene an Mann und Frau bringen. Auf amazon stürmen heute Titel wie „Malbuch für Erwachsene: Meditation: Mit wundervollen Bildern alle Sorgen gehen lassen“ oder „Komm zur Ruhe: Mit friedvollen Bildern vom Alltag entspannen“ die Charts. Die Mandalaisierung der Freizeit schreitet voran.

Wie ist dieser Wahn einzuordnen? Was treibt vorgeblich erwachsene Menschen dazu, wie Kinder, vorgezeichnete Blumen, Mond und Berge zu colorieren?

Ausmalbücher für Erwachsene sind ein Beleg der Kommerzialisierung der Kontemplation

Mit den Ausmalbüchern für Erwachsene setzt sich der Trend der Entmündigung der Menschen in den Industriegesellschaften fort. Der Mensch hat längst verlernt seine von der Erwerbsarbeit befreite Zeit – seine „Freizeit“ – selbst bestimmt zu verbringen. Zum Animateur, ohne den die Urlaubsreise kaum mehr vorstellbar ist, gesellt sich der Kontemplateur, der auch noch die sinnfreie Zeit der Ruhe und der Besinnung auf sich selbst organisiert, der, wie Fernsehen und YouTube, vorgefertigte Bilder vorgibt, wo einst Imagination gefragt war. Das Ausmalbuch kennzeichnet aufs Krasseste die Unfähigkeit zu malen, wie auch die Unfähigkeit einfach mal nichts zu tun.

„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“ wusste schon Blaise Pascal und sein später Epigone Hanns-Dieter Hüsch pochte vergebens auf sein Recht, jahrelang einfach still sitzend auf einen Punkt zu sehen.

Die Seele baumelt heute streng reglementiert und von Buchverlagen und deren Illustratoren getrieben über dem Ausmalbuch. Das Individuum findet seine säuberlich markierten Grenzen nicht nur in der Malvorlage, sondern schon im Prinzip des zu Kaufenden. Es ist diese doppelte Blockade individueller Freiheit, die den neuen Freizeitkult als Versklavung entlarvt: Andere benötigen, um sich  vergeblich zu entspannen, Grenzen fordern, um vermeintlich kreativ zu sein.

Ausmalbücher für Erwachsene sind ein Sinnbild der Regression. Das Zerbrechen der Stifte wäre das ebenso überfällige wie nicht zu erwartende Signal des Widerstands.

Rien faire comme une bête, auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen, ’sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung‘ könnte anstelle von Prozess, Tun, Erfüllen treten und so wahrhaft das Versprechen der dialektischen Logik einlösen, in ihren Ursprung münden.
(Quelle der Erkenntnis: na wer wohl?)

 

2 Antworten

  1. Ernsthaft? AUSMALEN?????
    Kann nicht sein … Ich habe zum Glück noch einige Dutzend alte Schwan Stabilo Farbkästen …

    Jeder der ernsthaft malt oder zeichnet weiss: Es gibt kaum etwas Anstrengenderes, als konzentriert mit sich, mit und gleichzeitig gegen sein Talent zu kämpfen.

    Wer zur Entspannung malen will, malt nicht!
    Kontemplation?! Pffffffft

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