Wer in Österreich etwas auf sich hält, trägt Titel. Die Wiener Toilettenfrauen sind berühmt dafür, dass sie jeden, der vors Urinal tritt, wahlweise mit „Herr Professor“ oder „Herr Hofrat“ anreden, je nach Höhe des Trinkgelds. Und wer in meiner neuen Wahlheimat nicht einen „Doktor“ vor dem Namen stehen hat,  schmückt sich wenigstens mit einem „Mag“ – oder, der Steigerungsfall, einem „Mag, Mag“. Das ist der so genannte „Doppelmag“, auch manchmal  „Big Mag“ genannt, was aber häufig peinliche Verwechslungen mit den Erzeugnissen einer bekannten schottischen Feinschmeckerkette auslöst.

Nur ich, ich hab‘ halt keinen. Mein „Associate in Arts“ von der University of Maryland ist im Grunde eine Art Schmalspur-Titel, den man nach zwei erfolgreich absolvierten Studienjahren als Trostpflaster bekommt, weil es zu einem richtigen „Bachelor of Arts“ nicht gelangt hat. Nun, ich musste damals während der Volontärsausbildung bei der Rhein-Neckar-Zeitung in Abendkursen nebenher studieren, und da war schon der „A.A.“ eine ziemliche Kärrnerarbeit. Und später, als mein Czyslansky-Freund Michael in aller Ruhe die Frankfurter Schule besuchen durfte, machte ich schon Karriere, oder versuchte es jedenfalls.

Weshalb Michael seinen Doktor so schamhaft verschweigt, ist mir bis heute schleierhaft. Aber das ist vermutlich so eine Art umgekehrter Snobismus: Wer seinen Titel offen führt, hat es wohl nötig. Außerdem läuft er im Internetzeitalter Gefahr, nach dem Doktor einen Guttenberg zu bauen, wobei einem wegen Plagiatentums der Entzug des Titels droht. Da habe ich’s besser: Ich kann nach Herzenslust abschreiben; mir kann keiner was wegnehmen.

Aber wenn ich ehrlich bin, so schleppe ich schon einen kleinen Titelneid mit mir herum, erst recht jetzt, wo ich in Felix Austria residiere mit seiner unerschöpflichen Titelflut.

Und so habe ich mich ganz besonders über ein Schreiben der Agentur SM:ILe Communications gefreut (siehe oben), die uns Journalisten im Vorfeld der CeBIT zum so genannten „ICT Forum“ einlädt. Dort dürfen Vertreter so namhafter Unternehmen wie Datev, Sage und Sapient jeweile eine Stunde lang PR-Vorträge halten und ihre Pressemappen verteilen, damit die verehrten Vertreter der Presse gar nicht erst die beschwerliche Reise in Hannoveranische antreten müssen, sondern gleich die Pressetexte in ihre Gazetten hinein kopieren können. Das nennt sich übrigens nicht Plagiat, sondern „Cut & Paste-Journalismus“, und dafür kann niemandem der Redakteurstitel entzogen werden. Ich gehe seit Jahren gerne dorthin, weil ein anderer Czyslansky-Freund von mir, Christoph Witte, immer die Moderation macht und damit das Niveau der Veranstaltung deutlich anhebt.

Ich werde mich diesmal ganz sicher in der anschließenden Fragestunde zu Wort melden, und zwar weil ich wissen will, ob mich Christoph korrekt mit vollen Titel ansprechen wird oder nicht. Ich meine: Wie viele Freifrauen männlichen Geschlechts tummeln sich auf einem solchen Event? Das ist wirklich etwas Besonderes.

Im Übrigen erinnert mich die Sache an ein Interview, das ich vor vielen Jahren mit dem damaligen Leiter der Wiener Sängerknaben im schönen Augartenpalais führen durfte. Ich war aber unsicher, wie ich ihn bitteschön anreden sollte. Herr Tautschnigg war nämlich sowohl Professor als auch Geheimer Hofrat. Seine Antwort verdient es, hier für die Nachwelt festgehalten zu werden.

„Wissen’s, junger Mann“, sagte er in breitestem Wienerisch, „Professoren gibt es bei uns Tausende. Hofräte gibt es Hunderte. Aber es gibt nur aan Direktor der Wiener Sängerknaben. Sagen’s bitte ‚Herr Direktor’…“

4 Antworten

  1. Die klassische Österreichische Karriere verläuft so:
    1. Sängerknabe
    2. Hofrat
    3. Geheimer Hofrat
    4. Lippizaner

    Küss die Hand,
    ds

  2. @michael: Du könntest mir vielleicht deinen Titel verleihen. Das tut man doch mit Titeln, oder? Du kriegst ihn auch sauber gewaschen wieder zurück.

  3. Nun aber doch noch mal eine seriöse Antwort auf eine seriöse Frage:
    Vor einigen Tagen erreichte mich nämlich der Hilferuf eines Studenten. Sgtark verkürzt suchte er Hilfe bei der Entscheidung, ober er promovieren solle oder nicht.
    Meine Antwort lautete nach reiflicher Überlegung:
    „Denkt man ausschließlich in Karriere-Kategorien, dann ist „der Titel“ in staatsnahen Bereichen (öffentlich-rechtliche Medien, einige Verbände) und ebenso in Konzernen für Führungspositionen, aber auch für die Akzeptanz als Berater oder Partner heute oftmals unerlässlich, oder doch zumindest sehr hilfreich. Das mag man bedauern, aber meine Erfahrung geht eindeutig in diese Richtung. Ich hätte wohl als Berater eine ganze Reihe interessanter Aufträge ohne Titel kaum erhalten. Andererseits ist auch ein mittleres Handicap auf dem Golfplatz hilfreich – und darauf habe ich immer verzichtet. Vor vielen Jahren habe ich tatsächlich einen Auftrag bei einem großen Online-Konzern verloren, weil ich nicht zur rechten Zeit auf dem Golfplatz war – unglaublich aber wahr. Wenigstens gibt es dieses Unternehmen heute nicht mehr 😉
    Auf Rang 3 der unsinnigen und hilfreichen „Skills“ steht inzwischen ein Flugschein. So müsste mein Rat nun lauten: Promovieren Sie! Das ist allemal billiger, als Golf zu spielen und regelmäßig zu fliegen!
    Andererseits: Engagement und Begeisterung für das was man tut – also Leidenschaft in Studium und Beruf – toppen alle diese Erfolgsfaktoren. Und Karrieren sind weniger planbar, als man meint. Mein Rat lautet deshalb immer: Folgen Sie Ihrer Nase: haben Sie ein tolles Promotionsthema, für das Sie sich faszinieren können, dann widmen Sie sich diesem Thema und nehmen Sie den Titel mit. Für einige Karrieren ist er unerlässlich. Und wenn Sie sich in zehn Jahren dazu durchringen, dass eine Vorstandsposition bei Siemens ohnehin keine reizvolle Perspektive für Sie ist, dann haben Sie zumindest die Zeit der Promotion genossen. Betreiben Sie aber die Promotion heute nur als Investition in eine ungewisse Zukunft, dann lassen Sie es besser. Sie verstehen: der wichtigste Punkt in der Karriereplanung ist Leidenschaft – nicht Planung!“

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