Vannevar Bush

Vannevar Bush, der schon im Jahr 1945 den PC, das Internet, Wiki, den Kindle und das ganze Zeug geträumt hat

Vor kurzem fiel mir die Kopie eines Aufsatzes von Bill Gates und Nathan Myhrvold in die Hände, den ich im Winter 1988/89 für die Zeitschrift “Spektrum der Wissenschaft” übersetzte und der dort in der März-Ausgabe 1989 unter dem Titel “Software für den Personalcomputer” erschienen ist. Beide Autoren entwarfen in diesem Beitrag das Modell des Hypertextes, das in den 90iger Jahren wesentlich für die Verfasstheit des Internet werden sollte. Und beide Autoren verweisen auf den eigentlichen Begründer dieses Konzeptes, einen amerikanischen Ingenieur namens Vannevar Bush. Dieser hatte im Sommer 1945 in der Zeitschrift “Life” seine Idee von einer persönlichen Rechenmaschine namens Memex vorgestellt. Der ganze Artikel ist hier dokumentiert. Im Folgenden habe ich einige Stellen zusammengestellt, die zeigen, dass Bush – nicht zufällig ein Zeit- und Geistesgenosse unseres großen Czyslansky – vor mehr als 60 Jahren schon recht genau beschreiben hat, was wir heute als Internet-Gesellschaft bezeichnen. Ich bediene mich dabei der Übersetzung von Regina Winter von der Universität Paderborn:

memex

Memex, der Vorläufer des Personalcomputers mit Internet-Anschluss. Eine Konzept-Idee aus dem Jahr 1945. Die drei Monitore auf dem Gerät sind augenscheinliche die Vorbilder für den iPad.

Zu Beginn grenzt Vannevar Bush seine Ideen erst einmal vom klassischen Dateimanager, bekannt aus MS-DOS und Windows, ab:

"Egal, welche Daten man in ein Archiv aufnimmt, sie werden alphabetisch oder numerisch abgelegt, und die Information wird (wenn überhaupt) wiedergefunden, indem man Unterabteilung für Unterabteilung durchgeht. …”

Nun aber entwickelt er das Konzept vom Hypertext:

“Der menschliche Geist arbeitet anders, nämlich mittels Assoziation. Kaum hat er sich eine Information beschafft, greift er schon auf die nächste zu, die durch Gedankenassoziation nahegelegt wird, entsprechend einem komplizierten Gewebe von Pfaden, das über die Hirnzellen verläuft. … Es ist nicht zu hoffen, dass sich dieser geistige Prozess vollständig künstlich reproduzieren ließe, aber mit Sicherheit sollten wir davon lernen können. In kleinen Dingen könnte dies sogar umgekehrt weiterhelfen, denn Aufzeichnungen sind relativ dauerhaft. … Stellen Sie sich ein künftiges Arbeitsgerät zum persönlichen Gebrauch vor, …”

Nun geht es um den PC!

“… das eine Art mechanisierten privaten Archivs oder Bibliothek darstellt. … Wenn der Benutzer ein bestimmtes Buch zu Rate ziehen will, gibt er den Code über die Tastatur ein, und sofort erscheint die Titelseite des Buchs vor ihm, projiziert auf einen der Sichtschirme.  … Jedes Buch einer Bibliothek kann so erheblich leichter aufgerufen und betrachtet werden, als wenn man es aus dem Regal nehmen müsste. …”

Der Kindle!

“ … Da dem Benutzer mehrere Projektionsflächen zur Verfügung stehen, kann er einen Gegenstand in Position lassen und weitere aufrufen. Er kann Notizen und Kommentare hinzufügen. …  Es braucht jedoch noch einen weiteren Schritt zur assoziativen Indizierung. Deren grundlegender Gedanke ist ein Verfahren, von jeder beliebigen Information – sei es Buch, Artikel, Fotografie, Notiz – sofort und automatisch auf eine andere zu verweisen. …  Es ist ein Vorgang, der zwei Informationen miteinander verbindet. Das ist das Kernstück. … Der Benutzer drückt eine einzige Taste, und die Gegenstände sind dauerhaft miteinander verbunden. …”

Das Tagging und die Cloud-Wolke!

“… Danach kann jederzeit, wenn eine der Informationen auf einer der Projektionsflächen sichtbar ist, die andere sofort abgerufen werden. …  Es ist genau so, als wären die jeweiligen Artikel, Notizen, Bücher, Photographien etc. leibhaftig aus weit entfernten Quellen zusammengetragen und zu einem neuen Buch verbunden worden. …”

Der Guttenberg!

“… Und es ist noch mehr als dies, denn jede Information kann so zu einem Teil unzähliger Pfade werden…. Ganz neue Arten von Enzyklopädien werden entstehen, bereits versehen mit einem Netz assoziativer Pfade …”

Die Wikipedia!

“… Für den Patentanwalt stehen Hunderttausende ausgegebener Patente bereit, mit vertrauten Pfaden zu jedem Punkt, der für seinen Klienten von Interesse sein könnte. Der Arzt, verwundert über die Reaktion eines Patienten, folgt dem Pfad, den er bei der Erforschung eines früheren, ähnlichen Falls angelegt hat, und kann rasch andere Fallgeschichten durchgehen, mit Hinweisen auf die relevanten Klassiker der Anatomie und Histologie. Der Chemiker, der sich mit der Synthese einer organischen Verbindung müht, hat alle Fachliteratur in seinem Labor vor sich, mit Pfaden, die sich mit Vergleichen zwischen Verbindungen befassen und Seitenpfaden über ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften. Der Historiker, der eine ausführliche Chronologie eines Volkes anlegt, versieht diese parallel mit einem Schnellpfad, der nur die wichtigsten Punkte berührt, und kann jederzeit von dort aus anderen, über die gesamte Zivilisation einer bestimmten Epoche führenden Pfaden folgen. Es wird ein neuer Berufszweig von Fährtensuchern entstehen, die sich damit beschäftigen, nützliche Pfade durch die ungeheure Menge von Aufzeichnungen und Dokumenten anzulegen."

Ich!

Äh … zumindest in Sachen Vannevar Bush fühle ich mich dann doch ein wenig wie ein Fährtensucher. Der erste war ich nicht, die taz war vor Jahren auch schon hier, aber für den ein oder anderen habe ich vielleicht doch hiermit eine schöne Fährte legen können – zu den Quellen von Internet, PR, Kindle und Wikipedia. Immerhin ist der hier zitierte Text ungefähr so alt wie Tim. Anders formuliert: gegen die visionäre Kraft Vannevar Bush’ können sich Gates und Myhrvold nur bescheiden und tief verneigen. Und Jobs eh.

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