Verbrecher Verlag Geschichte

Verbrecher Verlag Geschichte. 30 Jahre Verlagsversehen

Das soll ja vorkommen, dass Menschen sich beim Schwedenelch ein Regal kaufen, aber keine Bücher haben, um sie hineinzustellen. Dann tun sie so, als seien sie die Enkel von Reich-Ranicki und betteln renommierte Verlage um kostenlose Besprechungsexemplare an. Die Rezensionen lassen sie dann von ChatGPT runterzuzeln. Dann stellen sie das Immergleiche auf Insta und schon ist wieder ein Literaturkritiker geboren, das erste Billy-Regal gefüllt und der Literaturbetrieb glaubt an einen Boom.

Ich halte diese schmarotzenden Klappentextabschreiber ja für Verbrecher. Aber um die geht es hier nicht.

Nein nein, es gibt ja auch Verbrecher, für die ich seit meinen Jugendtagen eine gewissenlose Sympathie hege. Bonnie und Clyde, Arsène Lupin, Felix Krull, die Reivers bei William Faulkner oder unvergessen: Belmondo in der Rolle von Cartouche. Solche liebenswerten Gauner gibt es auch unter den Lesenden. Von solchen Verbrechern ist nun die Rede. Um solche Verbrecher geht es in einem Büchlein – das Diminutiv ist hier wirklich angebracht – in dem die dreißigjährige Geschichte des – Ihr ahntet es – Verbrecher-Verlags berichtet wird:

Verbrecher Verlag Geschichte. Die Geschichte des Berliner Verbrecher-Verlags

Vor dreißig Jahren dachten zwei Literaturstudenten darüber nach, wie sie für umsonst an spannende Manuskripte ihrer Lieblingsautoren gelangen könnten. Sie wollten „was zu lesen“. Wer will das nicht. Kaufen ist teuer und in gewisser Weise auch langweilig, weil, was es im Buchhandel gibt, kann ja jeder lesen. Also erfanden sie sich als Verleger und erbettelten bei Autoren unveröffentlichte Manuskripte. Eine doch recht verbrecherische Idee und schon war auch der Name des Verlags entstanden…

Das ist die nun freilich ein wenig arg verkürzt erzählte Gründungsgeschichte des Verbrecherverlags. Aber wer es genauer wissen will, der soll sich ja auch das Buch kaufen und nicht meine Kaufempfehlung für umsonst lesen. Das hat für den Käufer den großen Vorteil, dass wieder was im Billy steht und er außerdem ein paar seltsam-nette Geschichten aus der Verlagsgeschichte erfährt, etwa

  • dass man tatsächlich Bücher in Achtpunkt-Schrift mit 80 Anschlägen pro Zeile setzen und verkaufen aber eigentlich nicht lesen kann. Das Geburtstagsbuch hat übrigens rund 40 Anschläge pro Zeile. Der Begriff „Anschläge pro Zeile“ eignet sich für ein Verbrecher-Buch übrigens sehr …
  • dass der Verlag schon überleben kann, wenn er im Schnitt 1.000 Exemplare von jedem Buch verkauft (ich habe mal vor Jahren, was bei Fischer veröffentlicht, da ging es mit 5.000 Stück gerade mal los …
  • dass der Verlag doch tatsächlich herausgibt, was er für gut findet

Von Kraut Funding und Fotzenfenderschweinen

Im Übrigen listet der Band vor allem chronologisch die vielen Neuerscheinungen auf, die über die Jahre erschienen sind. Zu einigen gibt es dann auch ein wenig Hintergrundinformationen, etwa zu „Solidarität – eine reale Utopie“, das Ende 2024 als Ergebnis einer Crowd-Funding-Kampagne erschienen ist. 72 Spender brachten knapp 4.000 Euro zusammen und ermöglichten so erst diese Publikation. Ein im Literaturbetrieb noch nicht arg verbreiteter Weg. Eine Art Genossenschaftskriminalität.

Besonders spannend fand ich den Hinweis auf eine im Jahre 2016 geplante und sogar gestartete Reihe „DIE ELEKTROBIBLIOTHEK“. Geplant war offenbar die Edition moderner Erzählungen deutschsprachiger Autoren ausschließlich in Online-Ausgaben. Thematische sollte es offenbar auch um die Verbindung von Content und Gestalt von Schriften gehen. Eine äußerst spannende Totgeburt.

Eher humoresk die Wiedergabe des öffentlichen Diskurses um die Publikation mit dem Titel „Fotzenfenderschweine“ aus dem gleichen Jahr. Der Roman der Independentmusikerin und Autorin Almut Klotz wurde seinerzeit hochgelobt, der Buchtitel aber in der Welt am Sonntag gar arg kritisiert: „es ist eklig und es gehört sich nicht“. Ach ja, die WamS … Zehn Jahre ist das nun her und es klingt, als wäre es 1960 gewesen.

Solche Geschichten „hinter den Büchern“ hätte ich gerne noch mehr gelesen in „Verbrecher Verlag Geschichte“. Die Geschichte des Verbrecher-Verlags hätte es wohl hergegeben. Denn es ist ein mutiger Verlag mit einem bezaubernden Programm.

Mehr Verbrecher braucht unser Land. Mehr Leser*innen sowieso.

Illustrationen © Michael Kausch

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