Plattenkiste 17: Mit Mama Leone im House of the Rising Sun

Ich liebe Single-Börsen. Also diese Tische, auf denen viele Singles liegen, diese kleinen schwarzen runden Dinger, diese 7-Zoll-Schallplatten. Ich habt mich schon richtig verstanden, oder? Eigentlich sollte der Kauf von Singles von Krankenkassen bezuschusst werden, denn wenn man alle drei oder vier Minuten zum Umdrehen der Platte zum Plattendreher laufen muss, das hält schon fit. Und Familien- und Wohngemeinschaftsmitglieder mit ihren MP3-Playern und Streamingdingern erklären einen für reichlich blöde. Aber es gibt natürlich auch die Hardcore-Junkies mit ihren Music-Boxen aus der Elvis-Ära. Die kennen eh nur 7-Zöller. Und erst recht die ganz Durchgeknallten mit einem Plattenspieler im Auto. Ja sowas gibts. Ich war vor ein paar Jahren nah dran mir sowas in der Bay zu schießen. Das Ding war so groß, ich hätte den Beifahrersitz ausbauen müssen. Und ich fuhr damals ja nur einen Zweisitzer. Das war mir dann doch zu verwegen. Obwohl …

Na jedenfalls stell ich Euch heute fünf Platten aus meiner kleinen feinen Single-Sammlung vor. Ein Kesselchen Buntes:

Bino: Mama Leone

Nein nein, diese Single muss man wirklich nicht haben. Es sei denn, man hat wie ich 1978/79 ein Jahr lang direkt über einer Pizzeria gelebt und tagein tagaus diesen Song gehört, geschluchzt von Benedetto Arico, mehr oder weniger bekannt als Bino. Geschrieben hat das Lied zwei Jahr zuvor Drafi Deutscher und leider wurde es nicht vergessen. Ebenfalls nicht vergessen – aber auch nicht gehört – wurde es als es ein Jahr später von einem Mädchen mit dem wunderlichen Namen Renate Vaplus gesungen wurde. Mit Bino aber rutschte der Song 1978 plötzlich in die Charts und in die Herzen aller Italiener, vor allem natürlich aller italienischen Mamas. Und da gibt es ja viele. Textausschnitt gefällig? Hier kommt er:

„Mama Leone, du musst ein Engel sein,
Mama Leone,
Nur für die Armen schlägt dein Herz allein.
Mama Leone,
Du hast für dieses Dorf so viel getan,
Den Kindern hast du Brot gegeben,
Sie haben sonst nicht viel vom Leben,
Mama Leone“

Und jetzt stellt Euch das ganze mit italienischem Herzschmerz vor über heftigem Pizzadampf. Der Rotwein floss in Strömen. Ich war jung, hatte langes lockiges Haar und es war eine Pracht zu leben. Und ich war Single. Dolce Vita. Die Single habe ich mir viele Jahre später gekauft. Da war das Haar schon weg …

Rolling Stones: Angie

1973 erschien diese Promo Single der Stones mit dem Über-Hit Angie (No 1 in den USA) und dem weit weniger bekannten „Silver Train“. Was soll man über Angie schon groß schreiben? Kennt eh jede*r. Silver Train, die B-Seite, ist eigentlich spannender. Es geht um die Liebe des Sängers zu einer Hure, ein schmachtvolles Liebeslied mit viel Slide-Gitarre und Seelenschmerz, also gar nicht so viel anders als die Anschi.

„Ich liebte es, wie sie lachte und mein Geld nahm.
Und ich wusste ihren Namen nicht.
Aber ich liebte es, wie sie lachte und mich Honey nannte.
Silberner Regen fällt
Fällt um mein Haus herum, oh ja
Silberne Glocken läuten.
Sie läuten rund um mein Haus, ding, dong, oh ja.“

Auf Deutsch klingen ja die meisten Stones-Songs ziemlich bescheiden.

„Der silberne Zug kommt.
Ich glaube, ich steige jetzt ein, oh ja.“

Ich nehme an, die Konzerte in Mannheim, Köln und Essen, die auf der Rückseite des Covers beworben werden, waren trotzdem ausverkauft.
Oh ja …

Zager & Evans: In the Year 2525

Noch eine aus meiner Singe-Kiste: Ein echter One-Hit-Wonder:
„In the year 2525, if man is still alive
If woman can survive, they may find“

20 Pfund Weltschmerz auf einer Single, veröffentlicht 1969 und dann sechs Wochen in den USA auf Platz 1. Geschrieben hat ihn Rick Evans bereits fünf Jahre zuvor. Fünf jahre sind kein wirklich relevanter Zeitraum für einen Songwriter, die in Jahrtausenden denkt und schreibt. Denn in diesem Song beschreibt er immerhin die Geschichte der Menscheit über einen Zeitraum von 10.000 Jahren. In zehn Jahrtausenden bringt sich die Menschheit langsam durch ihren technologischen Fortschritt um.

Das war immerhin das Jahr der Mondlandung und die Zeit des Vietnam-Kriegs, in dem dieser Song die Hitparaden stürmte, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Einerseits waren es die Jahre ungeheurer technologischer Fortschritte, andererseits eine Zeit kannibalischer Schreckensnachrichten. Dass man beides miteinander in einen kausalen Zusammenhang brachte: Fortschritt und Niedergang, war wenig überraschend. In the year 2525 war der Protestschrei einer empörten Jugendbewegung. Straßenkleber gab es noch nicht. Aber wenn ich mich recht erinnere, roch auch in den Siebzigern irgendetwas ein wenig süßlich …

Mungo Jerry: In the Summertime

Bevor der Sommer nun endgültig vorbei geht sollten wir diese Scheibe noch schnell auflegen: Munge Jerry: In the Summertime. 1970 kamm der Titel heraus und er wurde der ultimative Sommerhit. Ich erinnere mich gut, dass wir diesen Song jeden Tag – aber wirklich JEDEN Tag – sangen und dabei die Gitarrenriffs lautmalerisch versuchten mit dem Mund irgendwie nachzuahmen. Bei diversen Partys am Lagerfeuer hatte jeder, der eine Gitarre halten konnte, die Griffe natürlich drauf. Mit E, A und B kam man ganz gut durch.

„In the summertime, when the weather is high
You can stretch right up and touch the sky
When the weather’s fine
You got women, you got women on your mind
Have a drink, have a drive
Go out and see what you can find.“

Alkohol und Autos, Sex und Sommer, das Leben konnte schon auch recht schön sein.

Animals: The House of the Rising Sun.

Wer hat dieses Lied eigentlich nicht gesungen? Alle Größen, die ich kenne: Als erstes die Animals. das war 1964. Später dann Jimi Hendrix, Gunter Gabriel, Eric Burdon und die großen Deutschen natürlich: Udo Jürgens, Manfred Krug und … äh … ich. Letzterer auf unzähligen Festen und vor unzähligen Lagerfeuern. Als ich sehr jung war in der Stimmlage von Joan Baez, später dann in der von Bob Dylan, heute eher im gebrochenen Ton des späten Johnny Cash. Es ist ein alter Folksong und jede und jeder darf sich daran üben und das ist gut so. Die älteste bekannte Fassung stammt aus dem 17. Jahrhundert. Na ja, dabei handelt es sich eher um eine Vorversion, um die englische Ehebrecherballade Matty Groves, die noch heute von zahlreichen Folkgruppen gesungen wird. „The Rising Sun“ ist angeblich ein Blues, der auf Matty Groves aufbaut. Rising Sun kennt man aber auch schon seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und die früheste Tonaufnahme stammt wohl von 1941, manche meinen sogar von 1933.

Die Animals stürmten mit The House of the Rising Sun 1964 völlig überraschend die US und UK Charts. Und es ist ja auch ein toller Song. Als ich vor vielen Jahren in New Orleans war hatte ich das Lied die ganze Zeit über im Kopf. In den 90iger Jahren wurde in der Stadt ein Haus entdeckt, das angeblich das ominöse „House of the Rising Sun“ sein soll. Ich war vorher da. Na ja, ein Grund nochmal hinzufahren …

Illustrationen © Michael Kausch

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Eine Antwort

  1. Das meiste ein wenig vor meiner Zeit und trotzdem bestens bekannt.
    Selbst „Mama Leone“, das ein kleines Ehrenplätzchen in der Playlist Canzone hat in der ich all die alten Italo-Schlager verwahren für furchtbar nostalgische Momente.
    Mehr davon lieber Mick. Bitte mehr davon.

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