Plattenkiste 15: Mit Helene Weigel im Zeppelin

Ach herrje, vier Monate ist es her, dass ich hier die letzte Plattenkiste aufgemacht habe. Glaubt bloß nicht, dass ich in der Zeit meinen Plattenspieler habe einrosten lassen. Irgendwie kam ich nicht mehr zum Schreiben oder andere Dinge haben sich nach vorne gedrängelt. Aber ich gelobe Besserung. Dafür stelle ich heute fünf wirklich hörenswerte Platten vor: Eine VolksEigene Blatte mit der großartigen Helene Weigel macht den Anfang. Und nach der Sprechplatte geht es weiter mit einem Klassiker von Led Zeppelin. Dann ein erneuter Stilwechsel zum einsamen Singer Songwriter, dem jüngst verstorbenen Michael Hurley. Anschließend jazzt der Getz ehe engelsgleich der Dicke von Canned Heat uns aufs Land entführt. Viel bunter geht es eigentlich nicht, oder?

Helene Weigel liest Brecht

Das hier ist eine unverkäufliche Musterplatte der zweiten Platte von „Helene Weigel liest Brecht“ der VEB Deutsche Schallplatten. Während die erste Platte bereits in den sechziger Jahren erschien, kam diese zweite Platte erst 1976 im Litera Label auf den Markt.

Die im Mono-Schnitt erschienene Scheibe enthält acht Lieder bzw. Gedichte:

  • An Die Nachgeborenen
  • Der Soldat Von La Ciotat
  • Das Lied Vom Klassenfeind
  • Deutschland
  • An Den Schwankenden
  • Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin
  • Kinderkreuzzug und
  • An Meine Landsleute.

Aus dem zuletzt genannten, einem wunderbaren Friedensgedicht von 1950, möchte ich zitieren:

„Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen!
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
Als ob die alten nicht gelanget hätten:
Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!

Ihr Männer, greift zur Kelle, nicht zum Messer!
Ihr säßet unter Dächern schließlich jetzt
Hättet ihr auf das Messer nicht gesetzt
Und unter Dächern sitzt es sich doch besser.
Ich bitt euch, greift zur Kelle, nicht zum Messer!

Ihr Mütter, da es euch anheimgegeben
Den Krieg zu dulden oder nicht zu dulden
Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben!
Daß sie euch die Geburt und nicht den Tod dann schulden
Ihr Mütter, lasset eure Kinder leben!“

Derzeit erleben wir wieder einen Krieg, einen Krieg zwischen Israel und Iran der mich hilflos sieht. Ich misstraue der rechtsradikalen israelischen Regierung, wie ich den Mullahs in Teheran misstraue. Ich halte jeden Angriffskrieg für verbrecherisch, verstehe aber, wenn ein Land, das umgeben ist von Ländern, die es vernichten wollen, nicht zusehen kann, wie Atomwaffen gehen das eigene Volk in Stellung gebracht werden. Ich fürchte um die Menschen in Teheran und um meine Freunde in Tel Aviv. #prayfortheinnocent

Led Zeppelin III

Für viele war die dritte Platte von Led Zeppelin die Lenor-Scheibe, die weichgespülte Nummer. Und tatsächlich klingt Zep III im Vergleich zu Zep I und II schon ein wenig nach Kuschelrock.

Die erste Nummer „Immigrant Song“ fügt sich noch recht bruchlos an die alten Led Zeppelin-Traditionen an. Man hat das Gefühl, das Intro soll die Fans in die Platte hineinziehen, damit sie nicht gleich geschockt werden von der neuen Spielkultur der Truppe. Denn unmittelbar nach diesem ersten Metaller-Song fließt der Honig:
Bei „Friends“ mit seinen exotischen Melodieaufbrüchen scheint fast schon Paul Simon die Komposition beigesteuert zu haben. „Since I’ve Been Loving You“ ist, nun ja, eben ein Liebeslied, das als Blues daherkommt und „Gallows Pole“ ist reinster Folk, eine sehr traditionelle Ballade – der Song basiert auf einem Traditional von Leadbelly – und da verwundert es auch nicht, dass Zep das Album mit einem Song auf den Folksänger Roy Harper beschließen: „Hats off to (Roy) Harper“.
Textlich überzeugt mich am ehesten „That’s the Way“, eine tiefgründige Geschichte zweier Freunde mit Trennungsschmerzen. Ob hier eigene Erfahrungen eingeflossen sind? Keine Ahnung. Geschrieben wurde der Song angeblich gemeinsam von Page und Plant während „langer Spaziergänge“. Da kann man schon ein wenig melancholisch werden. Musikalisch kommt das Teil auch fast im Liedermacher-Stil rein akustisch daher.

Zep III ist nicht gerade die großartigste Platte der Engländer, aber es ist eine der wichtigsten. Es ist das Ergebnis ihrer Häutung, ihre Pubertätsplatte, entstanden zwischen ihrer kindlichen Blechtrommelzeit (die Metal-Phase) und der erwachsenen Bluesrock/Folkrock-Erfahrung. Technisch sind die Musiker schon auf der Höhe der Zeit ud auch die Aufnahmen sind recht perfekt. Ein Großteil wurde im Landhaus Headley Grange im mobilen Studio der Rolling Stones aufgenommen, einige weitere in den Island und Olympic Studios in London, alle zwischen November 69 und Juli 70.

Wer ein Fan der ersten beiden Zep-Platten ist, der wird von Zep III vermutlich eher enttäuscht sein. Wer die späten Zeps bevorzugt, der wird Zep III vielleicht als durchschnittlich empfinden. Wirkliche Zep-Fans mögen eh alles, was von Zep ist. Für Zep-Einsteiger ist die Dritte vieleicht gar keine schlechte Wahl.

Noch eine kleine Geschichte zum beliebten Thema „Die Jungen hören ja eh bloß noch Scheiß“? Vor vielen Jahren kam mein Sohn, damals vielleicht so um die 15 oder 16, von der Schule und meinte „Ich hab eine neue geile Band entdeckt, irgendwas mit Zeppelin“. Dazu muss man wissen, dass wir immer mal musikalische Tipps ausgetauscht haben. Ich erwiderte: „Du meinst Led Zeppelin? Kenn ich. Geh mal ans Plattenregal und schau unter L. Da stehen sie alle. Komplett.“ „Boah. So lange gibt’s die schon?“ Tja …

Michael Hurley: Sweetkorn

Am 1. April ist er gestorben: Michael Hurley, die Singer-Songwriter-Legende aus der 60er-Jahre-Greenwich-Village-Szene. 83 Jahre jung ist er geworden und er klampfte bis zuletzt auf seiner Gitarre Blues und Folk. Und seine Platten klangen fast immer so, als wären sie direkt am Lagerfeuer oder zumindest am Grillplatz aufgenommen worden. Auch Sweetkorn kannst Du auflegen und Du meinst Michael würde neben dir sitzen und die Songs nur für dich, ein paar Freunde ein paar Bud Light spielen, die Saiten immer knapp an der richtigen Stimmung vorbei eingespannt.

Sweetkorn hat er im Sommer 2001 im Wohnzimmer von Freunden aufgenommen und die Platte strahlt die flirrend ruhige Sommerhitze des amerikanischen Südens aus. Die Songs schlurfen müde wie alte räudige Hunde um die Ecke. Sie beißen nicht. Das Leben ist hart genug. Das ist Musik, die man sich nach einem nervigen Tag zu einem handwarmen Woodford Reserve Bourbon gönnt.
Das Cover hat übrigens der kanadische Künstler Claire Majors entworfen.

Stan Getz: The Chick Corea Bill Evans Sessions

Ein wunderbares ruhiges Doppelalbum für verregnete Tage. Stan Getz spielt auf seinem Tenor-Sax große Standards der Jazzerei wie „But Beautiful“, „Night and Day“ und „My Heart Stood Still“, sowie „Litho“ und „Windows“ von Chick Corea und das eigene „Funkallero“. Begleitet wird er bei den Sessions von 1964 bzw. 1967 von Elvin Jones bzw. Grady Tate am Schlagwerk und Ron Carter bzw. Richard Davis am Bass, sowie von Chick Corea am Piano. Die Aufnahmen stehen stellvertretend für Getz‘ Zeit nach seiner Bossa-Nova-Periode und vor seiner Echoplex-Zeit. Wenn man so will sind die Chick Corea Bill Evans Sessions seine „klassische Phase“: unaufgeregter gradliniger Post Bop.

Canned Heat

Und jetzt noch was heimeliges aus meiner Jugend: Going up the country with Canned Heat. Zurück in die Provinz. Wer im westlichen Mittelfranken groß gemacht wurde muss dies als unbedingte Drohung empfinden. Trotzdem. Großartige Stimme vom Dicken auf dem Teller. 

„I’m going up the country
Baby, don’t you wanna go?
I’m going to some place
Where I’ve never been before
I’m going, I’m going
Where the water tastes like wine
I’m going where the water tastes like wine
We can jump in the water
Stay drunk all the time

I’m gonna leave this city, got to get away
I’m gonna leave this city, got to get away
All this fussing and fighting, man, you know I sure can’t stay.“

Damit wären wir dann wieder in der Einlaufrille angelangt irgendwie …

Illustrationen © Michael Kausch

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