Bayern ist kein souveräner Staat. Wäre er einer, hätte er quasi automatisch eine Topleveldomain. .BY wäre gut gewesen, aber das ist schon besetzt, und zwar von Weißrussland. Nanu? Wieso nicht .wr? Auf Wikipedia finden sich Anhaltspunkte:

Der Name Belarus ist seit dem Mittelalter überliefert und wurde im 19. Jahrhundert allgemein üblich, ist aber mit „Weiße Rus“ ungenau übersetzt. Rus war der ostslawische Name für skandinavisch-slawische Herrschaftsgebiete wie das der Kiewer Rus, zu dem das Land von der Gründung an gehörte. Das Adjektiv „bely“ bedeutete im Mittelalter im geografischen Sinne „westlich“ und/oder „nördlich“, Belarus ist demnach mit „Westliche Rus“ zu übersetzen. Daneben gibt es in Weißrussland auch Ansichten über andere mögliche Bedeutungen. Die Verwendung des Wortes Belarus bietet sich also an, um Unklarheiten zu vermeiden. Jedoch ist im Deutschen die Bezeichnung Weißrussland traditionell verbreitet. Die weißrussischen offiziellen Stellen wie auch die deutsche Diplomatie verwenden in offiziellen deutschsprachigen Texten den Namen Belarus, um die Unterscheidung von Russland zu verdeutlichen. Laut Auswärtigem Amt kann auf Landkarten sowie in nicht-diplomatischen Texten weiterhin die traditionelle Bezeichnung Weißrussland verwendet werden. Es gibt auch die Variante Bielarus, die von manchen genutzt wird.

Das „B“ ist klar, das „Y“ kommt dann wohl von bely. Vorbei die Chance. Aber immerhin wissen wir nun, daß Weißrußland eigentlich Westrußland hätte heißen sollen. Und wir sehen, daß einige Bayern auf die findige Idee kommen, die Weißrussen zu ignorieren und sich doch unter .by anzusiedeln. Nicht irgendwelche Bayern, nein, ziemlich ofizielle Bayern. Die BAYERN TOURISMUS Marketing GmbH zum Beispiel residiert unter www.bayern.by. Mit dem bayerischen Wirtschaftsminister Zeil als Aufsichtsratsvorsitzendem ist das schon beinahe amtlich. Aber wirklich beliebt scheint dieses Vorgehen nicht. Muenchen.by gibt es nicht wirklich, die Domain wird zum Kauf angeboten. Rosenheim.by? Fehlanzeige, die Stadt Rosenheim mit dem amtlichen KFZ-Kennzeichen RO macht es sich noch einfacher, sie nehmen sich eine eigene Topleveldomain und sind unter www.stadt.ro zu finden. Den Rest von .ro überlassen sie freundlich den Rumänen. Lindauer vom Bodensee langen übrigens gerne über den See und registrieren in Liechtenstein (.li), und die Messe Landshut weicht nach Laos aus, um .la zu haben: www.messe.la.

Das gibt es nicht nur in Bayern. Selten wohnt jemand mit .tv in Tuvalu, .to in Tonga, .fm in Mikronesien oder .ag in Antigua. Im spanischen Asturien haben sich mehr Leute in der Domain .as versammelt als in Amerikanisch-Samoa, einer nicht allzu bekannten Kolonie der U.S.A., der die Domain wirklich gehört. Über den Verkauf der .me-Domains und andere Effekte auf dem Domainmarkt wurde hier schon berichtet. Aber nun ist der Freistaat erwacht. Was Tonga und Montenegro können, können wir auch: Wir nehmen uns eine Topleveldomain und werden reich. Die ICANN hat die Bestimmungen bereits derart aufgeweicht, daß nahezu jeder mit genügend Geld eine Chance bekommen wird, TLDs zu registrieren.

Zunächst hört sich das alles noch recht unbeholfen an, denn das Wort Topleveldomain wird erst einmal eingedeutscht – „Kennung“ heißt das für die offizielle Bayern-Onlineseite:

Einführung einer eigenen Internet-Kennung für Bayern

(…) Der Ministerrat hat in seiner heutigen Sitzung (14.9.) den Startschuss für die Einführung einer eigenen Bayern-Domain im Internet gegeben. Der IT-Beauftragte der Staatsregierung, Finanzstaatssekretär Franz Josef Pschierer: „Bayern bekommt eine eigene Internet-Kennung, unter der unsere Bürgerinnen und Bürgern, die bayerische Wirtschaft und selbstverständlich auch alle anderen interessierten Nutzer künftig im Internet auftreten können. Die neue Bayern-Domain wird erheblich zur Stärkung der ‚Marke‘ Bayern im Internet beitragen. Sie eröffnet konkrete Chancen für das bayerische Standortmarketing und stärkt die regionale Identität. Gerade im Tourismusbereich und für regional agierende Wirtschaftsunternehmen ist eine Internetadresse mit regionalem Bezug zu Bayern besonders interessant.“ (…)

Oh mei oh mei. Eine Topleveldomain ist doch gerade durch die Allgemeinverständlichkeit wertvoll – jeder muß erkennen können, um welches Land es geht. Im nicht-deutschsprachigen Ausland heißt Bayern aber äußerst selten Bayern. Wenn schon, dann hätte .bavaria den Zweck vermutlich besser erfüllt. Aber am allereinfachsten wäre es gewesen, sich nicht um eine (teure) kommerzielle TLD zu bemühen, sondern um eine sogenannte ccTLD, eine country code top level domain. Dafür braucht man ein zweibuchstabiges ISO-Kürzel – mehr nicht. Und daß man dafür ein souveräner Staat sein muss, ist ein Irrtum – alle möglichen Inseln, Teilrepubliken und mehr oder weniger ehemalige Kolonien haben eigene ISO-Kürzel und damit eigene Domains.

Ein paar Präzendenzfälle (die Liste für weitere Recherchen heißt ISO-3166):

Das genügt. Wir sind immerhin ein Freistaat. Und sollten wir irgendwann die Unabhängigkeit wiedererlangen, so werden wir kaum Zeit haben, über offizielle Länderdomains nachzudenken. .bv, by und .ba sind alle weg, aber wir heißen ja auch Freistaat Bayern. .fs ist noch frei.

Mit .bayern kommen wir jedenfalls nicht weit. Der Freistaat wird enttäuscht sein. Er will den Betrieb gleich wieder an die Privatwirtschaft auslagern, aber sich auch nichts durch die Lappen gehen lassen. Er verlangt in einer Ausschreibung, daß er am Umsatz mit den neuen Domains beteiligt wird – das ist in Deutschland ohne Beispiel. Die Bundesrepublik verlangt ja auch keine Lizenzgebühren für .de. An den Kosten wird sich der Freistaat nicht beteiligen. Dafür wird er nur einen einzigen Anbieter unterstützen. Wenn er einen findet.

Bild: Flagge von Tonga (Quelle: Public Domain). Tonga war das erste Land, das die Nutzung seiner TLD offiziell verkauft hat. Bayern will Tonga übertreffen und am Umsatz teilhaben.

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