Jedermann Reloaded

Jedermann Reloaded mit Philipp Hochmair. Eine Kritik.

Ein fulminanter Theaterabend war das gestern im Münchner Prinzregententheater: Philipp Hochmair als Jedermann in einer Fast-Solo-Performance, in der Hochmair abgesehen von der Buhlschaft sämtliche Rollen des Salzburger Spektakels selbst spielte. Das heißt, eigentlich spielte er nicht die Rollen, sondern er nutzte die Rollen als Masken (s)einer multiplen Persönlichkeit des Jedermann.

In einer formidablen Mischung aus hedonistisch-schwülstigem Herbert Grönemeyer, überdreht-garstigem Klaus Kinski und exaltiert-diszipliniertem frühen Klaus Maria Brandauer hüpft er über die Bühne und springt dabei vom Jedermann, zu Nachbar, Schuldknecht und armen Mann. Für den Rollenwechsel genügt der Wechsel vom aufrechten Gang des Jedermann zur gebückten Haltung des Armen, die Mikrofone in zwei Höhen befestigt „machen Signal“, dass es auch noch der letzte im Publikum versteht, wer gerade aus dem Hochmair spricht. Und wenn er in eine Frauenrolle schlüpft, dann genügt es, das Lotterhemd zum Kopftuch über den Kopf zu ziehen, schon ist sie da, die auf den Kopf gekehrte Hosenrolle.

Die Sau von Jedermann Reloaded

In diesem Ein-Personen-Kammerspiel kann Philipp Hochmair mal so richtig die Sau rauslassen und quiekend über die Bühne jagen. Man kauft ihm den Spaß ab, den er mimt und dabei hat. Wer den Schauspieler nur aus der Fernsehkrimiserie „Blind ermittelt“ kennt kommt aus dem Staunen wohl nicht mehr heraus. Dabei hat er sogar im Fernsehen schon sein teuflisches Talent der kleinen feinen gestischen und mimischen Zeichensetzung als Heydrich auf der Wannseekonferenz bewiesen. Er kann das. In Jedermann Reloaded freilich darf er das wilde Springteufelchen geben, und die Wiederkehr des Mephisto.

Jedermann am Boulevard

Dabei bedient er sich auch schon mal aus der Werkzeugkiste des Boulevards, etwa wenn er zahnlos brabbelnd zur Überraschung aller Mama Jedermann ins Stück einführt, eine Rolle, die der alte Hugo von Hofmannsthal nun wirklich nicht vorgesehen hat. Die Alte meckert aus dem Lautsprecher wie ein alter BMW-Achtzylinder im Leerlauf. Ein boulevardesker Spaß und das Publikum im Prinzi dankt es mit Gelächter und Szenenapplaus. Aber das Prinzregententheater ist ja auch Münchens Boulevard für Oberstudienräte …

Die Buhlschaft von Jedermann Reloaded

Eine Rolle gibt es, die sich Philipp Hochmair nicht zutraut selbst zu spielen. Zum Glück. Die Wienerin Elena Schwarz buhlt seit Mai diesen Jahres an seiner Seite. Und im Gegensatz zu einigen Salzburger Nebenbuhlerinnen, etwa der Ferres, kann sie auch schauspielern und neben einem dominanten Hochmair bestehen. Das will was heißen.

Die Musik von Jedermann Reloaded

Zu den Schauspielern ist sonst nicht viel zu sagen, es gibt ja keine. Aber Musiker. Die Musik ist handgemacht von der Band „Die Elektrohand Gottes“ und ist erschütternd. Erschütternd gut. Kurt Razelli am Schlagwerk und Wolfgang Schlögl an der E-Gitarre sorgen für die himmlischen Choräle und den musikalischen Höllenritt gleichermaßen. Ich kannte bereits die Vinyl-Version mit Alwin Weber am Schlagzeug, Tobias Herzz Hallbauer an der Gitarre und Jörg Schittkowksi, der auf Platte unter anderem das von mir sehr verehrte Theremin zum Wohlklang brachte.

Die Moral von Jedermann

Der Jedermann ist einerseits ein aktueller Stoff mit seiner immenenten Kritik am schnöden Reichtum, an der Amoralität gesellschaftlicher Beziehungen, er ist ein kritisches und beinah zeitloses Sittengemälde der bürgerlichen Gesellschaft. Aber der Jedermann vermittelt auch ein heute nur schwer vermittelbares Stück religiöser Moralapostelei. Glaube, Reue und „die gute Tat“ retten den Menschen und weisen den Weg zu Gott, Himmel und Erlösung. Philipp Hochmair hat eine gewagte Lösung für das arg katholische Endspiel des Jedermann gefunden: mit zwei Grabkerzen in den Händen schwebt er engelsgleich von der Bühne, eine Persiflage der Persiflage des Leben des Brian. Kann man machen. Doch zwischen Ironie und Eitelkeit ists nur ein schmaler Grat.…

Nachbemerkung: Neben mir, Reihe 5 mittlerer Sitz, saß der Kritiker einer Münchner Zeitung: ein freundlicher älterer Herr im Tweed, hochkonzentriert, den Mantel des Schweigens über seinen Knien (die Zeitungen zahlen zu schlecht für die Garderobenkasse). Nach der Vorstellung, als das Publikum in rasenden Applaus ausbrach und sich anerkennend von den Stühlen erhob, blieb der Kritiker stumm sitzen und verzog keine Miene. Still saß er da mit ernstem wichtigem Gesicht, wie ein Mitglied des ehrwürdigen Karlsruher Verfassungsgerichts. Kritiker dürfen sich nichts anmerken lassen. Keine Freude, keinen Ärger, keine Emotion. Sie sind gottgleich. Wobei Gott, wie ich vermute, es zwischendurch schon mal unordentlich krachen lässt. Nicht so der Kritiker. Ob er trotzdem ein wenig Spaß gestern Abend hatte? Wir werden es lesen. ist aber auch nicht wirklich wichtig. Wie hat Walt Disney einmal so vortrefflich formuliert: „Ich versuche nicht, die Kritiker zu unterhalten. Das mach ich lieber mit dem Publikum.“ Philipp Hochmair ist das gestern ganz ausgezeichnet gelungen.

Illustrationen © Michael Kausch mit Unterstützung der KI und unter Einhaltung der Fotografierverbots im Theater.

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