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Die Lage in Griechenland spitzt sich zu. Was dort nun genau hinter den Kulissen abgeht, wissen wir nicht. Was wir aber beobachten, ist eine beispiellose Verrohung der Sitten. Ein griechisches Regierungsmitglied namens Paraskevopoulos (Παρασκευόπουλος) sorgt derzeit für Unruhe, da er Forderungen an diejenigen stellt, die gerade noch die Retter in der Not gespielt haben. Ich rede von uns. Der deutsche Humor hält sich in Grenzen, sehr hilfreich ist es nicht, was dieser Mann da macht, ganz unabhängig von der Frage, ob denn nun nach siebzig Jahren immer noch Forderungen der ehemaligen Kriegsgegner geprüft werden sollen. Das kann man tatsächlich so oder so sehen, und eine eindeutige Position fällt schwer.

Zurück zum griechischen Justizminister. Nikos heisst der Mann mit Vornamen, nach der Siegesgöttin Nike, aber siegreich wird er kaum sein. Sein Namensvetter Theodoros Paraskevopoulos (Theodoros: Das Gottesgeschenk) berät unterdessen die SYRIZA in Wirtschaftsfragen, und so kommt es laufend vor, daß deutsche Medien die beiden verwechseln. Paraskevi heißt übrigens Freitag und Pouli ist das Küken. Freitagsküken? Paraskevazome (παρασκευάζομαι) heisst vorbereitet sein bzw. sich vorbereiten. So kommt mit dem (Backgammon-)Spielstein Pouli (πούλι, nur eine Betonung vom Vögelchen entfernt) eine beute Bedeutung und der Mann bereitet seine Spielzüge vor. Das passt besser, hilft aber beides Griechenland nicht weiter.

Langsam mache ich mir Sorgen um Herrn Tzipras. Er war mit einer klaren Ansage angetreten und es war logisch, dass aus Bankenrettungsmilliarden und einer Bankrotterklärung der alten Politik ein paar Jahre humanitäre Hilfe und dann langsam eine Gesundung Griechenlands werden könnte. Doch dieser Prozess scheint auch ins Stocken geraten zu sein und tapfer sprechen alle Menschen in alle Mikrophone vom „völlig ausgeschlossenen Grexit“, also davon, daß Griechenland sicher im Euroverbund bleiben werden. Vorbei ist es mit der von mir anfänglich begrüßten Gradlinigkeit des Herrn Tzipras. Aber was würde ich tun, wenn ich in einem Alptraum erwachte und auf einmal Herr Tzipras wäre, der neue griechische Ministerpräsident, verantwortlich für meine griechischen Landsleute und deren Kinder und Kindeskinder?

Nun, als erstes müsste ich überlegen, von welchem der Helden meines Landes ich mich leiten lassen sollte. Sollte ich es halten wie Odysseus, der Listenreiche, dessen Heldentaten meist daraus bestanden, daß er jemanden ordentlich übers Ohr haute. Seien es die Trojaner, deren Pferde heute noch das Internet unsicher machen, sei es Polyphem, den er um seine wohlverdiente Mahlzeit brachte, in dem er ihm ein Auge ausstach. Sein einziges natürlich, was die Sache noch brisanter machte. Als mildernden Umstand kann man höchstens anführen, dass es sich bei der Mahlzeit irgendwann um Odysseus selbst gehandelt hätte. Vorher hatte er noch seinen Namen heimtückisch mit „Niemand“ angegeben, so dass der einfältige Zyklop mit seinem Hilferuf „Niemand hat mir ein Auge ausgestochen“ nicht gleich durchdrang bei seinen Kollegen.

Odysseus …

Wünschen wir uns so ein Griechenland? Na, ein bisschen hatten wir das ja zur Genüge. Odysseus, das waren die Griechen vor der Eurokrise. Wenn ich weiss, wie eine Bilanz aussehen muss, dann mache ich es eben „wie gewünscht“. Die anderen machen das sicher auch so, und es ist geradezu ein künstlerische Akt, die Wirklichkeit an den Erfordernissen auszurichten. Nichts dabei, was unmoralisch wäre. Für Odysseus natürlich, nicht für Siegfried, den Drachentöter, der recht einfach gestrickt gewesen sein muss. Also für das Bild, das wir Deutschen eher von uns haben: Aufrecht und gradlinig, kompromisslos, und wir bezahlen für das, was wir in der Vergangenheit angerichtet haben (bei Siegfried war das immerhin eine nicht zu entschuldigende Jugendsünde mit Vergewaltigungsaspekten).

Nein, für Herrn Tzipras ist Odysseus keine Hilfe. Man darf ja auch nicht ausser acht lassen, dass Odysseus am Ende seiner langen Reise allen nach Hause kam. Er hatte seine komplette Mannschaft verloren unterwegs, Mann für Mann. Bei so einem Kapitän anzuheuern ist nicht ratsam. Und Siegfried? Na, der schon gar nicht. Die einfach gestrickte Lösung wäre, sich mit gesenktem Haupt der Weltöffentlichkeit zu stellen, drei oder vier Generationen Zwangsarbeit zu starten, mit zusammengebissenen Zähnen das Schicksal zu schultern und mannhaft die Katastrophe ertragen. So wie es die Isländer gemacht haben, die noch über hundert Jahre abarbeiten müssen, was unfähige und korrupte Politiker bei ihnen angerichtet haben.

… oder Herakles?

Bleibt der andere griechische Held zur Orientierung: Herakles. Listenreich auch er, aber auf eine etwas rustikalere Art. Seine List bestand ja schliesslich öfters darin, mit blossen Händen irgendein Monster zu erwürgen. Aber genau das ist es, was jetzt gebraucht wird: Kraftvolles Erwürgen von Monstern. Und nichts anderes wäre der oft beschworene „Grexit“.

Nun bin ich nicht Herr Tzipras und ich muss die Folgen meiner Ideen nicht verantworten. Das erleichtert und befreit das Denken. Ich würde natürlich den Euro abschaffen. Die Gründe sind einfach:

Rettung in auswegloser Situation

Natürlich bedeutet all dies, dass die Drachme nicht gerade liberal in den Markt käme. Als erstes müsste unpopulär die Kapitalflucht unterbunden werden, durch Einfrieren von Konten in Euro und umwandeln in Drachmen. Auch dürfte die Drachme nicht einfach konvertierbar sein. Das ist zwar Gift für einen freien Markt, aber bis zu einer funktionierenden Volkswirtschaft ist der Weg ja auch noch weit. Die Gläubiger wären ja auch noch da – und weit entfernt von Begeisterung. Womit wir wieder bei Herakles wären: Von außen wird Griechenland nicht reparierbar sein, das muss schon von innen kommen. Für die Gläubiger hätte ich nichts als ein vages Versprechen. In der Privatwirtschaft nennt man das einen „Besserungsschein“. Wenn alles so kommt, wie ich gesagt habe, gibt es nach einem bestimmten Zeitraum eine Rückzahlung in Tranchen. Wieder ein Haircut also. Aber wenigstens einer mit einer Aussicht auf ein Happy End für alle Beteiligten. Ansonsten halten die Gläubiger still, aber es gibt auch keine Forderungen oder Hilferufe mehr.

Wovon würde Griechenland denn leben? Was gibt es denn dort?

Und das war’s? Kaum!

Nicht betrachten will ich hier, was sich im Land noch alles ändern müsste. All dieser Nepotismus, die Korruption, die Ineffizienz, aber auch die mangelhafte Solidarität mit dem Staat und der Gesellschaft, das sind Dinge, die man dringend angehen muss. Sind wir ehrlich: Wer hätte in einem Land wie dem Griechenland von gestern gerne Steuern gezahlt? Wenn das Geld aber in Infrastruktur und in einen echten Aufbruch fliesst und nicht in einen Porsche für den Sohn des Ministers, dann ändert sich das vielleicht schneller als man denkt.

Die Chance liegt also im Austritt. Bei all diesen Überlegungen bleibt Griechenland natürlich ein Teil Europas. Währung und Kultur sollte man nicht verwechseln. Die Auswirkungen auf Deutschland wären zwiespältig. Die Waffenindustrie würde einen guten Kunden verlieren und generell würde uns über kurz oder lang ein ernstzunehmender Wettbewerber auf dem Exportsektor entstehen, denn bei den Lohnkosten könnten wir niemals mithalten. Auf der anderen Seite freut sich der Bürger über ein wunderschönes günstiges Urlaubsressort, die Industrie über gut ausgebildete Leiharbeiter und unsere Bücher wären sauber, wenn die Abschreibungen erst mal verdaut wären. Zumindest müssten wir nicht Jahr für Jahr neues Geld nachschiessen, um unser Buchungslügen nicht auffliegen zu lassen.

Erstaunlich. Herakles also. Zuerst grimmig die Keule schwingen und die Zeit nicht vertrödeln mit Diplomatie, dann aber mannhaft das machen, das man angekündigt hat. Das schafft Vertrauen und, wir wissen es genau, verschaffte zumindest Herakles einen Platz an der Tafel der Götter. Den Griechen auf diesem Weg nicht zu helfen wäre kurzsichtig und egoistisch. Aber was spekuliere ich, ich weiss ja nicht, für welchen Weg sich Herr Tzipras entscheidet und welchem Druck und welcher Engstirnigkeit im In- und Ausland er derzeit ausgesetzt ist und sein wird. Ich möchte seinen Job nicht haben.

Bild: Tiepolo, Achilles Zorn. Achill kommt auf keinen Fall als Retter in Frage. Unbeherrscht, berauscht von der eigenen vermeintlichen Unbesiegbarkeit, dann aber auch die eigenen Landsleute im Stich zu lassen und sich jahrelang maulend und hadernd zu verweigern, nur weil er glaubt, zu kurz gekommen zu sein – von diesen Typen gibt es (nicht nur) in Griechenland genug, aber helfen werden sie nicht.

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