Hans Sahl: Das Exil im Exil

Er kannte Bert Brecht, Ernst Toller, Lion Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Oskar Maria Graf, schrieb für die Pfeffermühle von Katja Mann und gehörte in den zwanziger Jahren zu den einflussreichsten Kulturkritikern Deutschlands. Als Jude und Antifaschist musste er 1933 Deutschland verlassen. Wichtige Stationen seiner Emigration waren Prag, Zürich, Paris, Marseille und schließlich New York. Nach dem Krieg kehrte er nach (West-)Deutschland zurück und arbeite lange Jahre journalistisch u.a. für die „Neue Zürcher Zeitung“, „Die Welt“ und meine geliebte „Süddeutsche Zeitung“.

In Marseille arbeite er über mehrere Monate im Büro des amerikanischen Flüchtlingshelfers Varian Fry und dessen vom amerikanischen Außenministerium finanzierten Büro zur Rettung europäischer verfolgter Intellektueller. Diese Tätigkeit nimmt einen breiten Raum in seinem Buch „Das Exil im Exil“ ein, dass zusammen mit seinen Erinnerungen „Memoiren eines Moralisten“ bei Luchterhand erschienen ist.

„Das Exil im Exil“ ist ein Beitrag zur Geschichte der Exil-Literatur

„Das Exil im Exil“ ist wunderbar als Ergänzung zu Lion Feuchtwangers „Der Teufel in Frankreich“ und zu Varian Freys „Auslieferung auf Verlangen“ zu lesen. Beide Bücher habe ich bereits auf Czyslansky vorgestellt. Beide Bücher sind Augenzeugenberichte der Verfolgung und Rettung der Exilanten im Marseille der Jahre 1940/41.

Hans Sahl, der mit so vielen wichtigen Vertretern der deutschen Exilliteratur bekannt war, war ein scharfsichtiger Beobachter und vermittelt spannende Einblicke in die Strukturen der Exilszene und Persönlichkeitsstrukturen ihrer Repräsentanten. Es scheint der Theaterkritiker durch, wenn er Thomas Mann kritisiert, den er mehrmals im französischen Exil getroffen hat und dem er attestiert stets „ein wenig zu spät“ zu kommen mit seinen politischen Erkenntnissen: „Politik interessierte ihn erst, wenn sie schon fast vorbei war. Das geschichtliche Material war für ihn nach Belieben umdeutbar, wie zum Beispiel in dem abwegigen Essay ‚Bruder Hitler‘, in dem er den Verderber der Deutschen, den der Wahnwitz ergriffen hatte, mit seinesgleichen, das heißt mi dem Künstler, wenn auch mit einem verkrachten, verglich. Wenig überzeugend war auch der in ‚Doktor Faustus‘ mit erheblich stilisiertem Aufwand unternommene Versuch, die Zwölftonmusik im übertragenen Sinne mit dem Nationalsozialismus in Zusammenhang zu bringen.“

Ein Vortrag von Walter Benjamin kostet drei Zigaretten

Wie die meisten anderen deutschen Exilanten wurde Hans Sahl nach Kriegsbeginn mehrmals als „Angehöriger eines feindlichen Staates“ in Frankreich interniert. Ihm geschah dies erstmals in Paris 1939, als er zusammen mit mehreren Tausend anderen Deutschen und Österreichern ins Stade Colombe gesperrt wurde. Beim Weitertransport traf er im Gare d’Austerlitz Walter Benjamin. Über die Situation im Lager Camp du Ruchard in der Nähe von Orléans und den Tauschhandel, der sich dort entwickelte, berichtet er: „Ich schrieb meine ersten Lagergedichte in ein kleines Notizbuch, das ein Soldat eingeschmuggelt und dafür entweder zehn Gauloises oder drei Nägel oder einen Bleistift verlangt hatte. Man konnte auch drei Gauloises gegen einen Nagel und einen Bleistift gegen vier Gauloises usw. eintauschen. Benjamin hielt philosophische Vorträge im Freien und verlangte drei Gauloises pro Stunde oder einen Nagel oder einen Bleistift.“

In Lagern wie Les Milles bei Aix wurden in den Jahren 1940 und 1941 Exilanten aus Deutschland in Frankreich interniert.

Cooperation statt Resistance

Hans Sahl berichtet auch über die oft willfährige Kooperation der französischen Behörden mit den deutschen Besatzern wenn es um die Auslieferung deutscher Antifaschisten an die SS oder Gestapo ging. Ab 1941 wurden immer häufiger politisch verfolgte Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten, die im nicht besetzten Teil Frankreichs vorübergehend UnTerschlupf gefunden hatten, von der Pétain-Polizei an die deutschen Faschisten ausgeliefert. Bekannte Verfolgte wie die SPD-Reichstagsabgeordneten Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding wurden verhaftet, in Konzentrationslager verfrachtet oder „auf der Flucht erschossen“.

„Exil im Exil“ heißt auch Spaltung im Lager der Antifaschisten

Hans Sahl schildert sehr eindrücklich die Konflikte in der Exilgesellschaft, die Spaltung in der Linken gerade in der Folge des Hitler-Stalin-Paktes, eine Spaltung, die zur Folge hatte, dass sich viele Antifaschisten endgültig vom orthodoxen Kommunismus lossagten. Sahl selbst kam aus der kommunistischen und linkssozialistischen Bewegung. Schon in den Jahren der Emigration trat er aber aus dem „Schutzverband Deutscher Schriftsteller im Exil (SDS)“ aus, den er als kommunistisch unterwandert betrachtete. Zu den Vorstandsmitgliedern gehörten damals Anna Seghers, Manès Sperber und Rudolf Leonhard. Ehrenpräsident war übrigens Thomas Mann. Viele damaligen Mitglieder des SDS distanzierten sich später von diesem Verband, natürlich Thomas Mann, auch Sperber. Gemeinsam mit einigen renommierten Schriftsteller*innen wie Alfred Döblin, Hermann Kesten, Walter Mehring, Joseph Roth und Hilde Walter gründete er einen demokratischen Gegenverband.

Nach 1945 setzt sich das undogmatische und demokratische Engagement Hans Sahls fort. Das Buch ist in vielerlei Hinsicht ein aufschlussreiches Dokument und gibt Zeugnis eines langen Lebens und Kampfes für Freiheit und Toleranz, ein Zeugnis eines großen Journalisten und Demokraten.

In der Gedenkstätte zur Deportation in Marseille wird heute der Deportierten und Verfolten während der Besatzung durch die deutschen Faschisten gedacht.

Illustrationen © Michael Kausch

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