Welches Buch liegt gerade auf Ihrem Nachttisch?

Das sind mehrere, ein ganzer Stapel. Oben auf, weil ich es gerade lese Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli von Michel Ruge. Dadrunter Maarten t‘ Haarts: Unterm Scheffel. Das kommt als Nächstes dran. Und dann noch Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus von Martin Wehrle. Das lese ich parallel zu Ruge, aber nur in kleinen Dosen, sonst regt es mich sehr auf, wie viel Unfug in deutschen Unternehmen geschieht.
Danach steht dann Mo Yans Knoblauchrevolte an. Ich bin neugierig auf den Literaturnobelpreisträger. Und das ist noch lang nicht alles…

Liegen die Bücher nur da oder werden sie auch gelesen?

Ja, sie werden gelesen. Teils gleichzeitig, teils eins nach dem anderen (s.o.) Bücher, die ich mir kaufe, lese ich ich auch. Das ist schließlich der Sinn der Sache. Zumindest fange ich an, sie zu lesen. Bei geschenkten Büchern kann es aber vorkommen, dass es erst mal im Regal landet. Aber irgendwann lese ich es dann doch. Selten, dass ich auf ein Buch gar keine Lust habe, zum Glück kennen die meisten, die mir ein Buch schenken, meinen Geschmack.

Wie sind Sie auf das Buch getoßen, dass Sie gerade lesen?

Michel Ruges Buch habe ich im Handel entdeckt, ganz klassisch beim Stöbern in einem Geschäft. Ich bin ein „Opfer“ des Covers und des Klappentextes geworden. Das klang so spannend, dass ich es gleich gekauft habe. Maarten t’Hart lese ich sowieso immer. Prinzipiell jedes Buch. Er gehört zu meinen absoluten Lieblingsautoren. Martin Wehrles Buch habe ich zum Geburtstag bekommen.

Lohnt es sich?

Das beantworte ich jetzt nur für Michel Ruge. Und da kann ich nur sagen: Ja. Es ist ein wirklich toller, sehr atmosphärischer Blick auf eine Kindheit und Jugend im Hamburger Kiez der 80er Jahre. Ein Kind, das sich nichts sehnlicher gewünscht hat, als Zuhälter zu werden, ein Heranwachsender, der Kampfsport trainiert, der in Stundenhotels, Animierkneipen und Bordellen groß wird, zwischen Nutten, Luden, Schlägern und korrupten Polizisten…
Es ist trotzdem kein Sozialdrama, spielt nicht mit Härte in der Sprache oder Thematik, sondern stellt die Wünsche und Sehnsüchte der Kiez-Kinder in Beziehung zu ihrem realen Leben. Angenehm ist, dass es nicht gleichzeitig auch eine „Anklage“schrift gegen Establishment und Bürgerschichten ist. Man kann es lesen, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu bekommen, für das Elend anderer Leute verantwortlich zu sein.
Lesenswert ist es auf jeden Fall für alle, die sich für diese Thematik interessieren. Für voyeuristische Ambitionen ist das Buch allerdings weniger geeignet. Das gilt sowohl für die Schilderung von Schlägereien als auch für die Sexszenen. Beides kommt natürlich zur Sprache. Aber man bleibt als lesender Beobachter bzw. beobachtender Leser aber zumeist sehr weit am Rand, ein unbeteiligter Zeuge auf Distanz. An zu vielen Details spart Michel Ruge. Und das ist gut so.
Sehr beeindruckend sind die – natürlich aus dem Rückblick entstandenen – Reflektionen über den Rausch, die Spirale und die Sogwirkung, die die Gewalt bei den Jugendlichen seiner Gang ausgelöst hat und ihn gefangen nimmt. Sei es, dass sie im großen Trupp eine andere Gang klatschen wollen, sei es, dass sie Schaufensterscheiben eintreten und sich an den Auslagen bedienen. Was das Gefühl der Stärke innerhalb der Gang ausmacht, welche Folgen es hat, wenn zwar Passanten (und Polizisten) hinschauen, aber niemand etwas tut… ist äußerst interessant zu lesen und wird hier sehr authentisch geschildert.

Was bleibt?

Die Erinnerung, für ein paar Stunden einen Blick in einen ganz eigenen Mikrokosmos geworfen zu haben. Aber der Bordsteinkönig ist kein Buch für die Ewigkeit, das man sich ins Regal stellt und immer wieder zur Hand nimmt um darin zu blättern. Gebrauchslektüre halt, die man irgendwann dann auch weitgehend vergessen haben wird.

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Bordsteinkönig
Meine wilde Jugend auf St. Pauli

Autor: Michel Ruge

Taschenbuch: 288 Seiten
Auch als e-Book erhältlich
Verlag: Knaur TB
Veröffentlicht am 4. Januar 2013
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3426785501 / ISBN-13: 978-3426785508
in Deutschland: € 9,99

 

Foto: Eva Prauser

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