Hark Bohm Amrum

Buchbesprechung: Hark Bohm: Amrum.

Seit „Nordsee ist Mordsee“ bin ich Liebhaber der abgrundtiefen Furchen im Gesicht von Hark Bohm. „Nordsee ist Mordsee“ ist der Film, in dem der wunderbare Filmemacher Bohm im Jahr 1976 den 14-jährigen Uwe mit seinem Freund Dschingis auf einem selbstgebauten Floß von Hamburg aus elbabwärts Richtung Nordsee schippern lässt. Immer auf der Flucht vor der Wasserschutzpolizei und stets begleitet von Udo Lindenbergs „Ich träume oft davon ein Segelboot zu klau‘n“.

Ein Gesicht wie Hark Bohm erwirbt man sich, wenn man es lange genug dem harten Nordwind aussetzt (oder aber dem Alpenglühn, ich denke an Thomas Holtzmann). Der Schauspieler und ehemalige Marinesoldat Helmut Lange gehört auch in diese Kategorie: ein Mann wie eine Eiche und dabei sensibel wie eine Zitterpappel. Ganz so ist auch dieser wunderbare Roman von und über Amrun, von und über Hark Bohm.

Amrum lebt in der Erinnerung

Der Autor hat einen Erinnerungsroman geschrieben, ein Buch über Amrum, wie die Insel in der Erinnerung von Hark Bohm fortlebt. Der Schriftsteller, Regisseur, Filmemacher und Schauspieler Hark Bohm, Jahrgang 1939, hat seine Kindheit auf der Insel verbracht. Er kennt also das Amrum der Nachkriegsjahre, jener Zeit, in der es Armut gab, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, jede Mange Nazis, alte, unverbesserliche, geläuterte, irritierte, gewendete und solche, die niemals Nazis waren oder gewesen sein wollen.

Protagonist des Buchs ist der zehnjährige „Hamburger Jung“ Nanning, der mit seiner schwangeren regimetreuen Mutter auf der Insel lebt. Im gleichen Haushalt wohnt seine Tante, eine alte Nazi-Gegnerin. Damit sind die politischen Antipoden gesteckt. Nanning, zu jung um den Nazi-Terror zu verstehen, bleibt in den letzten Kriegswochen desorientiert zwischen Tante und Mutter weitgehend auf sich allein gestellt. Er ist überfordert, wie viele Jugendliche in jenen Jahren, und kümmert sich um die Lebensmittelversorgung der kleinen Familie. Sein Vater ist irgendwo an der Front, vermutlich eher hinter der Front, als Parteisoldat im Rang eines Obersturmbannführers. Kurz nach Kriegsende kehrt er heim, gesinnungstreuer Nazi noch immer.

Nazis – solche und solche

Es gibt noch reichlich Personal auf der Insel, den Nazi-Onkel Jessen, der sich kurz nach Hitlers Tod erhängt, aber auch Antifaschisten die auf der Seite der Britten gegen die Wehrmacht kämpfen und schließlich als Befreier und Rächer auf Amrun landen. Die ganze bittere Widersprüchlichkeit Nachkriegsdeutschlands, die Zerrissenheit, die sich durch das Land und durch viele Familien zog, schildert Hark Bohm in allen Brauntönen farbenreich und lebendig in diesem überaus kurzweilig zu lesendem Buch.

Aber das Buch ist nicht einfach eine politische und soziale Dokumentation der Nachkriegsjahre. Es ist auch ein literarischer Naturfilm. Nanning erlebt in den späten vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Natur einer wunderschönen Insel. Er jagt Karnickel, fängt Schollen, beobachtet Regenpfeifer, beschreibt den Kampf der Würmer zwischen Flut und Ebbe im Watt. Ich liebe diese Landschaft, diese Weite und spüre die Liebe, die Hark Bohm für seine Heimat empfindet. Diese Liebe für Amrum springt aus jedem Kapitel des Buchs, aus jeder Episode. Und es ist eine schwere und zugleich bittersüße Liebe, denn das Leben auf dieser Insel war in jenen Jahren hart und voller Entbehrungen, obwohl die Insel von den direkten kriegerischen Auseinandersetzungen weitgehend verschont geblieben war.

Der Film zum Buch

Das Buch wurde nun auch verfilmt. Hark Bohm hat sich Fatih Akin für Regie und Drehbuch geholt. Allein fühlte er sich aus Altersgründen dem Stoff nicht mehr gewachsen. Und mit Fatih Akin hat er in der Vergangenheit schon sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Ich habe den Film noch nicht gesehen, aber ich werde das nachholen. Und wenn der Film nur halb so viel Spaß macht wie das Buch, dann ist er großartig.

Ein Zitat aus Nordsee ist Mordsee. Und ewig schlingert die Jolle …

Übrigens: „Nordsee ist Mordsee“ – der Titel des Films von 1976 findet sich als verstecktes Zitat auch im Amrum-Buch wieder. In welcher Szene? Kurz bevor die Jolle schlingert und sich zu drehen beginnt. Also wie vor fünfzig Jahren. Auf welcher Seite des Romans? Selber lesen! 😉

Illustrationen © Michael Kausch

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