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Aus der dritten Plattenkiste

In der dritten Ausgabe dieser kleinen Reihe fische ich dieses Mal fünf sehr unterschiedliche Scheiben aus meiner Plattenkiste: abgefahrene Humppa-Musik aus Finnland, frühen Punk aus Deutschland,  klassischen seriösen Rock aus wer weiß woher, überaus seltsames aus Österreich und zu guter Letzt noch ein wenig kanadische Melancholie. Ein Kessel Buntes und Schwarzes auf Vinyl.

Humppakäräjät – Da tanzt die Nadel in der Rille Polka

Humppa humppa tätäräää. Ich hab es getan! Ich habe sie am Wochenende beim Abendessen aufgelegt. Und mir ist glatt die Salami vom Brot gerutscht. Da rockt der Elch. Dabei ist die Platte „Humppakäräjät“ vom Orchester Eläkeläiset (deutsch „Die Rentner“, nicht zu verwechseln mit „Porojen“ = Rentiere) schon von 1994. Da ist ein Stück finnische Hochkultur glatt an mir vorbei gegangen.

Was die Rentner da machen klingt, als ob Ozzy Osbourne schwer betrunken die Oberkrainer dirigieren würde. Sie spielen … äh … Polka. Und zwar nach Noten von Judas Priest, Bon Jovi und anderen Musikalienhändlern. Sie „covern“ klassische Songs. Sie nennen das aber nicht „covern“, sondern „polkern“. Weil herauskommen tut immer eine Polka. Ihr könnt Euch das nicht vorstellen? Nachvollziehbar. Ihr könnt es Euch auch dann nicht vorstellen, wenn Ihr es gehört habt. Und glaubt mir: es ist besser, man stellt es sich nicht vor.

Aber man sollte es hören.
Wenn man gute Nerven hat. Und wenn nicht gerade ein Salamibrot vor einem liegt. Wichtig ist auch, dass der Plattenspieler einigermaßen erschütterungsfrei aufgestellt ist. Ebenso wie die Zuhörer. Denn die Musik ist erschütternd.

Mein finnisch ist leider nicht sonderlich entwickelt und ich lasse also Google mal ein wenig aus dem Cover übersetzen:

Zur Aufnahmesituation:
„Es war eine Hölle von einem heißen Sommer. Der Anhang hatten wir einen Kontrollraum, die Trommeln waren Volkkari, Bassgittaren in der Bodengrube und die Gesangsabteilung war eine Sauna. … Es gibt Songs, die niemand hat jemals gerne singen. … Manchmal werfen sie einen Schlagstock auf einen Hund. … Es gibt nichts was ich tun kann, um betrunken zu werden.“

Wer sind die Rentner?
Kurz: Ich kann nicht viel sagen über die Hintergründe der Musik. Ich kenne niemanden, der sie je live gesehen, gehört und überlebt hat. Aber es gibt sie wohl noch. Und das ist bewundernswert. Denn eigentlich war das alles so gar nicht geplant.

Eläkeläiset gründeten sich 1993 als Projekt irgendwo in der Nähe der russischen Grenze. Die meisten Musiker kannten sich da aber schon. Sie hatten vorher als Punk-Band unter dem Namen Gummikamel zusammengespielt. Aber hören wollte sie niemand. Als Rentner wollten sie es nun mal mit Polka versuchen. Polka ist in Finnland die Standardmusik für Senioren, also für Rentner. Und sie landeten mit ihrer ersten Platte Humppakäräjät einen absoluten Überraschungserfolg. In der Folge gingen sie auf Welttournee und feierten in zahlreichen Metropolen – zum Beispiel in Erlangen – überragende Erfolge und verkauften handgepresste Platten und Bänder an durchgeknallte Siemens- und andere -kinder.

Und jetzt drehen sie sich auf meinem Plattenteller und meinen Magen um. Göttlich. Wunderbar. Echte Humppa-Musik. Darauf ein Hummpa!

Monks: Black Monk Time

Dann gibt es noch die zum guten Teil leider unentdeckten Schätze deutscher Rock-Musik. Die Utopien und Träume der 60iger Jahre tönen aus den Songs der Monks. Die Geburtshöhle des Punk liegt eben nicht auf der Insel, sondern irgendwo am Main.

Wer die Monks nie gehört hat, der hat die 60iger nie gehört. Keine Beatles-Schunkelmusik, sondern echter harter Beat, Schlag auf Schlag. Hab ich schon erwähnt, das diese deutsche Band überwiegend aus Amerikanern bestand? Aus GIs, die nach ihrer Zeit bei der Army in Deutschland blieben.

Die Monks spielten zwischen 1964 und 1967. Zwischen 1999 und 2007 gab es ein seltsames Revival, in dessen Verlauf die Bandmitglieder der Reihe nach wegstarben.

In den 60igern waren sie ziemlich Avantgarde. Das lag nicht zuletzt an ihren „Machern“, zu denen Karl H. Remy gehört, Absolvent der berühmten Ulmer Schule für Gestaltung. Genau, das sind die Leute um Otl Aicher (Olympia 72, die Älteren wissen von was ich schwärme …). Mein erster richter Computer, ein Olivetti M24 (natürlich nach dem Commodore C64, ich schweife ab …), kam auch aus der Schule. Schmuckes Teilchen. Remy entwickelte zusammen mit Folkwang-Schüler Walter Niewang das Outfit der Musiker. Diese mussten nämlich als Mönche auftreten, also mit Tonsur, Krawatte und Strick um den Hals. Mit der fixen Kleiderordnung namen sie in gewisser Weise Kraftwerk vorweg. Die sangen ja auch das hohe Lied der Computerliebe (ich schweife schon wieder …)

Auch musikalisch war das, was die Jungs machten für die damalige Zeit extrem spannend: Tonartwechsel mitten im Stück und extrem schnelle Schläge. Die Texte waren eher simpel und eindeutiger als ich sag mal bei den Kinks ;-): „Boys are boys and girls are girls“. Bei Lola war das ja anders … (Schweife ich etwa ???)

Es gibt auf Vinyl die „Black Monk Time“ von 1966 als Reissue. Und nein – bitte nicht mit den Monkees verwechseln. Wirklich nicht.

Manfred Mann: Solar Fire

„Father of Day, Father of Night“ von seinem vierten Studio-Album lief in meiner Jugend häufig und es läuft noch heute manchmal in voller Lautstärke. Das ganze Album dreht sich als Progrock-Konzeptalbum um unser Planetensystem und auch Pluto galt damals noch als Planet, weshalb auf „Pluto the Dog“ auch die Hunde bellen dürfen …
Vielleicht waren es vor allem die Moog-Passagen, die mich in meiner Jugend an diesem Album so nachhaltig begeisterten. Neben „Somewhere in Afrika“ ist es jedenfalls noch heute mein Lieblingsalbum von MM.

Kottans Kapelle

Warum „Kottans Kapelle“, die erste völlig großartige Platte von 1984 unverkäuflich ist? Vielleicht weil es sich um die deutsche Pressung handelt. Wer weiß das schon. Eh wurscht. Sie ist jedenfalls leiwand. Mein Lieblings- … äh — Chanson ist wohl das zurückhaltende „Hab Mi Gern. Find Yourself Another Fool“. Bekannter ist freilich „Rostige Flügel. Rusty Old Hero“. Damit hat die Kapelle ihren Durchbruch auf dem Weltmarkt erreicht. Unvergessen Willi Resetarits an der frei jonglierten Mundharmonika. Seine Schmetterlinge bilden den Chor. Bezaubernd schön … Ach was waren das für besinnliche Fernsehzeiten. Der Plattenspieler lässt sie wieder auferleben

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Leonard Cohen: Songs of Love and Hate

Viele überkommt dann ja doch ab und an die Melancholie. Dafür gibt es natürlich viele passende Platten. „Songs of Love and Hate“ von Leonhard Cohen gehört sicher dazu. „You’re living for nothing now. I hope you’re keeping some kind of record“. Aus welchem Song dieser Platte sind diese beiden Zeilen? Das müsst Ihr wissen, wenn Ihr je in den 70iger Jahren sowas wie verzehrenden Liebeskummer verspürt und verzweifelt versucht habt euch vor eine streunende Katze oder noch schlimmeres zu werfen. Es gibt Platten, die kann ich mir einfach nicht als MP3 vorstellen. Nicht mal als CD.

Illustrationen © Michael Kausch

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