„Die Menschen werden jede Lüge glauben, vorausgesetzt, sie ist groß genug.“

Wäre dieses Zitat von Siegmund Freud, Alfred Hitchcock, David Copperfield  oder Pablo Picasso, stände es längst auf kitschigen Postkarten versehen mit einem Kunstwerk, einer optischen Täuschung oder einem Regenwassertropfen- auf-einem-Grashalm-Foto. Wäre es von Sokrates, Martin Luther King oder Salvador Allende, man fände es in Abreißkalendern mit Sinnsprüchen oder Bildbänden mit ebensolchen klugen Versen, wie sie gern zu Konfirmationen oder Firmungen Heranwachsenden überreicht werden.
Nun ist dem aber nicht so. Dieses Zitat stammt von Adolf Hitler.
Das aber hat den österreichischen Schuhhersteller GEA nicht daran gehindert, es auf seine Internetseite zu stellen – in eine rotierende Sammlung Zitate, eben so eine Art digitales Sinnsprüchealbum, denn mit Poesie hat das Ganze weidlich wenig zu tun:gea1

Und schon ist sie da, pünktlich zum Tag der Kapitulation des Dritten Reiches: die ganz gr0ße Erregung . Denn natürlich hat dieses Zitat ein Kunde gesehen, hat einen Screenshot bei Facebook auf der Waldviertler-Seite, dem Markennamen der Schuhe hochgeladen, wie es denn sein könne, dass ein Hitler-Zitat in dieser Verslein-Kollektion auftauche. Die kurze und knappe Antwort des unter dem Pseudonym schreibenen Redakteurs „Moreau“ war: „Weil’s wahr ist“.

gea2

„Moreau“ belässt es aber nicht bei dieser lapidaren Feststellung, sondern er begründet, warum er das Zitat verwendet hat und wagt das „Ungeheuerliche“: Er vermenschlicht Hitler vom Monster zum Menschen – wie vor Kurzem Gerhard Polt, den er dann folgreichtig auch zitiert:

gea3

Und schon passiert, was immer passiert. Das Netz, allen voran Facebook, füllt sich mit Kommentaren, Erst klein wenig Erregung, dann mehr und noch mehr, bis genug Wind gemacht wurde.
Der Schuhhersteller, der sich mittlerweile mit Byokottaufrufen konfrontiert sieht, nimmt das Zitat herunter. Geschäftsführer Staudinger entschuldigt sich öffentlich auf seiner Facebook-Seite,  auf seiner Firmenseite allerdings schweigt er. Aber es ist zu spät. Längst sind die österreichischen Medien aufgesprungen. Ob Kurier, Standard oder Wiener Zeitung – sie alle bringen das Thema. So befeuert Staudinger nur noch mehr eine Diskussion, ob man Hitler zitieren dürfe oder nicht. gea4

Verfolgt man die Diskussion im Facebook-Profil der Firma Waldviertler am tag danach, kann man wieder einmal lernen, wie Trotz und Gutmenschentum, Political Correctness, Harmoniebedürfnis, Ironie, Erregung und Sarkasmus miteinander  funktionieren: Nämlich gar nicht. Ironie nicht jedermanns Sache und es nicht jedem gegeben diese zu verstehen. So werden Posts, in denen die Frage gestellt wird, ob man nicht gleich die deutsche Sprache verbieten solle, sie sei ja noch immer voll von Wörtern, die Hitler oder andere braune Machthaber benutzt hätten, umgehend wütend und mit demonstrativer zutiefster Verletzung beantwortet. Und wenn dann noch einer sagt: Runter von den Autobahnen, weg mit dem Müttergenesungswerk usw. – das wären schließlich auch alles Nazibauwerke, -erfindungen… – dann ist die Wurst nicht nur braun sondern warm. Nach dem Prinzip, möglichst viel in den falschen Hals zu bekommen, was nur irgendwie da rein geht, wird mit- und gegeneinander polemisiert, dos a Freid is‘.
Tu felix Austria.
Österreich arbeitet sich mal wieder an seiner ebenfalls braunen Vergangenheit ab, und die Deutschen diskutieren munter mit. Interessant ist die Inversion von Godwin’s Law. Der amerikanische Rechtsanwalt und Autor hatte 2004 formuliert: “As an online discussion grows longer, the probability of a comparison involving Nazis or Hitler approaches one.” (Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an.) Dies fusst auf einem Zitat von Richard Sexton aus dem Oktober 1989: “You can tell when a USENET discussion is getting old when one of the participents drags out Hitler and the Nazis.” (Sobald in einer Usenet-Diskussion einer der Teilnehmer Hitler und die Nazis auftischt, ist sie am Ende.) Natürlich meint Sextons Zitat etwas anderes.  Aber bei Waldviertler endet die Onlinediskussion nicht Hitler – sie fängt erst richtig an…

Bilder: Facebook-Screenshots

Eine Antwort

  1. Wer mit 29% einen starken Führer möchte, sich selbst für das das „erste Opfer der nationalsozialistischen Aggressionspolitik“ häl,t muss sich nicht wundern, wenn sich der eine oder andere über so ein Zitat empört.

    Leider weiss ich nicht mehr von wem dieses Zitat ist: „Die Deutschen blicken mit Pessimismus in die Zukunft, die Österreicher mit Optimismus in die Vergangenheit“
    Bestimmt nicht von Hitler, also keine Sorge …

    Aber könnte es sein, dass sich auch in diesem Fall mal wieder ein paar Menschen etwas „G’schmeidig“ machen sollten?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.