„Der will doch nur spielen…ist 17 und liebt Zartbitterschokolade mehr als dich! Größter Narzisst und dies und jenem nicht abgeneigt

Mit diesen Worten stellt Twitterer P. sich selbst vor. Er belebt das Medium mit den typischen Sprüchen eines Teenagers und wohnt derzeit in 107 Timelines anderer Twitterer. So auch in meiner. Und wie viele Teenager (und auch Erwachsene) tut er das, für das Twitter gedacht ist. Er haut seine Gedanken, Gefühle und Ideen ins Netz. Unkrontolliert, unreflektiert, unbedacht. Immer „Frei Schanuze“. Wenn das mal kein Fehler ist…

Wäre P. Amerikaner und würde in englisch twittern, stände vermutlich in allerkürzester Zeit die Polizei vor seiner Tür…

So nämlich erging es, wie gerade durch die Medien geistert, dem 18jährigen Texaner Justin Carter im Februar.

Der nämlich fand es komisch,  im Rahmen einer Diskussion mit Facebookfreunden zu posten „Erschieße Schule voller Kinder“.
Dass amerikanische Behörden bei angedrohten Amokläufen an Schulen extrem sensibel reagieren, ist nachvollziehbar. Die Angst vor Amokläufen, die terroristischen Anschlägen gleichgesetzt sind, sitzt tief in der Seele der USA.
Als der Teenager auf die Frage, ob er verrückt sei, postete:  „Ja, ich bin wirklich verwirrt in meinen Kopf, ich werde eine Schule voller Kinder zusammenschießen und danach ihre noch schlagenden Herzen essen“  setzte er ein ironisierendes LOL (laughing out loud) hinzu. Und ein JK (just kidding).  Doch selbst gekennzeichnete Ironie wird oft als solche nicht verstanden oder goutiert.  So … fand eine Frau aus Kanada das Posting nicht gerade witzig. Sie suchte die Adresse des Teenagers heraus und entdeckte dabei, dass sich in seiner unmittelbaren Nachbarschaft eine Schule befindet. Ohne zu zögern informierte sie die zuständigen Behörden.
So ist die Meldung  zu lesen auf OE24.at und zahlreichen anderen News-Plattformen. Die Polizei verstand ebenfalls keinen Spaß und sperrte Justin Carter ein…  Am heutigen 1. Juli beginnt der offizielle Prozess.
Justin Carters Eltern haben mittlerweile eine Online-Petition gestartet und mittlerweile über 25.000 Zeichner mobilisiert. Sie fordern nicht nur die Freilassung ihres Sohnes sondern auch ein Umdenken: Release Justin Carter from jail.  Too many teenagers are being arrested, jailed and having their lives forever altered because of anti-terrorism laws and investigations that impede their 1st Amendment right to freedom of speech. lautet ihr Appell. Im Wortlaut heißt es in der Resolution:

Justin Carter. Bild auf der Online-Petition

To:
Barack Obama, President of the United States
Jennifer Tharp, District Attorney of Comal County
Greg Abbott, State Attorney General
Please release Justin Carter, change the laws on what constitutes a terroristic threat and create a criteria for investigating these crimes. Justin Carter, 18, of New Braunfels, TX., is imprisoned because of a comment that he posted on Facebook. This teenager was arrested without any investigation of his alleged crime. The First Amendment to the Constitution states: Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.
Justin Carter was arrested on February 14, 2013 for a statement that he made on Facebook. He was not questioned by the police until March 13th, 2013. His home was not searched until a week after his questioning. The only item seized from his home was his personal computer. No weapons of any kind were seized. If he had posed a real terroristic threat, shouldn’t the police have questioned and searched his home sooner than a month after an arrest?
The 1969 Supreme Court case, Brandenburg v. Ohio, sets precedent for law enforcement to infringe freedom of speech when the speech shows potential for the law to be broken. The speech must provoke the law, and be both “imminent and likely.” Why is this boy still in jail when no case has been made for an imminent or likely threat? It would appear that he is in jail for doing no more than exercising his right to freedom of speech. Please do your own investigation. Please consider releasing Justin Carter, changing the law of what constitutes a terroristic threat, and changing what the criteria for investigating these crimes should be.

Geht es nach Willen der Staatsanwaltschaft, drohen Justin Carter für seinen vermeintlich coolen Spruch acht Jahre Haft. Alles als Folge eine Dummheit. Berühmt ist der Spruch stupid is as stupid does, mit dem seine Mutter Forrest Gump regelmäßig traktierte.

Da ist was dran. Dumm ist, wer Dummes tut! Wer aber hier die größere Dummheit begangen hat bzw. begehen wird, bleibt zu fragen.

Der deutsche Twittervogel P. sollte sich also überlegen, ob er in Zukunft Todeswünsche gegen andere aus einem Schulbus twittert. Wir werden ja sehen…

4 Antworten

  1. Früher gab es nur Täter, Störer und Unschuldige (Rest), heute sprechen Juristen und Politiker auch von Gefährdern ( http://de.wikipedia.org/wiki/Gefährder )

    Das sind schon sehr viele …
    Ganz aktuell spricht man auch schon von „potentiellen Gefährdern“, das sind wir ALLE!

    „Pfiat di Rechtsstaat“, sage ich da …

  2. In unserem neuen Buch „Digitale Aufklärung“ fordern Ossi Urchs und ich eine Art „digitaler Diskretion“, also das Recht, bestimmte Dinge (die jedem bekannt sind – das Internet hat und die totale Transparenz beschert) von der Allgemeinheit ignorieren zu lassen. Im Dorf – und der Mensch ist in dörflichen Gemeinschaften aufgewachsen und sozialisiert worden – weiß jeder alles überjeden. Aber man bemüht sich, so zu tun, als sei manches doch privat. Das gespinnerte Blöken eines Teenagers, der offenbar nur das tun wollte, was Teenager tun, nämlich anecken, würde in einer solchen Gemeinschaft ebenso geflissentlich übersehen werden wie ein Pfurz, der einem mal so lausfährt und der allen zusammen im Grunde nur peinlich ist. Dass in einem solchen Fall die Polizei gerufen wird, ist nur ein Zeichen dafür, wie wenig wir alle miteinander die Zeichen der Zeit verstanden haben.

  3. Das klingt alles so richtig – und dann geht es wieder schief und alles beklagt, dass „wieder mal alle weggesehen haben“. Andererseits sind die False-Positives oft jenseits jeder vernünftigen Verhältnismäßigkeit. Und die Bedrohung eines Jugendlichen mit Gefängnis für dumme Scherze ist hanebüchen.

  4. Es ist eine Sache, ein Gefährdungspotential zu sehen. Eine andere ist, zu eruieren, ob es auch tatsächlich vorhanden ist. Dazu muss man m.E. einen 18jährigen nicht präventiv 4 Monate in den Knast stecken und dann einen Prozess eröffnen.
    Es soll auch in zivilisierten Kulturen andere Möglichkeiten geben, herauszufinden, ob auf die nur so dahergeredete und mit „lol“ und „jk“ gekennzeichnete Äußerung eine mögliche Tat folgen wird.

    Und genau das ist ja, was die Eltern anprangern: 4 Wochen keine Ermittlung, keine Gespräche/Befragungen.

    Unbegrenzt sind die Möglichkeiten in diesem Land, aber die Dummheit offensichtlich auch. Andererseits kommt mir gerade der Fall Mooath in den Sinn und man fragt sich, ob es hier so viel besser ist…

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