Wer schützt uns vor unseren Beschützern?

Das Verhältnis zwischen Bürger und Polizei ist ein ambivalentes. Sind die Nachbarn nachts zu laut, ruft man sie gerne an und bittet sie, für Ruhe zu sorgen. Stoppen sie einen, weil man zu schnell war, ärgert man sich über sie. Im Großen und Ganzen ist man in Deutschland ganz zufrieden mit seiner Polizei, was nicht immer so war. Man denke nur an ihre unrühmliche Rolle unter den Nazis, die vor einem jahr durch die Ausstellung „Die Münchner Polizei im NS-Staat„, die seinerzeit vom NS-Dokumentationszentrum mit aktiver Hilfe des Münchner Polizeipräsidium erstellt wurde und damals auf durchaus geteilte Reaktionen stieß.

In totalitären oder quasi-totalitären Ländern wiebeispielsweise Russland oder die anderen Länder der einstigen Sowjetunion (zum Beispiel die Ukraine, wo gerade Julija Tymoschenko mit Hilfe der Staatsorgane in einem Scheinprozess zu sieben Jahren Haft verurteilt worden ist), sehen viele Bürger den langen Arm repressiver Regierungen. Und in den USA gilt die Brutalität der Polizei gegenüber Minoritäten, insbesondere Schwarzen, als geradezu sprichwörtlich.

Gerade deshalb gilt es in Amerika geradezu als Bürgerpflicht, ein wachsames Auge auf das Auftreten der Staatsgewalt zu haben. 1991 hielt ein Amateurfilmer fest, wie Polizisten den unschuldigen  Rodney King bei einer Verkehrskontrolle krankenhausreif prügelten. Als ein Gericht die drei Beamten ein Jahr später freisprachen, kam es in Los Angeles zu Straßenschlachten.

Bereits ein Jahr zuvor, nämlich 1990, hatte sich in Berkley eine Aktivistengruppe zusammengefunden, die sich „Copwatch“ nannte, und die sich zur Aufgabe machte, Übergriffe von Ordnungskräften gegen unschuldige Bürger zu dokumentieren. Als das Internet kam, haben sie sehr schnell begonnen, Exzesse auch online publik zu machen, und das Beispiel machte auch in anderen Ländern Schule, etwa in Frankreich, wo das Verhältnis zwischen Bürger und Staat besonders in den überwiegend von Einwanderen besiedelten Banlieus sehr viel gespannter ist als bei uns, selbst in solchen vorstädtischen Problemzonen Kreuzberg oder Hamburg-Wilhelmsburg.

Die Website von „Copwatch Paris Nord I-D-F“ hat sich besonders darin hervorgetan, die Gewaltbereitschaft und den grassierenden Rassismus unter französischen Polizeibeamten festzuhalten. Dafür wurden sie vor kurzem angezeigt, und ein Pariser Gericht hat jetzt der Klage eines Beamten Recht gegeben und die Schließung der Website angeordnet.

Das passt gut ins Bild, das Frankreich in Sachen Behinderung der Meinungsfreiheit und Online-Überwachung in den letzten Jahren geboten hat. Offenbar orientieren sich Sarkozy & Co. am Vorbild Chinas, das ebenfalls alles versucht, unliebsame Inhalte im aus dem Internet fern zu halten. Das dies ausgerechnet das Land tut, das einst auch die Meinungsfreiheit auf den Barrikaden verteidigte, ist eine Schmach. Aber zum Glück ist es nicht ganz so einfach, Dinge im Cyberspace einfach verschwinden zu lassen. Ich konnte jedenfalls heute Morgen problemlos die Website copwatchnord-idf.org öffnen und fand dort neben einem offenen Protestbrief („A l’attention de tous“) einen ausführlichen Bericht über einen angeblichen Übergriff eines Polizeibeamten namens Stéphane Nolland, der zusammen mit Kollegen nach Dienstschluss in einer Bar Naziparolen gebrüllt haben soll, sowie Aufnahmen von Offizieren des Sondereinsatzkommandos BAC, die in Lille antifaschistische Demonstranten verhöhnten.  Es gibt Fotos von Beamten, die sich auffällig gemacht haben, komplett mit Links auf ihre Facebook-Seiten, sowie Videos aus Bordeaux, die angeblich bewusstlose Opfer von Polizeischlägereien zeigen. Alles nicht gerade Rodney King-Niveau, aber ziemlich schockierend trotz alledem.

Das Urteil, nachdem diese Seite eigentlich längst hätte verschwinden müssen, ist vergangene Woche ergangen. Mein Tipp: Es wird auch nächste Woche noch zu sehen sein, und übernächste. Merke: Es ist nicht so leicht, etwas aus dem Internet verschwinden zu lassen, Richterbeschluss hin oder her. Und das ist auch gut so. Nicht, dass jemand auch hierzulande auf die Idee kommt, es den Franzosen nachzumachen.

Aber dazu ist ja, wie gesagt, das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Polizei ja nicht ganz so verspannt. Jedenfalls nicht in letzter Zeit. Trotzdem habe ich mich ein bisschen gewundert, dass es mir trotz längerer Recherche nicht gelungen ist, eine vergleichbare Seite aus Deutschland bei Google aufzutreiben. Unter www.copwatch.de kommt die Meldung „Hier entsteht eine neue Internetpräsenz!“ Nur steht nicht dabei, wann es soweit ist. Laut DeNIC ist die Domäne von einer Feynburg GmbH in Mauer bei Heidelberg registriert, die sich selbst auf Facebook als „Spezialisten für die Serienproduktion von Werbeuhren“ bezeichnet. Mir fällt es schwer, hier eine logische Gedankenbrücke herzustellen. Vielleicht diese: „Achtung, liebe Polizisten, die Uhr tickt!“

Mal sehen, wem die Stunde schlägt.

Eine Antwort

  1. Websites verbieten und Three-Strike-Out zu praktizieren klingt nicht französisch, da gebe ich Dir recht. Nur muss man nicht bis China gehen, um sich hier als Gewaltpolitiker inspirieren zu lassen. Derzeit bei uns in Europa wird man wohl am schnellsten in dem einst von mir so geschätzten Ungarn fündig.

    Um ein wenig die Paranoia zu füttern: Woher stammt die Familie des Nicolas Pál Sárközy von Nagybócsa (kurz: Sarkozy) gleich wieder?

    Urteile und Gesetze, die man nicht einsieht und auch nicht einsehen muss zu ignorieren hingegen ist dann schon wieder sehr französisch.

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